Brooklyn Museum, New York

Wiedervereint mit dem Universum

Glaubt man Quellen der Maya, Azteken und Hindus, bringt das Jahr 2012 eine tiefgreifende Zeitenwende mit sich. Schon werden in New York beim Dinner unter Freunden und bei Vernissagen kollektives Yoga auf dem Union Square, Anbau von Ökogemüse auf Brooklyns Dächern oder bewusstseinserweiternder Drogenkonsum als vorbereitende Maßnahmen diskutiert. Die Menschen lechzen nach Erlösung vom täglichen Stress. Sie wollen zurück zur Natur und suchen nach der Einheit mit den Sternen über ihnen.

Die Fred-Tomaselli-Werkschau – von Aspen über Saratoga Springs ins Brooklyn Museum gewandert – kommt diesen Bedürfnissen entgegen: „Fenster in eine andere Welt“ seien seine Arbeiten, sagt der gebürtige Kalifornier, Jahrgang 1956, über seine reizüberflutenden, hyperaktiven und hypnotisierenden Collagen auf Holzplatten, die das Profane mit dem Erhabenen verbinden wollen.

Raves, die im Moment verharren
Mühsam und akribisch – ein Video auf der Webseite des Museums zeigt ihn mit Atemmaske und Overall in seinem Studio – schichtet er Pillen, halluzinatorische Pflanzen, Blumen und aus Zeitschriften oder Sachbüchern ausgeschnittene Illustrationen neben, über und untereinander, greift mit Acryl hier und dort ein und gießt dann alles in Kunstharz. Das Ergebnis: idiosynkratische, schlicht bezaubernd schöne zweidimensionale Flächen mit 3D-Effekt; Raves, die im Moment verharren.

Sein Garten Eden in „Untitled (Expulsion)", 2000, ist eine spiralförmig wirbelnde Wucherung aus Blättern, Pflanzen, Insekten, Pillen, Mündern, Händen und den unvermeidlichen Schmetterlingen, auf die, ebenso wenig wie auf die Schlange, offensichtlich kaum mehr ein Künstler verzichten mag, der sich mit verlorenen Utopien beschäftigt.

Wie von göttlichem Furor an den rechten unteren Rand gebannt, schleichen Adam und Eva beschämt aus dem Bild. Ihre transparenten Körper lassen nur das Adersystem sehen – sonst schmückt Tomaselli Menschen häufig mit genau jenen paradiesischen Ingredienzien aus, die den beiden nun um die Ohren fliegen. Adam und Eva sind Vertriebene, sie und ihre Nachkommen nun für immer auf der Suche nach der unmöglichen Wiedervereinigung mit dem Universum. Es sein denn, sie werfen ein paar Trips ein.

Immer wieder Vögel
Fred Tomaselli zog in den 80er-Jahren als einer der ersten Künstler nach Brooklyn, wo er noch immer wohnt. Die meisten, der hier versammelten rund 40 Werke, kreisen um ein damals wie heute aktuelles Thema: Psychedelische Erlebniswelten. Hermetisch versiegelt hängen wabernde Mandalas, Milchstrassen aus Pillen, ekstatische Blumen und Stammbäume aus Cannabisblättern an den Wänden. Oder Fotogramme, die auf der Drogenvergangenheit seiner Modelle basieren und an astrologische Sternbilder erinnern: „Chemisch-himmlische Porträts des inneren und äußeren Raumes“, wie in "Portrait of Laura" (1995). Und dann gibt es noch Vögel, immer wieder Vögel: Flatternd und zirpend, mal mit blinden Augen, dann mit riesigen Pupillen, gemalt oder ausgeschnitten. Anfangs sind sie oft klein, im Lauf der Karriere werden sie zusehends größer: "Big Raven" (2008) oder "Night Music for Raptors" (2010).

Eine weitere Utopie, mit der sich Tomaselli auseinandersetzt, ist die Idee der USA. Ihn interessiert, so der Begleittext zu "Desert Bloom" (2000), wie der amerikanische Messianismus – stets auf der Kippe zwischen anarchistischem Individualismus und unbedingter Gesetzestreue – den Landschaften des mythischen Westens den Stempel seiner Ideologien aufsetzt – ein Aspekt, der in der Ausstellung zu kurz kommt.

Das Brooklyn Museum zeigt Werke ab 1990: Wenig Minimalistisches, viele Sinnesexplosionen. In dem erwähnten Video sagt Tomaselli, er würde gerne wissen, welche kollektiven Erfahrungen die Besucher beim Betrachten seiner Bilder machen. Ja, welche Erfahrungen machen sie?  

Fred Tomaselli im Brooklyn Museum, noch bis 2. Januar 2011

http://www.youtube.com/watch?v=5VuAzThzH_E