Annette Messager in Düsseldorf

Windtanz in den Knochen

Unter einem Seidentuch im Souterrain des K21 harren Plüschtiere in Dunkelheit aus. Wind fegt über sie hinweg, das Tuch bläht sich, Därme oder eine übergroße blutrote Hand warten darauf, dass das flackernde Licht auf sie fällt. Es gibt nicht einen schwindelfreien Schritt vor der Wunderkammer, die Annette Messager im Düsseldorfer Ständehaus eingerichtet hat. Man verrenkt den Hals, geht in die Knie, irritiert über die schamhafte Geste des Verhüllens.

Was bei der raumgreifenden Installation "Sous vent" ("Unter Wind") von 2004/10 unbewusst bleibt, drängt sich nebenan, bei "Motion/Emotion" (2011/14), geradezu körperlich auf. Plastiktüten, Kleidungsstücke und sogar eine langhaarige Perücke baumeln an Fäden herunter. Eine Gruppe Ventilatoren darunter lässt sie ein Ballett aufführen, das wilde Schatten wirft. Anschließend geht es zurück in das Reich der Düsternis. Gleich zwei Räume warten mit Ensembles von verkohlten Requisiten auf. Mal okkupieren Puppenköpfe und ineinander verkeilte Paare, die sich auf Paletten dem Oralsex widmen, den Boden. Mal schweben schwarze Kontinente kopfüber unter der Decke. Man spürt, mit welchem Ernst die 1943 geborene Französin Kindheit als ein freudianisch aufgeladenes Terrain der Selbsterkennung beschwört.

Messager heißt übersetzt Bote. In ihrem Land ist die Botschafterin verborgener Gefühle eine Berühmtheit. Sie ist eine frühe Meisterin der Assemblage, in einer spezifisch weiblichen, oft auf den Körper bezogenen Variante. In den 70ern begann die langjährige Partnerin von Christian Boltanski mit Stickereien, ausgestopften Tieren, Fotografien und vielen anderen Materialien zu arbeiten. Spielerisch gab sie sich mehrere Identitäten, als Sammlerin und als Künstlerin. Sie erforschte die Zerstückelung des weiblichen Körpers im Bild, die traumatische Natur der Sexualität und ging ähnlich wie Mike Kelley dem Fetischcharakter von Plüschtieren nach. Etwas Grusel ist immer dabei, schon bei den ausgestopften Spatzen im Frühwerk, denen sie kleine Pullover und Jäckchen gestrickt hatte.

2005 bekam Messager den Goldenen Löwen der Venedig-Biennale, die feministische Kunst sieht in ihr eine Ikone. In Deutschland liegt ihre letzte Einzelschau fast 25 Jahre zurück – eine große Präsentation war also fällig. Doch wird leider kaum ersichtlich, was das Werk für die Jetztzeit attraktiv macht. Zumal im zentralen Ausstellungsraum der Atem von 1968 abgestanden duftet. In "Les interdictions en 2014" wettert die Künstlerin mit Parolen der Mai-Revolte gegen eine angeblich grassierende Verbotsmanie, als böten die Entgleisungen in der Digitalwelt keinen dringenderen Aufreger. Ein Spätwerk, das Sinnfragen nur vortäuscht.

Dann lieber zurück zu dem kleinteiligen Kosmos von "En Balance" von 1998. Fotos von zerlegten Körperteilen bestickt die begnadete Handwerkerin mit Wolle, verknüpft sie an der Wand zu einem Netz – und schafft unendlich viele Verbindungen: Die Vulva wird zum Herzklumpen, der aufgerichtete Penis bekommt die Aura einer deformierten Blume. Man kann Messager nicht überallhin folgen. Aber den einen oder anderen Windtanz spürt man länger in den Knochen.

"Annette Messager. Exhibition/Exposition", K21, Düsseldorf, bis 22. März 2015