Portugal Arte 10

Wir nennen es Überblicksschau

Die Idee Kunstbiennale ist eine Erfolgsgeschichte. Stadt um Stadt legt sich eine zu, und jetzt hat auch Lissabon eine große, mit viel Enthusiasmus eingerichtete Kunstausstellung, die alle zwei Jahre stattfinden soll: die Portugal Arte. Die Veranstalter scheuen jedoch das Wort „Biennale“ – vielleicht, weil es Ambition verspricht, die sie nicht haben. Sie nennen das Ereignis nüchtern "Abriss", „Überblicksschau“. Doch was fehlt, ist genau dies: der Überblick.

Auf der ersten Ausgabe der Portugal Arte, die einen Monat lang dauert, stellen über 100 Künstler aus, renommierte und unbekannte, auf Plätzen in der portugiesischen Hauptstadt, im ehemaligen Portugal-Pavillon auf dem Gelände der Expo von 1998, in den Städten Grandola, Portimão, Vila Real und Santo Antonio, in Orten also, die Autostunden von Lissabon entfernt sind. Eine übergreifende Idee oder ein Motto wird der Besucher vergeblich suchen – die Ausstellung zerfällt in mehrere, von verschiedenen Kuratoren eingerichtete Einzelschauen. Und vielleicht ist das eine Biennale, die sich nicht an Besucher richtet, nicht an ein Kunstpublikum, sondern an Passanten und Autofahrer, die die in Parks, Häfen, auf Plätzen und am Straßenrand ausgestellten Werke eher zufällig entdecken.
Für viele Leute im doch recht überschaubaren Kunstbetrieb der portugiesischen Hauptstadt wurde die Biennale deshalb auch eine echte Überraschung. Die vom künstlerischen Direktor Stefan Simchowitz und Leiter Miguel Carvalho mit Elan und potentem Sponsor, dem Energieunternehmen EDP, organisierte Schau knüpft selten an die lokale Szene an. Diese Ferne zu den Ausstellungsorten ist auch dadurch bedingt, dass Portugal Arte von der Stadt und den Kommunen kaum finanzielle Unterstützung erhält; selbst den Portugal-Pavillon mussten die Ausstellungsmacher von der Stadt mieten.

Mehr als konventionelle Stadtmöblierung?
Dabei könnten sich Lissabon und die malerischen Orte im Süden des Landes freuen über diese Veranstaltung: Portugal Arte 10 macht wenig Umstände, besetzt nur kurzzeitig Räume, definiert sie aber nicht um. Die Ordnung wird hier nur in Ausnahmen angetastet. Andeutungsweise etwa mit den vier Skulpturen des US-Künstlers Sterling Ruby auf dem Platz Rossio im Herzen von Lissabon: Ihre minimalistische Nüchternheit strahlt inmitten der von Geschäftigkeit und neoklassischen Fassaden bestimmten Atmosphäre etwas Widerständiges aus. Aber wahrscheinlich werden sie lediglich als konventionelle Stadtmöblierung wahrgenommen. Am Abend, als Spanien Fußball-Weltmeister wurde, schreckten jedenfalls zahlreiche Fans nicht davor zurück, die Eisenblöcke zu erklimmen und darauf ihre Party zu feiern.

Auf der Portugal Arte kommt ein Großteil der Kunst aus Amerika; das Land schaut seit den Tagen der großen Eroberer in Richtung Westen. Gleich mehrere Ausstellungen beschäftigen sich mit der kubanischen Szene, im Portugal-Pavillon zeigt eine Schau junge Werke kalifornischer Künstler und auch in den anderen Ausstellungen dort dominieren US-Amerikaner.
Was Sujets und Ansätze angeht, könnte der Kontrast zwischen Kubanern und Nordamerikanern kaum größer sein. Während bei den austauschbaren Gruppenausstellungen im Portugal Pavillon, die nichtssagende Titel tragen wie „Personal Freedom“, „Inside/out“ oder „Point of View“, knallige, bunte Überwältigungskunst und psychedelische Abstraktionen überwiegen, bleiben die Kubaner eher nüchtern, monochrom und inhaltlich.

Romantische Irritation
Doch trotz der zersplitterten Topografie hat diese Biennale durchaus ihre Momente. Die von Lauri Firstenberg kuratierten Werbetafeln an der Straße auf der Halbinsel Tróia, die statt Reklame Kunst-Fotografie zeigen, die aber aussieht wie Reklame. Die riesige Installation „Refuse to Accept Limits“ von John Miller: eine Ruinenstadt im zwischengenutzten Portugal-Pavillon, dem ja auch jederzeit ein Ruinendasein droht. Dann die künstliche Ruine des New Yorker Künstlerkollektivs Fail auf dem Platz Praça dos Restauradores, die Elemente der verkachelten Fassaden der Häuser aufnimmt und einen Moment romantischer Irritation schafft. Überzeugen kann auch eine Wortskulptur von Olaf Breuning, die fragt: „Handelst du moralisch oder benimmst du dich lediglich?“, und das in Grandola, der Stadt, von der 1974 entscheidende Impulse zur Nelkenrevolution ausgingen.

An diesen gelungenen Präsentationen, in denen sich Bedeutung verdichtet und Ort und Kunst zueinander kommen, zeigt sich das Potential, das in dieser und in jeder Biennale steckt. ein bisschen mehr Konzentration hätte dieser ersten Ausgabe gut getan.

Bis 15 August an verschiedenen Orten in Portugal