Althen-Preisträgerin Antje Stahl im Interview

"Wir suchen doch das Streitgespräch"

Die "NZZ"-Redakteurin Antje Stahl hat den Michael-Althen-Preis für Kritik erhalten. Doch neben dem vielen Zuspruch klang in der Laudatio des "FAZ"-Herausgebers Jürgen Kaube auch Skepsis durch. Und die Macher der in ihrem prämierten Text rezensierten Ausstellung schreiben einen empörten Brief. Was ist da los?

Antje Stahl, herzlichen Glückwunsch! Ich hoffe, Sie freuen sich noch über die Auszeichnung, auch wenn die Laudatio von "FAZ"-Herausgebers Jürgen Kaube - leicht abgeändert von Joachim Bessing wiedergegeben - so klang, als habe er Ihnen eins auswischen wollen. Haben Sie das auch so empfunden?
Überhaupt nicht. Natürlich erwartet man von Preisverleihungen, dass man dort ausschließlich geehrt wird, geliebt und hofiert, aber so einen Abend zum Anlass zu nehmen, um eine Debatte zu eröffnen - warum nicht? Wir suchen doch die Diskussion und das Streitgespräch. Und die Debatte, die Herr Kaube ansprach, beschäftigt uns alle.

Jürgen Kaube hatte sich geärgert, weil Sie Ihn in einem Artikel für seine vermeintliche Verteidigung der Kunstfreiheit kritisiert hatten. Er steht in Ihren Augen für eine reflexhafte Empörung, wenn der Kunstkanon in Frage gestellt wird, zum Beispiel durch das Abhängen des Nymphenbildes in Manchester im Rahmen einer Kunstaktion, die für viel Erregung gesorgt hatte.
Genau. Spätestens seit dem Dana-Schutz-Fall melden sich ja immer mehr Stimmen zu Wort, denen der künstlerische Umgang mit diesem oder jenem Thema missfällt. Meistens geht es um die kulturelle Aneignung, um moralischen Anstand oder - wie in Manchester - einfach nur um eine Provokation, um über den Kunstkanon zu diskutieren. Viele Kritiker haben diese Vorgänge jedoch so aufgeregt, dass sie von "Entartung der Kunst" sprachen, also dazu einluden, Studenten und Künstler in die rechte Ecke zu stellen und mit Nationalsozialisten zu vergleichen. Diese Rhetorik ging mir einfach zu weit, deshalb habe ich versucht, Fragen nach der Kunstfreiheit und Machtverteilung noch einmal auf eine andere Weise zu stellen, als das bislang getan wurde.

Kaube sagte in der Laudatio, er sei skeptisch, ob "es Malerinnen und Maler gibt — als Geschlechtsgruppen". Ist er da nicht sehr bei Ihnen, wenn Sie mit Ihrem preisgekrönten Text "No more Frauenghetto, bitte" eine Ausstellung mit dem Titel "Frau Architekt" zurückweisen?
Wie kommen Sie darauf, dass ich die Ausstellung zurückweise? Ich habe versucht, grundsätzlich die verflixte und paradoxe Lage zu problematisieren, in der wir uns befinden: Einerseits gibt es eine Sonderbehandlung von Frauen, die nicht nur berechtigt, sondern sogar notwendig ist. Anderseits kann und wird gerade die Sonderbehandlung sie ausgrenzen.

Kaube spricht einem Universalismus der Kunst das Wort, den manche als typisch für weiße Männer ansehen, weil sie aus einer privilegierten, unmarkierten Position heraus sprechen. Vielleicht ergibt sich ihre Wut im neuen Kulturkampf daraus, dass sie unmarkiert bleiben wollen, also Unterschiede verschleiern möchten …
Dass es Unterschiede gibt, darüber müssen wir nicht diskutieren, das arbeitete die Ausstellung "Frau Architekt" so gewissenhaft und detailliert heraus, wie kaum eine andere. Sie zeigte: Es gab und gibt immer wieder politische, publizistische oder sonstige Entscheidungen, die Architektinnen an den Rand drängen und die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zementieren. Aber die Anerkennung der Ungleichheit bedeutet eben nicht, dass wir immer weiter ungleich behandelt werden wollen. Die Abwesenheit von Benachteiligung und Diskriminierung ist doch unsere große Utopie, auf die wir alle hinarbeiten, nur streiten wir uns um die Mittel, wie wir das erreichen. 

Die Debatten über Identitätspolitik und Kulturkampf werden in Deutschland weniger vehement, schon fast ein bisschen hilflos gehalten, weil die Begriffe und Argumente nicht so klar verteilt sind wie im angelsächsischen Raum. Was müssen Kritiker hierzulande noch lernen?
Es gibt einen schönen Text von Julia Pelta Feldman, die versucht, sich der Position einer Gegnerin von Dana Schutz, nämlich Hannah Black, vorsichtig und auch persönlich, quasi auf Zehenspitzen zu nähern. Und, ganz ähnlich wie ich das im Anschluss gemacht habe, die Positionen in eine Kunstgeschichte einzuordnen, um die Emotionen etwas in den Griff zu bekommen. Wir versuchen so großen Worten wie Kunstfreiheit erst einmal Fragen voranzustellen: Wer spricht? Wer bezahlt? Wer stellt aus? Wer entscheidet?

Aber ist diese Art der Einfühlung, wie sie Feldmann vorschlägt, nicht wiederum kulturelle Aneignung?
Ich würde das Empathie nennen.

Wie beurteilen Sie den Protest gegen das NRW-Forum Düsseldorf? Dem Direktor Alain Bieber wurde vorgeworfen zu viele Männer auszustellen, der wiederum hielt die Form der Kritik, die er "Online-Pranger" nennt, nicht für angemessen.
Ein medialer Shitstorm ist niemals angenehm, aber soweit ich die Diskussion verfolgt habe, wurden nicht nur Likes verteilt, sondern eben auch Reden und Gegenreden formuliert. Allerdings ließen die Herren Kuratoren und Direktoren kaum nachvollziehbare Gründe durchscheinen, warum sie, ähm, nur einen, Frauennamen auf die Künstlerliste gesetzt haben. Im Gegenteil. Sie versuchten ihren Kritikern den Mund zu verbieten und markierten eine intellektuelle Pseudo-Überlegenheit, über die man, wäre sie nicht so aufgeblasen, tatsächlich lachen müsste. Es wäre sicher gut gewesen, wenn Alain Bieber oder Florian Waldvogel an der Diskussion in der Berliner Volksbühne teilgenommen hätten. Im Rahmen seiner eigenen Peer Group, oder wie man heute sagen würde: Blase, ist man sich immer einig. Veränderung oder sogar Verständnis allerdings erreicht man nur miteinander. Das klingt kitschig, ist aber die Wahrheit. Im Zweifel helfen Slogans wie "No more dick soup", so lustig sie auch sind, auch nicht weiter - da stehen sich dann Frauen und Männer wie Feinde im Krieg gegenüber.

Die Beteiligten an "Frau Architekt" haben gegen die Verleihung des Althen-Preises in einem offenen Brief protestiert. Sie werfen Ihnen "Oberflächlichkeit und Absinken ins Klischee" vor, "Fake statt Fakten" bildeten die Grundlage. Wie viel Freiheit und Zuspitzung erträgt eine Polemik?
Ein Text sollte eigentlich für sich sprechen … aber klar: Ich finde es sehr bedauerlich, dass in Zeiten von "Breitbart News" so ein großer Begriff wie "Fake News" auf ein literarisches Stilmittel übertragen wird, das eine so lange und schöne Tradition hat. Ich erfinde gleich zu Beginn des Artikels einen freien Dialog zwischen einer Mitarbeiterin und einem Chef, um ein Klischee - was auch sonst? - auszustellen, das sich jeden Tag aufs Neue wieder bestätigt. Nach Veröffentlichung des Artikels haben mir Kuratorinnen sogar geschrieben, dass sie dankbar waren für diese Übertreibung - übrigens auch ein Stilmittel -, weil sie mit meinem Artikel zu ihren männlichen Vorgesetzten gehen konnten, um so Frauensammelgeschichten in Zukunft zu verhindern. Warum das Deutsche Architekturmuseum diese Einleitung nicht mit Humor nimmt, einer richtig tollen und von mir verehrten Jury sogar das Urteilsvermögen abspricht, müssen Sie andere fragen. Das Material, das die Schau zusammengetragen hat, feiere ich über sehr, sehr viele Zeilen ja sogar ab. Aber wenn man die Architekturgeschichte umschreiben will, sollte man das nächste Mal vielleicht einfach das ganze Haus zur Verfügung stellen - und nicht nur eine Etage. Jedenfalls hätten das die vielen Frauen Architektinnen verdient. 

Was haben Sie gelernt aus dem Gegenwind, der paradoxerweise Ihre Auszeichnung umwehte?
Dass es wahnsinnig viel Sinn macht, Texte zu schreiben, weil sie hoffentlich dazu führen, dass wir - wie am Abend der Preisverleihung dank der Laudatio von Herrn Kaube - über Inhalte diskutieren und sich etwas verändert.