Debatte

Zu musealer Größe aufgepumptes Theater

Ihre Mittel brachial, die Formate riesig, die Botschaft schrecklich banal: Warum es Zeit ist für eine Neubewertung der Fotokünstlerin Cindy Sherman

Cindy Sherman, die "Frau mit den vielen Gesichtern" – für mich hat sie immer nur eines: das des Horrorclowns, der sich hinter der dicken Schminke kaputtlacht über das denkfaule Zirkuspublikum. Ihre Mittel sind brachial, die Formate riesig, die Botschaft schrecklich banal.

Kritiker, Sammler, Museumsbesucher raunen angesichts von Sher­mans Make-up-und-Photoshop-Groteske die abgedroschensten Sätze, Phrasen wie: Wer bin ich und wenn ja, wie viele? Schwafeln was von brüchigen Identitäten und den Rollen, die wir alle spielen, als Frau, Künstlerin, Mensch. Schon recht, aber ähnliche Gedanken löst bei mir jede bizarr überzeichnete Figur aus – dafür reicht Cindy aus Marzahn, wozu brauche ich Cindy aus New York und ihr von Institutionen und Markt zu musealer Größe aufgepumptes Theater?

In den letzten Jahren hat die existenzialistische Cindy-Exegese dann noch einen medienkritischen Einschlag bekommen: Die Fotokünstlerin beziehe sich nicht allein auf Kino, Schauspiel und darstellende Künste, sondern parodiere auch den Selbstinszenierungsexzess in den sozialen Medien. Dabei kann sich eine 16-jährige Influencerin auf kaum eine bessere Instanz als Cindy Sherman berufen, wenn sie für ein Produkt oder Eigenwerbung ihr süßestes Duckface aufsetzt: Es gibt kein wahres Ich, nur den Maskenball der Illusion – wozu aufrichtig sein?

Auch die implodierten Fratzen der Schönheitschirurgie, die Sherman so gerne nachäfft, schauen mit diesem ureigenen Sherman-Blick in den Spiegel: Operierte Sammler-Ladys und Luxushausfrauen lieben die 64-Jährige, weil sie ihre Körper genauso als künstlerisches Material begreifen wie sie.

Sicher, Cindy Sherman ist eine starke Frau, und doch stellt sie Frauen als falsch und theatralisch dar. Den Frauenkörper als schwach, zombiehaft und verfügbar. 2003 brachte der Künstler Brian Kennon das absurd chauvinistische Buch "The Cindy Shermans I’d like to fuck" heraus, in dem er all ihre Werke mit begehrenswerten Frauenfiguren versammelte. Es waren einige. Die Künstlerin durchbricht Geschlechterklischees? Von wegen! Indem sie Vorurteile endlos reproduziert und übertreibt, verfestigt sie sie.