Zum Tod von Jürgen Schadeberg

Ein deutscher Fotograf im Apartheid-Regime

Der deutsche Fotograf Jürgen Schadeberg 2011 vor einer Galerie in Paris
Foto: dpa

Der deutsche Fotograf Jürgen Schadeberg 2011 vor einer Galerie in Paris

Er galt als "Vater der südafrikanischen Fotografie": Jürgen Schadeberg, in den 50er-Jahren Cheffotograf des legendären "Drum"-Magazins, ist im Alter von 89 Jahren gestorben

Im Jahr 1950 besteigt ein 19-jähriger Berliner einen Dampfer nach Kapstadt. Eigentlich würde er viel lieber nach Amerika auswandern, nach New York, in die Stadt von Alfred Stieglitz und Man Ray. Aber in den Vereinigten Staaten sind Deutsche so kurz nach dem Krieg ungern gesehen. In Südafrika stehen seine Chancen trotz magerer Englischkenntnisse besser, hofft der Nachwuchsfotograf Jürgen Schadeberg. An der "Fachschule für Optik und Fototechnik" in Berlin hat er seit 1946 studiert und zuletzt als Volontär bei der Deutschen Presseagentur in Hamburg gearbeitet. Seine Heimat Deutschland, die er "gelernt hat zu verabscheuen, zu hassen", will er verlassen.

Ein Blick zurück: 1931 wird Schadeberg in Berlin geboren. Sein erstes Foto schießt er mit zwölf Jahren in einem Luftschutzkeller. Das Bild zeigt die Bewohner eines Hinterhauses am Kurfürstendamm. Trotz Fliegeralarm wirkt die Stimmung gelöst, fast fröhlich. Ein Mann spielt Akkordeon, andere trinken Bier. Die Mittelklassewohnungen im Vorderhaus haben ihren eigenen Keller. Und obwohl Schadeberg eigentlich dorthin gehört, fühlt er sich in der gedrückten Atmosphäre unter den Bessergestellten fehl am Platz. Mit Platten von Louis Armstrong versucht er, die Stimmung aufzuheitern, aber der Jazz – schon damals seine Lieblingsmusik – stößt auf wenig Begeisterung.

Als Schadeberg 1950 in Südafrika ankommt, beschleicht ihn dasselbe Gefühl des Fremdseins in der eigenen Gruppe. Der Rassismus der Weißen stößt ihn ab und obendrein langweilt ihn deren spießige Kultur: Tee und Kricket lassen den jungen Fotografen kalt. In einer "Shabeen", einer illegalen Jazz-Kneipe mit ausschließlich Schwarzem Publikum, entdeckt er das Schwarze Südafrika – es erscheint ihm ungleich lebendiger.

Bilder voller Lebenslust

Arbeit findet Schadeberg nur schwer. Die Dokumentarfotografie ist in Kapstadt und Johannesburg noch nicht etabliert, es fehlt an Illustrierten. Zudem scheuen die Weißen den jungen Fotografen, den manche von ihnen gar für verrückt halten. Durch Zufall stößt er 1951 auf "Drum", ein Magazin, das sich explizit an die Schwarze Bevölkerung richtet. Außer dem Eigentümer und dem Chefredakteur ist Schadeberg der einzige Weiße, der für die Zeitschrift arbeitet. Seine Aufgabe ist es, eine Fotoredaktion aufzubauen, für die er junge Leute anwirbt. Der Deutsche fördert Talente wie Peter Magubane oder Bob Gosani und wird so zum Vater der südafrikanischen Fotografie.

Für "Drum", das sich rasch vom Boulevardblatt zum ambitionierten Reportagemagazin entwickelt, dokumentiert er den Alltag und die Kultur der Townships: prall gefüllte Tanzsäle, Jazzbands, Boxer beim Training, aber auch die ärmlichen Hütten, in denen Arbeitslose hausen. Er fotografiert die ersten Schwarzen Frauen, die selbstbewusst Mode präsentieren, die Sängerin Miriam Makeba oder den jungen Nelson Mandela.

Chronist des Apartheid 

Schadebergs Fotos richtet sich mal subtiler, mal offensichtlicher gegen das menschenverachtende System der Apartheid. 1956 etwa bildet er die Schwarze Christina Baloyi ab. Wirklich zu sehen ist aber nur ihr Ausweis, der sie als Dienerin identifiziert. Seit 1955 ist es für jede Frau Pflicht, dieses Dokument stets bei sich zu tragen, genau wie Pass und Aufenthaltsgenehmigung. Fehlt eine der Bescheinigungen, folgt die Festnahme wegen Landstreicherei.

Schlimmer noch als diese bürokratische Schikane trifft die Schwarzen der Beschluss, Sophiatown abzureißen. Der einzige Vorort von Johannesburg, in dem alle Hautfarben gemischt zusammenleben, hat eine lebhafte Kulturszene, die der Apartheid-Regierung ein Dorn im Auge ist. Ab 1955 werden die Bewohner des Viertels zwangsumgesiedelt, damit der weiße Vorort "Triomf" anstelle des "Schandflecks" gebaut werden kann. Schadeberg dokumentiert den Widerstand der Anwohner und einige Jahre später die traurigen Ruinen.

Das fotografische Engagement des Deutschen gegen die Apartheid bleibt der Regierung nicht verborgen: Schadeberg wird bespitzelt, der Journalist Henry Nxumalo, mit dem er eng zusammenarbeitet, gar ermordet. Spätestens als 1963 die Townships im Westen von Johannesburg unter dem Namen Soweto zusammengelegt werden, weiß der gebürtige Berliner, dass seine Zeit in Südafrika ihrem Ende entgegen geht. Im folgenden Jahr zieht er nach London.

Dort arbeitet er als Chefredakteur für die Zeitschrift "Camera Owner", später als Fotojournalist etwa für den "Observer", die "Zeit" oder die "Sunday Times". Er reist viel, besucht unter anderem seine Heimat Berlin und fotografiert dort die Mauer, Punks, Passanten, spielende Kinder. "Irgendwie bleibt man immer Berliner", findet Schadeberg. Doch dauerhaft kehrt er nie mehr nach Deutschland zurück: Vier Jahre lang studiert er in Spanien Malerei, unterrichtet dann an der New School in New York und an der Central School of Art & Design in London. Die Kamera ist natürlich immer dabei: Sie fängt Bilder ein von New Yorks steilen Straßenschluchten, Glasgows Problembezirk Gorbals, der 1968 ein ähnliches Schicksal erleidet wie Sophiatown, und von katholischen Prozessionen in Málaga.

Ein Bild von Mandela wird zur Ikone

Und obwohl gerade New York ihn fasziniert, lässt Afrika Schadeberg nicht los: Er reist immer wieder auf diesen Kontinent, 1973 etwa nach Botswana. Als er 1985 erfährt, dass es mit der Apartheid-Regierung bergab geht, kehrt er mit seiner Frau Claudia nach Südafrika zurück. Die beiden machen sich auf die Suche nach den Negativen der "Drum"-Fotos und widmen sich dem Aufbau eines Archivs. Ihre Arbeit mündet 1990 in "Mr. Drum", einem Spielfilmprojekt, das auf realen Ereignissen der 50er-Jahre beruht. Zwei Wochen vor Beginn der Dreharbeiten stoppt der Staatsschutz das Vorhaben. Zahlreiche andere Dokumentationsfilme über die kulturelle und politische Geschichte der Schwarzen kann das Paar aber realisieren.

Sein wohl berühmtestes Foto schießt Schadeberg 1994: Es zeigt Nelson Mandela in seiner ehemaligen Gefängniszelle auf Robben Island. Das Bild ist zu einer Ikone des demokratischen Südafrika geworden. Dem Deutschen ist aber deutlich bewusst, dass mit dem Ende der Apartheid noch längst nicht alle Probleme gelöst sind: "Die Realität ist alles andere als schön", sagt er und kämpft unermüdlich dagegen an: Schaderbergs sozialkritische Fotoserien rücken Obdachlose in Johannesburg, das Leben im ärmlichen Kliptown und den Alltag von Landarbeitern ins Kameralicht – Bilder, die in den westlichen Medien sonst nicht auftauchen.

"Gewöhnlich werden die Menschen mit zunehmendem Alter etwas ruhiger", stellt Claudia Schadeberg 2007 fest, "nicht so Jürgen. Seine Energie, sein Elan, sein Arbeitspensum werden mit den Jahren nur noch größer, und zu meinem Leidwesen ist Urlaub in seinem Terminplan nicht vorgesehen." Am Samstag ist Jürgen Schadeberg, der zuletzt mit seiner Frau in Spanien lebte, im Alter von 89 Jahren an den Folge eines Schlaganfalls gestorben.