Martin Margiela bei Zeno X
Als er sich 2009 aus der Modewelt zurückzog, verschrieb sich Martin Margiela der Kunst. Anlässlich der Fiac werden seine Werke nun erstmals ausgestellt – in einer Einzelausstellung in den Galerieräumen von Lafayette Anticipations ebenso wie am Messestand der Zeno X Gallery. In Margielas "Torso"-Serie verschmelzen Sockel und Skulptur zu einer organischen Einheit, die von den Zuschauerm und Zuschauerinnen auch durch Berührung erfahren werden soll. Die abjekthaften Muskelformationen und die weiche, an einigen Stellen von Abnutzungsspuren gezeichnete künstliche Haut, stellen die Ikonografie männlicher Stärke in Frage. Bei der Auswahl der zwischen weiß und rosa changierenden Farbtöne hörte die Subversion dann wohl jedoch wieder auf.
Sin Wai Kin bei Soft Opening
Sin Wai Kin hinterfragt in ihren* Drag-Performances stereotype Gender-Normen. Nach ihren Auftritten erzeugt die* nonbinäre Künstler*in mithilfe von Kosmetiktüchern Abdrucke ihrer* kunstvollen Make Up-Looks, die das einzige materielle Produkt ihrer ephemeren Praxis verbleiben. Am Stand der jungen Londoner Galerie Soft Opening werden erstmals zwölf der zwischen 2017 und 2021 entstandenen Arbeiten ausgestellt, die Sin Wai Kin als Totenmasken der von ihr verkörperten Charaktere beschreibt.
Kayode Oj bei Sweetwater
Mit seiner Obsession für aalglatten und messerscharfen Luxus macht sich Kayode Ojo wunderbar auf einer Kunstmesse. Nachdem Sweetwater 2018 mit einer Soloausstellung des US-Künstlers eröffnete, begeht die Berliner Galerie nun auch ihre Fiac-Premiere mit einer Einzelpräsentation. Umgeben von Blitzlichtaufnahmen einer durchfeierten Nacht voller Zigarren und zerbrochener Weinglaser treffen am Verhandlungstisch von Milo Baughman zwei mit revolverarmigen Spritzen befalle Comme des Garçons-Aluminiumkoffer aufeinander.
Sven Johne und Émilie Pitoiset bei Klemm's
Bei Klemms beschäftigen sich Sven Johne und Émilie Pitoiset mit eskapistischen gegenkulturellen Praktiken. Johne hat deutsche Prepper beim Survival-Campen im Wald begleitet und Aufnahmen ihrer Hände beim Verrichten diverser Arbeitsschritte mit den aggressiven apokalyptischen Botschaften überlagert, die die Community online miteinander teilt. Pitoisets Arbeiten basieren auf archivarischem Fotomaterial von US-amerikanischen Tanzmarathons der 20er-Jahre, bei denen das tagelange Tanzen bis hin zum körperlichen Versagen als temporärer Ausweg aus der Realität der Großen Depression diente. Ihre digitalen Prints werden durch grafische Wandarbeiten ergänzt, die mithilfe von Songtexten und Rave-Flyer-Semantik die historische Weiterentwicklung jener kulturellen Praktik beleuchten.
Gaia Vincensini bei Gaudel de Stampa
Die Genfer Künstlerin Gaia Vincensini arbeitet für ihre großen Metall-Bilder mit traditionellen Zink- und Kupfer-Gravur-Techniken. Das Resultat sind bezaubernde Assemblagen, in denen Schmiedezunft-Ästhetik auf riesigen Augen und Schwärme kleiner Herzchen treffen, wie man sie aus den Skizzen junger Teenager kennt. Vincensinis Zeichnungen, Malereien und Stickereien sind bevölkert von Markern des kapitalistischen urbanen Raums. Neben Elementen wie dem Logo der Schweizer Investmentbank UBS tauchen jedoch auch Freundschaft und Gemeinschaft auf. im Zentrum ihrer Einzelpräsentation bei Gaulle de Stampa steht ein reich verzierter Banktresor aus glasiertem Ton, der statt materiellen Reichtümern kleine Schutzengel aus Stein birgt.
Agnes Scherer und Paul DD Smith Sans titre (2016)
Foto-Tapeten und -Bodenbeläge sind auf Kunstmessen ein gern genutzter Trick, um Aufmerksamkeit auf den eigenen Stand zu lenken. Agnes Scherer und Paul DD Smith verleihen der Taktik einen konzeptuellen Twist: Die auf dem Boden von Sans Titre (2016) abgebildeten Bilder scheinen Scherers von Smiths Seidenmalereien gerahmte Bleistiftzeichnungen zu spiegeln, entpuppen sich jedoch als komplexere und melancholischere Varianten der Wandarbeiten. Der Titel der Fiac-Installation lautet passend dazu "Tread softly because you tread on our dreams".
Thomas Bayrle bei Neugerriemschneider
Viele Galerien haben ihre Stände sehr konservativ bestückt auf dieser ersten Fiac nach der Pandemie, mit einem braven Best-of ihres Galerieprogramms und vor allem mit Malerei. Hier sticht Neugerriemschneider positiv heraus, die ihren Stand in ein Gesamtkunstwerk von Thomas Bayrle verwandelt haben. Die Wände sind von einer Bayrle-Mustertape überzogen, die sich, genau wie die Gemälde darauf, auf Gemälde der italienischen Renaissance beziehen. Eine gutgeölte Maschine in der Mitte macht leise Musik – es ist ein Citroën-Motor, der französische Chansons pfeift.
Chantal Joffe bei Victoria Miro
Am Stand von Victoria Miro zieht einen das Gemälde eines kleinen Mädchens in Schuluniform in seinen Bann. Ein bisschen x-beinig steht es da und blickt die Betrachterin von unten an, mit einem Ausdruck irgendwo zwischen Trotz und Genervtheit. Chantal Joffe ist bekannt für ihre einfühlsamen Porträts. Flankiert werden sie dieses Mal von einer mit leichter Hand skizzierten Folge von colorierten Zeichnungen, die von einem eigenen Unfall, Krankheit und Rekonvaleszenz handeln, präzise und dicht erzählt.
Nona Inescu bei Spazio A
"Die Venusfalle" nennt die 1991 geborene Nona Inescu ihre Installation am Stand von Spazio A, und auf einer ihrer cleanen, suggestiven Fotografien ist es kein Insekt, das in die Blütenfalle geht, sondern die Hand einer Frau. Den Stand der Galerie hat Inescu in einen Garten verwandelt, in dem man auf Steinen zwischen Skulpturen wandelt, in der Mineral, Pflanze und Mensch sich begegnen.
Gefühl für den Raum bei Sies + Höke
Die Düsseldorfer Galerie Sies + Höke hat eine große Installation aus Gestein von Julian Charrière mitgebracht, der gerade auch im Centre Pompidou bei der Ausstellung zum Prix Marcel Duchamps zu sehen ist. Außerdem bespielen sie den Raum mit einer geschickten Regalkonstruktion, an der eine kraftvolle Fotografien von Paul Hutchinson oder eine Stahl-Pflanzen-Skulptur von Julius von Bismarck wirkungsvoll arrangiert sind. Ein Messestand mit Gefühl für den Raum.
Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr hat auch auf Detektor.fm über ihre Eindrücke von der Fiac berichtet, hier zum Nachhören: