30 Jahre "Raum des verwundeten Affen"

Mit ihrer Mauerstreifen-Arbeit fing Rebecca Horn den Geist der Wendezeit ein

Einen Blick hinter das Zugemauerte werfen: Vor 30 Jahren thematisierte Rebecca Horns "Raum des verwundeten Affen" die Trennung und das Wiederfinden von Ost und West. Jetzt wird es restauriert

September 1990, Potsdamer Platz. Die Mauer war demontiert, Deutschland noch nicht wiedervereint. Mitten im vormaligen Grenzstreifen stand in der Stresemannstraße 128 ein einsames Haus. In einem abgedunkelten Raum zu ebener Erde inszenierte Rebecca Horn vor genau 30 Jahren den "Raum des verwundeten Affen": Auf dem Boden lag Kohle, eine Schneidemaschine bewegte sich geräuschvoll auf und ab, durch ein Fernglas und zwei Löcher in der Fassade konnte man gen Westen blicken. An der Decke waren paarweise sechs schlangenförmige Kupferrohre montiert, die geladen mit Hochspannungsstrom zwischen sich Lichtbögen erzeugen und den Raum in ein spärliches Licht tauchen. Das Gegeneinander der Stäbe wurde am Boden von zwei Metronomen aufgenommen, die verschiedene Zeittakte anschlugen, im Westen schneller als im Osten: "Ticktickticktick, schnell und schneller. Tack tack tack, langsam und ruhig", wie eine Rezensentin schrieb.

Die Idee, die Berliner Grenzsituation mit Kunstwerken zu reflektieren, die installiert im Ost- und Westteil der Stadt die Mauer perforieren sollten, sie entstand schon im Jahr 1986 zwischen Rebecca Horn, Jannis Kounellis und Heiner Müller. Der hielt eine Wiedervereinigung zu diesem Zeitpunkt für realitätsfern. Initiativen zur Realisierung des Projektes wurden in Ost-Berlin abgeblockt. Erst nach der Maueröffnung im November 1989 nahmen Rebecca Horn und Kurator Wulf Herzogenrath die Idee einer Ausstellung im öffentlichen Raum in beiden Stadthälften wieder auf und realisierten sie mit Christoph Tannert und Joachim Sartorius. Bereits wenige Monate später, am 31. August 1990, eröffnete "Die Endlichkeit der Freiheit" in Berlin. Der doppeldeutige Titel spiegelt bewusst die Ambivalenz der Zeit, vermischte Euphorie mit Skepsis: "Endlich Freiheit" implizierte die Freude über den politischen Umbruch; "Endlichkeit" reflektierte zugleich deren zeitliche Beschränktheit.

Es war ein einzigartiges Ausstellungs- wie kulturpolitisches Großprojekt der politischen Wendezeit. Die zum Teil unklaren Zuständigkeiten bei den Behörden erschwerten die Umsetzung einzelner Ideen und machten andere überhaupt erst möglich. Es war das einzige Ausstellungsprojekt dieser Größenordnung, das 1990 von BRD und DDR gemeinsam finanziert und realisiert wurde. Der "Spiegel" nannte sie die "wichtigste Ausstellung" des Jahres. Krzysztof Wodiczko verwandelte das Ostberliner Lenin-Monument an zwei Abenden zu einem Einkäufer mit Aldi-Tüte. Via Lewandowsky, der einzige in der DDR geborene Teilnehmer, verdeckte das Mosaik im Rundgang der Siegessäule mit Styropor. Wie Rebecca Horn erklärten weitere Künstler den Todesstreifen zum Ausstellungsraum: Raffael Rheinsberg formierte je 50 Kabeltrommeln einer Ost- bzw. Westfirma analog zum Mauerverlauf vor dem Martin-Gropius-Bau unter dem Titel "Joint Venture". Hans Haacke zögerte den Abriss eines Wachturms im Todesstreifen vertraglich hinaus und verfremdete ihn mit einem Mercedes-Stern. Auch Rebecca Horn wählte mit dem Raum in der Stresemannstraße am Potsdamer Platz einen noch wenige Monate zuvor für Bürgerinnen und Bürger der DDR unerreichbar inmitten der Grenzanlage liegenden Ort, einen Stellvertreter für die Gefahren und die Bedrohlichkeit der Teilung.

Rebecca Horn, seit 1989 Professorin an der Hochschule der Künste in Berlin, stellte die Konfrontation mit der aktuellen Situation der Stadt vor Probleme inhaltlicher wie praktischer Art: "Man ist hier und jetzt so engagiert in all diese Prozesse, daß es sehr schwer ist, sich zu distanzieren, einen Freiraum, eine Zelle zu schalten, um überhaupt etwas zu inszenieren, das sich dennoch mit dieser Zeit und einem bestimmten Ort auseinandersetzt", formulierte sie während der Vorbereitungen in einem Interview. Mitte Juni 1990 begann in ihr die ldee der Errichtung einer "Klagemauer" am Checkpoint Charlie zu reifen: Vor dem Hintergrund, dass die Mauer zur Eröffnung des Ausstellungsprojektes weitgehend verschwunden sein würde, sollte diese diagonal zur Berliner Mauer verlaufen und zwei Gebäude in Ost und West miteinander verbinden. Menschen sollten lediglich akustisch miteinander kommunizieren können. Ihre zweite Idee sah bereits vor, einen Innenraum in der Zimmerstraße mit Metronomen und Fernglas-Durchblick zum Westen zu bespielen. Beide Projekte scheiterten aus organisatorischen Gründen.


Der finale Ausstellungsort, das Gebäude in der Stresemannstraße 128, wurde im Ersten Weltkrieg als Erweiterungsbau des preußischen Landwirtschaftsministeriums eingeweiht und lag mit Ende des Zweiten Weltkrieges im sowjetischen Sektor. Nach Gründung der DDR 1949 zog der Verband der Konsumgenossenschaften ein, der den staatlich gelenkten Lebensmittelhandel verwaltete. Die bestehenden Ladengeschäfte im Erdgeschoss blieben vorerst noch geöffnet. Mit dem Mauerbau wurde das Gebäude Teil der Grenzanlagen: Bunker, Wachtürme, Lichttrassen und Stolperdrähte, die Alarm und Leuchtraketen auslösen, ergänzten über die Jahre das System. Die abschließende Mauer zur Westseite war 3,60 Meter hoch und gehörte zur vierten Generation aus dem Jahr 1975. Die Hinterlandmauer wurde in den 1980er-Jahren direkt an das Gebäude angesetzt.

Indem Horn den Raum zugänglich machte, betonte sie den euphorischen Moment der Maueröffnung, die nicht zuletzt das Ende des Schießbefehls zur Folge hatte. Zugleich war die deutsche Teilung noch sichtbar in das räumliche Setting eingeschrieben, so durch eine in die Hinterlandmauer eingebaute Tür und verbarrikadierte Schaufenster des einstigen Geschäftes gen Westen. Horn versinnbildlichte die Grenzanlagen in ihrer permanenten Gefahr: Der abgedunkelte Raum machte deutlich, was für Bürgerinnen und Bürger der DDR Jahrzehnte Realität war. Die Schneidemaschine kann als Metapher für die Grenzsoldaten interpretiert werden, die eingesetzt waren, um die DDR vor Republikflüchtlingen zu schützen. Dieser Eindruck wurde gestützt von der Geräuschkulisse: Das Klacken der Maschine erinnerte an automatische Schießanlagen, die auf kleinste Bewegungen reagierten.

Eine Filzstift-Skizze von Rebecca Horn im Ausstellungskatalog verdeutlicht die Lage des Raums inmitten des Grenzstreifens. Die Nähe zum Potsdamer Platz ist durch einen Halbkreis angedeutet, die Grenzanlagen symbolisiert durch schematisch dargestellte Strommasten. Die Formulierung "Fluss der Angst zu ertrinken" steht als Wassermetapher für die Bedrohlichkeit des Grenzstreifens. Ergänzt wird die Skizze um ein Märchen der Gebrüder Grimm, das neben menschlich agierenden Würsten einen Affen mit Kopfwunde erwähnt – Titelinspiration für Rebecca Horn, zumal die Gebrüder Grimm ab März 1847 unweit des Raums gewohnt hatten. Dass auch der obere Teil der Papierschneidemaschine an einen Affenkopf erinnert – Zufall.

Sie stammt aus den 1920er-Jahren und verweist auf die damalige Metropole Berlin, schneidet, wie es Horn in einem Gedicht formuliert, "kontinuierlich die Zeit der Vergangenheit". Die Bewegung der Maschine, sie kann als Akt des Trennens gedeutet werden, der der Stadt Berlin widerfahren ist. Die Affen-Mensch-Maschine thematisiert zudem die Entfremdung des Soldaten vom Akt des Mordens durch das Medium des Gewehrs. Auch das Fernrohr, das aufgrund der zwei in die Außenfassade installierten Löcher den Blick gen Westen gewährte, steht stellvertretend für die hier nicht einmal ein Jahr vor dem Ausstellungsprojekt noch stationierten Grenzsoldaten. Die Situation des einseitigen Blicks nach außen, des ungestörten Beobachtens von Nichtwissenden, sie erinnert zudem an die Aussichtsplattformen mit Fernrohren in West-Berlin sowie an die im DDR-Alltag allgegenwärtige Staatsicherheit mit ihren Überwachungsmethoden.

Die schlangenförmigen Kupferrohre, die sich, verstanden als Sinnbild für die Wiedervereinigung von Ost und West, aufeinander zubewegen und zwischen sich Lichtbögen erzeugen, sind im Sinne der ambivalenten Feuer-Metapher positiv wie negativ zu deuten: Feuer zerstört und setzt zugleich Wärme und Energie frei. Bereits in Vorbereitung des Projektes hatte Rebecca Horn formuliert: "Ich glaube, daß durch die Öffnung, den Abriß der Mauer, ein ganz seltsamer Angstzustand entstehen wird, eine Berührungsangst zwischen Ost und West. Das ist ein spannender Moment". Heiner Müller schrieb im Vorwort des Ausstellungskataloges, dass sich der Westen und der Osten zu einem "explosiven Gemisch" versammeln würden. Auch die im unterschiedlichen Takt schlagenden Metronome sind in direkter Verbindung zu seinem Vorwort zu lesen: "Zeitmauer zwischen zwei Geschwindigkeiten: Beschleunigung im Westen, im Osten Verlangsamung." Ein vergleichbares Kupferschlangen-Paar ist Teil von Rebecca Horns 1990/91 entstanden Installation "Time goes by", die noch bis zum 11. Oktober 2020 in der Ifa-Galerie in Berlin zu sehen ist.

Faszination für das Zugemauerte

1987 hatte Rebecca Horn im Rahmen der "Skulptur Projekte Münster" die Arbeit "Das gegenläufige Konzert" realisiert, die den Beginn ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte im ortsspezifischen Kontext markiert: Die Installation in einem Befestigungsturm aus dem 16. Jahrhundert thematisierte die Schrecken des Ortes, der unter den Nazis als Gefängnis und Hinrichtungsstätte genutzt worden war. Das Klopfen von 40 Metallhämmern und flackerndes Kerzenlicht begleiteten den Weg durch den dunklen und wild bewachsenen Innenraum, in dem aus einem in neun Meter Höhe hängenden Glastrichter Wasser in ein rundes Becken tropfte, während ein Schlangenpaar einmal wöchentlich mit einer Maus gefüttert wurde – Proteste blieben nicht aus. Auch hier wurde der Ort integrativer Teil des Werkes. Ihre Installationen in Münster und Berlin bezeugen Rebecca Horns Faszination für das Zugemauerte, Nicht-Zugängliche, das sie durch ihre Arbeit zugänglich macht. 50 Jahre blieb der Turm in Münster versiegelt, bis 1990 das Ladengeschäft in der Stresemannstraße hinter einem Bretterverschlag verborgen. Beide Orte thematisieren dunkle Seiten deutscher Geschichte.

Der versetzte Rhythmus der Metronome, das Rumpeln der Maschine und das Blitzen der elektrischen Entladungen haben dem "Raum des verwundeten Affen" eine unheimliche Atmosphäre verliehen und die Besucherinnen und Besucher körperlich involviert. Das Fernrohr lud dazu ein, die Position des Spähenden zu beziehen und sich in die Lage eines Grenzsoldaten zu versetzen. Dass diese Wirkung maßgeblich von der Anzahl der ihn zugleich Besuchenden abhing, verdeutlichen zwei gegensätzliche Pressestimmen aus dem September 1990: Neugierig hätten sich die Journalisten beim Presserundgang gedrängt, um durch das Fernrohr zu schauen: "Es ist zum Lachen. Menschen drängeln sich, um Menschen zu sehen. Zum Lachen schön." Gegenteilig empfand es ein Kritikerkollege: Es sei ein düsteres, suggestives Ambiente, "das mindestens eines hervorruft (wenn man es allein besucht, nicht in der Heerschar der Journalisten): Beängstigung, Einsamkeit und Schrecken". Yael Bedharsi, damals Studentin bei Rebecca Horn, beaufsichtigte den Raum und schrieb währenddessen in ihr Tagebuch: "Vor dem 'Raum des verwundeten Affen' verkaufen Kinder Betonstücke von der Mauer, 5 DM für ein kleines Stück und 10 DM für ein großes Stück. Amerikanische Touristen kaufen sie als Souvenirs."

Zeitzeugenschaft für das Jahr 1990 ist bis heute schwer dingfest zu machen. Das Ausstellungsprojekt "Die Endlichkeit der Freiheit" versuchte dies, dingfest, jedoch nicht dauerhaft, erklärtermaßen ephemer. Im öffentlichen Raum erhalten hat sich nur Christian Boltanskis "The Missing House" in der Großen Hamburger Straße. Rebecca Horns "Raum des verwundeten Affen" wurde als einziges der ausgestellten Werke mit nicht verbrauchten Ausstellungsmitteln vom Land Berlin für die Nationalgalerie angekauft. Eine orts- wie zeitspezifische Arbeit, deren Bestandteile auch retrospektiv als Metaphern für die deutsche Teilung, für die gegenseitige Beobachtung beider deutscher Staaten, für die Grenzsicherung, für die in der DDR präsente Überwachung wie für den Prozess der Wiedervereinigung interpretiert werden können. 1996 wurde die Installation zur Eröffnung des Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart in Berlin erstmals reinszeniert – im White Cube auf Parkettboden. Statt des Wanddurchbruchs nach draußen sahen sich die Besucher durch die fernglasartigen Öffnungen selbst in einem Spiegel.

Als symbolischer Kommentar zur Situation Berlins auf dem Weg zur deutschen Einheit ist dieses Schlüsselwerk der Sammlung der Nationalgalerie für den Neubau am Kulturforum vorgesehen. Die coronabedingt nur wenige Tage öffentlich sichtbare Restaurierung der Installation im Frühjahr 2020 bildete den Auftakt der Reihe "In Preparation", mit der die Nationalgalerie Einblicke in die Vorbereitungen von zentralen Werken für ihren Neubau am Kulturforum gibt. Die Restaurierung des Werks bringt – nach der Ursprungsversion 1990 und der ersten Museumsversion von 1996 – nun auf Basis einer intensiven Abstimmung mit Rebecca Horn sowie einer engen kuratorisch-restauratorischen Kooperation eine dritte Version des Werks mit sich, angepasst auf die räumliche Situation im Neubau. "Obwohl es bei dieser Art von Kunst darum ging, vor Ort ein Kunstwerk zu schaffen, freue ich mich, dass dieses Werk nach 30 Jahren restauriert und wieder neu aufgestellt werden kann", so Wulf Herzogenrath, einer der Kuratoren des Ausstellungsprojektes "Die Endlichkeit der Freiheit" im Jahr 1990. "Manche Ausstellungen sind sehr punktuell, aber sie können gerettet werden, für die museale Ewigkeit."


Seit 2011 befindet sich im Gebäude in der Stresemannstraße 128 der Berliner Dienstsitz des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Fragmente der früheren Hinterlandmauer sind an ihrem originalen Standort erhalten und architektonisch integriert, eine kleine Fotodokumentation erläutert die wechselvolle Geschichte des Hauses. Wenige Meter weiter hat sich ein Grenzturm erhalten, der privat betrieben wird und am Wochenende gegen Gebühr bestiegen werden kann. Was Rebecca Horns "Raum des verwundeten Affen" kurz nach Maueröffnung subtil vermittelte, ist heute Stadtmarketing: "Nehmen Sie den Blickwinkel eines DDR-Soldaten ein, der einst die Grenze sicherte – auf dem Wachturm am Potsdamer Platz."