Streaming-Tipps

7 Kunst-Filme und Serien, die Sie jetzt sehen sollten

Jetzt auf Apple TV+: Hailee Steinfeld als die Dichterin Emily Dickinson und der Rapper Wiz Khalifa als Gevatter Tod in “Dickinson”
Foto: Apple TV+

Jetzt auf Apple TV+: Hailee Steinfeld als die Dichterin Emily Dickinson und der Rapper Wiz Khalifa als Gevatter Tod in der Serie "Dickinson"

Unsere Streaming-Tipps folgen einer Dichterin in die Isolation, schauen einer Künstlerin in den Kopf und blicken hinter die Kulissen eines queeren Stripclubs


Emily Dickinson: Auf dem Lebensmeer

Emily Dickinson verbrachte ihr ganzes Leben im Lockdown: Die größte aller US-Dichterinnen lebte von 1830 bis 1886 im Haus ihrer Eltern, die meiste Zeit zurückgezogen auf ihrem Zimmer. In ihrer Heimatstadt Amherst kannte man sie als die unheimliche "White Lady", weil sie eine Vorliebe für weiße Kleider hatte und nachts damit durch den Garten wandelte. Zu Lebzeiten veröffentlichte sie lediglich zehn Gedichte, nach ihrem Tod aber fand ihre Schwester Lavinia in einer Truhe Notizbücher mit über 1700 lyrischen Texten. "Du wirst die einzige Dickinson sein, die man in 100 Jahren noch kennen wird", sagt in der Serie "Dickinson" der personalisierte Tod zur jungen Emily, nachdem ihr Vater, der für den Kongress kandieren will, ihr ein Publikationsverbot auferlegt hat.

Und so ist es: Emily ist weltberühmt, ihre Familie kennt man nur noch, weil man sie kennt. "Dickinson" (eine der ersten Produktionen von Apple TV+) erzählt Emily Dickinsons Geschichte jetzt für ein junges Publikum. Dabei kommt es nicht so sehr auf historische Genauigkeit an, sondern um den Teen-Spirt – weshalb die Leute hier auch zu Cloud-Rap tanzen und sprechen wie Millenials. Das wirkt manchmal etwas gewollt, so "fresh" und "frech" wie ein Poetry Slam mit Schiller-Gedichten, aber die großartige Besetzung haut alles wieder raus. Am Ende erinnert uns Emily daran, die Quarantäne gut zu nutzen: Werdet ihr selbst, vielleicht sogar durch Kunst!

"Dickinson" läuft bei Apple TV+



Die kämpferisch-feministische Mrs. Maisel

"The Marvelous Mrs. Maisel"  spielt in einer Zeit, in der perfekte Ehefrauen vor dem Zubettgehen den Lippenstift nachzogen und zum Abschminken noch mal aufstanden, wenn der Gatte schon eingeschlafen war. Miriam, genannte Midge, ist die perfekte Ehefrau, und sie ist auch in allem anderen perfekt: schlagfertige Antworten geben, Mäntel auf Kleider abstimmen, die Straße entlanggehen, den Rabbi einladen, am Mikrofon Witze reißen, Kalbsbrust zubereiten. Es ist die Geschichte einer jungen Frau aus der upper-class im New York der 1950er-Jahre, die ihr Bühnentalent als Stand-up-Comedian entdeckt, als ihr Mann sie für seine Sekretärin verlässt. 

Die Serie "The Marvelous Mrs. Maisel" startete 2017 auf Amazon, im Jahr der Weinstein-Enthüllungen. Als die Welt besonders gut kämpferische, feministische Geschichten gebrauchen konnte (sie kann es immer noch), bot diese hier zur beklemmenden, traurigen und gewalttätigen Wirklichkeit eine Erzählung an, die gewitzt, heiter und stilsicher ist.

Miriam Maisel entspricht den Erwartungen ihrer Frauen unterdrückenden Welt, und entschließt sich gleichzeitig, sie zu unterwandern. Aus ihrer Wut entsteht ein guter Sarkasmus, und weil sie so überaus privilegiert und hübsch ist, hat sie Zugang zu anderen Zuhörern als die räudigen Beatniks im Village. Aber die Figur der Mrs. Maisel ist ein kleines bisschen zu marvelous, um wirklich glaubwürdig auf der Bühne so wütend und unkontrollierbar zu sein. Selbst volltrunken und verheult ist sie noch perfekt, und wenn sie "fuck" sagt, schimmert sie noch wie Perlmutt. Toll ist die Serie trotzdem, auch wenn man sich entschließt, die fabelhafte jungen Frau nicht so komplett hinreißend zu finden wie alle ihre Mitspieler und auch das Autoren-Duo Amy Sherman-Palladino und Dan Palladino sie zeichnen wollten.

Die Entwiklung ihrer Gags vor Publikum machen Spaß, die harte Arbeit des professionellen Humors, der ja stets ein Arbeiten mit der eigenen Situation ist, die im Clinch mit den allgemeinen Standards liegt. Vor allem aber ist die Serie wegen ihrer realen Vorbilder interessant: Figuren wie Lenny Bruce (dargestellt von Luke Kirby), die seinen unkorrumpierbaren Gerechtigkeitssinn, der hinter jeder seiner scharfen Pointen stand, mit Auftrittsverboten und Verhaftungen bezahlten. Man bekommt sofort große Lust, sich "Lenny" von Bob Fosse mit Dustin Hofman in der Rolle von Lenny Bruce von 1974 anzuschauen. Oder sich die frühen Mitschnitte der Auftritte von Joan Rivers anzusehen, deren jahrzehntelange Karriere besser lief als die ihres Gefährten Lenny, der 1966 mit Anfang 40 an einer Überdosis starb. Joan Rivers wollte, wie Miriam Maisel, auf jeden Fall den Ansprüchen einer Welt genügen, gegen die sie zugleich furchtlos rebellierte. Und, hey, was für gutes Gag-Material diese Essstörungen und Schönheitsoperationen sind!

"The Marvelous Mrs. Maisel" löst diese grausamen Widersprüche nicht auf, vermutlich, weil das niemand kann. Aber intelligenter Humor ist eine Methode, damit zu leben, vielleicht sogar die einzige.

"The Marvelous Mrs. Maisel" läuft bei Amazon

"The Marvelous Mrs. Maisel"
Foto: Amazon Prime

"The Marvelous Mrs. Maisel"


Das Imperium von König Karl

Vor etwas über einem Jahr starb Karl Lagerfeld, der "Modezar", der Mann mit dem kleinen, weißen Zopf. Eine so bekannte und doch so ikonisch unantastbare Person, die man entweder für seine Chanel-Kollektionen oder sein Jogginghosen-Zitat kennt. In einer bis zu seiner Kindheit recherchierten Dokumentation schildern Weggefährten, Schulkameraden und Branchengrößen ihre Eindrücke von und Erlebnisse mit Karl, dem Großen. Erklärendes Hintergrundwissen und Anekdoten über Lagerfeld als Schüler im Anzug, schwärmende Models und Erzählungen von dem Verleger Gerhard Steidl, mit dem Lagerfeld jahrzehntelang zusammen arbeitete, hinterlassen fast das Gefühl, dem einschüchternd eleganten Modeschöpfer, Fotograf, Verleger, Innenarchitekt, Kostümbildner und Trendsetter ein kleines bisschen näher gekommen zu sein. 

Karl Lagerfeld - Eine Legende, Arte Mediathek, bis Juli 2023


Im Kuratorenkopf von Kiki Smith

Die US-Bildhauerin Kiki Smith ist definitiv ein Mensch, dem man gern mal in den kreativen und klugen Kopf schauen möchte. In der Serie "Künstlerinnen" kann man nun wenigstens dabei zusehen, wie Smith ihre ideale Ausstellung mit ausschließlich weiblichen Teilnehmerinnen kuratieren würde. Thema der virtuellen Schau sind die verschiedenen Darstellungsmöglichkeiten von Natur - aber natürlich auch die große Zahl an Künstlerinnen, die noch immer zu wenig bekannt und geschätzt sind. Kiki Smith erzählt von ihrer Wertschätzung für Magdalena Abakanowicz, Ursula von Rydingsvard, Lee Bontecou, Pat Steir, Marisol Escobar, Roni Horn, Geneviève Cadieux, Seton Smith, Adelle Lutz, Frida Kahlo und Valerie Hammond. Auch als Betrachterin kann man viele neue Werke entdecken. Und die fertige Schau würde man gern irgendwann besuchen. 

"Künstlerinnen: Kiki Smith", Arte Mediathek, bis 28. März

Kiki Smith kuratiert
Foto: Arte

Kiki Smith kuratiert


Mit Leilah Weinraub im queeren Stripclub

Seitdem Leilah Weinraub ihre Position als CEO des intelligenten Streetwear-Labels Hood By Air niedergelegt hat, arbeitet sie als Künstlerin und Schauspielerin wieder an eigenen Projekten. Herausgekommen ist dabei “Shakedown”, ein assoziativer Dokumentarfilm über den gleichnamigen queeren Stripclub in Los Angeles. Weinraubs Aufnahmen aus den frühen Nullerjahren sind körnig, verwackelt und mittendrin im Geschehen des ausschließlich von Frauen geführten Clubs, der zu einer Institution der lesbischen afroamerikanischen Underground-Szene wurde. Als erster nichtpornographischer Film überhaupt ist “Shakedown” auf der Website "Pornhub" zu sehen, mit der Hood By Air bereits 2015 für eine Modenschau im Stripclub kollaborierte. Bis Ende März kann man ihn dort noch kostenlos streamen.

Leilah Weinraub "Shakedown", zu sehen auf "Porn Hub"



Reden über Hilma af Klint

Hilma af Klint hätte soziale Netzwerke genutzt, da sind sich Julia Voss und Daniel Birnbaum sicher. Die Autorin der Biografie "Hilma af Klint - Die Menschheit in Erstaunen versetzen" und der schwedische Kunsthistoriker mussten ein Publikumsgespräch in der Villa Grisebach absagen, haben ihren Dialog aber per Skype geführt. Das Gespräch anlässlich des Buchs und der von Voss ko-kuratierten Ausstellung "Hilma af Klint und das wilde Zeichnen" im Berliner Auktionshaus wird bis auf weiteres auf dem Instagram-Account von Grisebach abrufbar sein.

Birnbaum erzählt darin, wie af Klint (1862-1944) in den 80er- und 90er-Jahren wiederentdeckt wurde und erklärt, was ihn als Direktor des Stockholmer Moderna Museet dazu bewog, der Künstlerin 2013 eine umfassende, folgenreiche Retrospektive zu widmen. Voss und Birnbaum sind sich darüber einig, dass es eine gute Idee wäre, den spiralförmigen Tempel für af Klints Bilder, den die Künstlerin nie errichten konnte, wenigstens virtuell zu realisieren. Am Ende des fast einstündigen Dialogs über eine Künstlerin, die ihrer Zeit weit voraus war, verabreden Voss und Birnbaum, ihr Gespräch fortzusetzen.

Das Gespräch zwischen Julia Voss und Daniel Birnbaum ist auf dem Instagram-Account des Auktionshauses Grisebach zu sehen



Das Paradies und die Hölle mit Ulrich Seidl

Es ist ja nicht so, dass die Wirklichkeit zur Zeit nicht genug Abgründiges und Dystopisches bereithalten würde. Der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl interessiert sich jedoch mehr für die Brutalität des Normalen als für globale Ausnahmezustände. In seiner Trilogie "Paradies: Glaube", "Paradies Liebe" und "Paradies: Hoffnung" begleitet er mit erbarmungslosem Blick drei Frauen durch ihren Sommer. Die gläubige Anna Maria geht in ihrer Liebe zu Jesus bis zur Selbstverletzung, ihre Schwester, die alleinerziehende Theresa, will sich in Kenia einen Mann aus Fleisch und Blut suchen und ihre Tochter Melanie verbringt die Zeit solange im "Fett-Camp", wo Demütigung, erste Liebe und Ferienlager-Freundschaft durcheinander kommen. Ulrich Seidls Filme tun weh. Aber sie zeigen auch drei Frauen, die eine Art von Glück suchen, die die Gesellschaft ihnen nicht zugestehen will.

"Paradies: Glaube", "Paradies Liebe" und "Paradies: Hoffnung", ARD Mediathek, bis 23. April

"Paradies: Hoffnung"
Foto: ARD

"Paradies: Hoffnung"