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9 Kunst-Filme, die sich jetzt lohnen

Filmstill aus "Die Tänzerin"
Foto: Courtesy Mubi

Filmstill aus "Die Tänzerin"

Unsere Filme der Woche sehen Körper als Skulpturen, wagen eine rasante Achterbahnfahrt und treffen den Künstler Arthur Jafa zu einem intensiven Gespräch
 

Die Boxer fest im Auge

Zwei muskulöse Männer belauern sich. Zuerst mit Blicken, dann umtänzeln sie sich, schließlich beginnt der Kamf mit Fäusten. In Pola Sieverdings Film "Epic" umkreist die Kamera die Körper in einer 360-Grad-Fahrt, sodass die Szenen aus jedem erdenklichen Winkel zu sehen sind und das Publikum selbst das Gefühl bekommt, um die Boxer zu rotieren. Die Geschwindigkeit des Kampfes ist außerdem stark verlangsamt, sodass die skulpturalen Körper und die Präzision der Bewegungen im Vordergrund stehen. Ein hypnotisches Werk, das nun bis zum 8. März online bei der New Yorker Galerie Signs and Symbols zu sehen ist.

Pola Sieverding "Epic", Signs and Symbols online, bis 8 März, mit kostenloser Registrierung

Pola Sieverding "Epic" (Filmstill), 2016
Foto: Courtesy Pola Sieverding und Signs and Symbols

Pola Sieverding "Epic" (Filmstill), 2016


Ich bin mehr als große Brüste

Die Schauspielerin, Filmemacherin und Künstlerin Kristin Vermilyea wurde unter anderem mit einer Performance bekannt, bei der sie Männern und Frauen Brustatrappen umhängte, die das gleiche Gewicht haben wie ihr eigener Busen - und das ist, wie die Freiwilligen schnell merkten, ziemlich viel Gewicht.

Vermilyeas Selbst- und Außenwahrnehmung wurde stets von ihren großen Brüsten geprägt, die ihr nicht nur körperliche Beschwerden bereiteten, sondern eben auch ein Teil ihrer Identität wurden und nach denen sie immer wieder beurteilt wird. Der auf Deutsch etwas ungelenk betitelte Film "Lässig und lästig: Meine Brüste und ich" begleitet Vermilyea auf ihrem Weg zu einer Brustverkleinerung. Die Protagonistin fragt sich und andere, was sich verändert, wenn sich ein Körper verändert und warum es Menschen so schwer fällt, gerade bei Frauen über Äußeres hinwegzusehen.

"Lässig und lästig: Meine Brüste und ich", Arte-Mediathek, bis 22. April

"Lässig und lästig: Meine Brüste und ich", Filmstill
Foto: Arte

"Lässig und lästig: Meine Brüste und ich", Filmstill


Deep Talk mit Arthur Jafa

Am 1. März soll eigentlich eine große Arthur-Jafa-Ausstellung im Louisiana Museum bei Kopenhagen eröffnen. Wegen der Covid-19-Pandemie sind jedoch auch in Dänemark derzeit die Museen geschlossen. Dem Künstler aus Los Angeles kann man unabhängig davon im großen Filmporträt "Arthur Jafa, not all good, not all bad" näher kommen.

Noch vor seinem rasanten Aufstieg in der Kunstwelt und seinem Goldenen Löwen bei der Venedig-Biennale 2019 hat ein Team des Louisiana-Museums den Filmemacher in seinem Studio in L.A. besucht. Jafa erzählt von seiner Sammelwut für Bilder, die Repräsentation von Schwarzen Menschen in den USA und den Versuch, als Künstler distanziert wie ein Forensiker auf seinen Gegenstand zu schauen - auch wenn das durch gelebte Erfahrung unmöglich ist. Im Film sind auch Ausschnitte aus seiner monumentalen Videocollage "Love Is The Message, The Message Is Death" zu sehen, die ein filmisches Monument der "Black Experience" ist und auch im Louisiana Museum gezeigt werden soll. 

"Arthur Jafa, not all good, not all bad", Louisiana Channel

Der US-amerikanische Filmemacher Arthur Jafa bei der Verleihung des Goldenen Löwens für den besten Künstler der Hauptausstellung auf der Biennale in Venedig 2019
Foto: dpa

Der US-amerikanische Filmemacher Arthur Jafa bei der Verleihung des Goldenen Löwens für den besten Künstler der Hauptausstellung auf der Biennale in Venedig 2019


Kunst in Dauerschleife

Die Gründerin und Direktorin des New Yorker Performancekunst-Festivals Performa, RoseLee Goldberg, sagte vor Kurzem im Monopol-Interview, dass sie sich des Phänomens der Bildschirm-Müdigkeit sehr bewusst sei. Also habe ihr Team das Online-Programm "Radical Broadcast" so konzipiert, dass niemand das Gefühl haben müsse, von der Masse an Inhalten erschlagen zu werden oder etwas Wesentliches zu verpassen. Die virtuelle Ausstellung mit Videokunstwerken ist als Loop gestaltet. Jeder Film läuft täglich zu einer festen Zeit, sodass das Programm nach und nach als Häppchen gesehen werden kann.

Die aktuelle Ausgabe des "Radical Broadcast" wurde von der Kuratorin und Autorin Legacy Russell unter dem Titel "Lean" zusammengestellt. Der englische Begriff kann "sich anlehnen" bedeuten, aber auch "schlank" oder "Neigung". Zu sehen sind Filme von sieben Künstlerinnen und Künstlern, die sich mit Identität, Gemeinschaftsbildung und Zugehörigkeit auseinandersetzen. Für Russell ist "Lean" auch ein Konzept, sich Erfahrungen von Queerness und Blackness zu nähern. Zu sehen gibt es Werke von Justin Allen, Jen Everett, Devin Kenny, Kalup Linzy, Rene Matić, Sadé Mica und Leilah Weinraub. Wiederholtes Einschalten empfohlen.

"Radical Broadcast: Lean", Performa Online, verlängert bis 29. Februar

 

Vom Rodeo in die Pariser Oper 

Die US-amerikanische Tänzerin Loïe Fuller ist bekannt dafür im 19. Jahrhundert den sogenannten "Serpentinentanz" erfunden zu haben, der durch die wellenförmigen Bewegungen von Seidenbahnen charakterisiert ist. Mit ihren avantgardistischen Choreografien schaffte Loïe Fuller es bis in die Pariser Oper.

Doch bis dahin war es ein langer Weg. Fuller wurde unter ärmlichen Bedingungen als Tochter eines Rodeo-Reiters geboren. Nach dem Tod ihres Vaters geht sie zunächst zu ihrer Mutter nach Brooklyn und probiert sich als Schauspielerin, bis sie durch einen Zufall zum Tanz findet. Auf die Empfehlung ihres Liebhabers, dem Grafen Louis d’Orsay, geht Fuller nach Paris. Bei der Eroberung der Pariser Bühnen und der Verbreitung ihrer neuen Tanzkunst gerät Fuller schnell an ihre Grenzen.

Mit dem Film "Die Tänzerin" hatte die französische Regisseurin Stéphanie Di Giusto 2016 ihr Filmdebüt. Das Stück ist ein mitreißendes Porträt der avantgardistischen Tänzerin, das zum einen Einblick in die Tiefgründigkeit von Fullers Person gewährt und zum anderen zeigt, was es bedeutet, sich von ganz unten sich auf die renommierteste Bühne der Welt zu tanzen. Das Porträt ist vereinzelt fiktiv, und viele Teile Fullers Leben werden ausgespart. So stand der Film teilweise in der Kritik, weil die Homosexualität Fullers, die sie offen auslebte, fast gar nicht vorkommt.

"Die Tänzerin", auf Mubi

Filmstill aus "Die Tänzerin"
Foto: Courtesy Mubi

Filmstill aus "Die Tänzerin"


Mehr Diversität für den deutschen Film

Gastarbeiter, Gangster, Dealer, Gemüsehändler, Kosmetikerinnen oder Servicekräfte: Die Rollen, die Menschen mit Migrationsgeschichte in deutschen Filmen und Serien spielen, sind oft klischeebeladen und wenig vielfältig. Warum das so ist - und wie sich das ändern könnte -, versucht die Dokumentation "Kino Kanak - Warum der deutsche Film Migranten braucht" herauszufinden. Darin kommen unter anderem die Schauspieler Sema Poyraz, Hassan Akkouch und Tyron Ricketts zu Wort, die von ihren Erfahrungen erzählen. Außerdem werden Stereotypen in der deutschen Filmgeschichte untersucht und eine klare Forderung formuliert: Die Gremien, die entscheiden, was gedreht und gefördert wird, müssen diverser werden. Nur dann könnten verschiedene Lebenswelten als relevant und zeigenswert in die Filmstoffe einfließen.   

"Kino Kanak - Warum der deutsche Film Migranten braucht", 3 Sat Mediathek, bis 26. Juli

Schauspieler Hassan Akkouch in der Dokumentation "Kino Kanak" 
Foto: 3 Sat

Schauspieler Hassan Akkouch in der Dokumentation "Kino Kanak" 


Liegt Kreativität in der Familie?

Manche Menschen wollen sich unbedingt von ihren Geschwistern absetzen und machen beruflich bewusst etwas ganz anderes als ihre Brüder und Schwestern. In anderen Familien wachsen die Kinder gemeinsam ins Berufsleben und arbeiten ihr Leben lang zusammen. Die Serie "Kunst hoch 2" auf 3Sat, die nun eine zweite Staffel bekommen hat, porträtiert kreative Geschwisterpaare aus den Sparten Film, Musik, Design und bildende Kunst. Diesmal sind auch die Designer Markus und Daniel Freitag aus der Schweiz dabei, die es mit ihren wasserdichten Taschen aus LKW-Planen bis in die Sammlung des New Yorker MoMA geschafft haben und heute so ziemlich jeden Menschen auszustatten scheinen, der in der Stadt mit dem Fahrrad unterwegs ist.

In der Dokumentation erzählen die Freitags unter anderem davon, wie sie schon als Kinder den Eltern bei der Renovierung eines alten Bauernhauses geholfen haben - und wie dieses Erlebnis ihr Verhältnis zu Materialien und die Idee von Design als Kreislauf der Wiederverwertung geprägt hat.

"Kunst hoch 2 mit Markus und Daniel Freitag", 3-Sat-Mediathek, bis 21. Oktober

Die Designer Daniel und Markus Freitag
Foto: 3Sat

Die Designer Daniel und Markus Freitag


Achterbahnfahrt mit Josef Hader

Aus die Maus: Georg (Josef Hader) ist seine Stelle als Musikkritiker einer Wiener Tageszeitung los. Sparmaßnahmen. Leserproteste von Klassikfans werden darob wohl ausbleiben, sagt sein Chefredakteur Waller (Jörg Hartmann) eiskalt, denn "die sind alle tot" und er, Georg, könne ja ein Buch schreiben. Tut Georg aber nicht.

Stattdessen treibt er sich am Prater herum, freundet sich mit Erich (Georg Friedrich) und dessen rumänischer Freundin Nicoletta (Crina Semciuc) an und macht mit beiden die alte Achterbahn "Wilde Maus" flott. Der gleichnamige Film, das Regiedebüt des Hauptdarstellers Josef Hader, erzählt von Midlife Crisis und Kommunikationsunfähigkeit. Trotz einer trüben Ausgangssituation ist der Film oft rasend komisch, besonders in den Szenen einer misslingenden Rache: Georg will, dass Apparatschik Waller dafür leidet, dass er ihn rausgeworfen hat. Erst muss das Cabrio des wohlhabenden Chefs dran glauben, am Ende einer sauwitzigen Eskalationsspirale geht Georg daran, Waller in seiner Berghütte zu erschießen.

Parallel zu diesem Krimi-Plot flicht Hader, der auch das Drehbuch verfasste, Episoden aus dem Schaustellermilieu des Praters und Szenen einer Ehe ein: Georgs als Psychotherapeutin praktizierende Ehefrau Johanna (Pia Herzegger) ahnt nichts von dessen Entlassung, ist fixiert auf ihren bisher unerfüllten Kinderwunsch und erlebt eine Affäre mit einem schwulen Ex-Patienten. Am Ende werden die Erzählstränge auf wahnwitzige Weise miteinander verknüpft, und im Publikum reift die Erkenntnis: Lebenskrisen können der Quell von Genuss sein – aber wahrscheinlich nur in Österreich.

"Wilde Maus", ARD-Mediathek, bis Samstag, 20. Februar, 23.59 Uhr, danach kostenpflichtig bei verschiedenen Streamingdiensten


Welt bleibt weiterhin gefickt

Demokratie ist lustig, freute sich schon Joseph Beuys und sang und tanzte für "Sonne statt Reagan". Wer diese Staatsform mit Leben füllen und den langwierigen bürokratischen Mühen entreißen will, nimmt dafür Peinlichkeiten in Kauf. Welche Ausmaße das annehmen kann, zeigt unfreiwillig die neue Doku-Serie "Unfck the World" über den Versuch zweier Berliner Start-up-Unternehmer, im Jahr 2020 ein großes Bürgerinnen- und Bürgertreffen im Olympiastadion zu veranstalten. Dabei sollten reihenweise Petitionen diskutiert, digital verabschiedet und eingereicht werden.

Das ambitionierte Projekt scheiterte wahrscheinlich nicht nur an Corona, sondern an den letztlich unpolitischen Mitteln der Organisation. Es wird dabei auch wirklich kein Klischee ausgelassen, von den notorischen Hipsterbärten bis zu einer unerträglichen Marketingsprache und Netzwerklogik. Trotzdem lohnt die Serie, wenn man permanent auf Meta-Reflexebene schaltet und die Inszenierungen als solche durchschaut. Ein Lehrstück.

"Unfck the World" läuft auf Joyn 

"Unfck The World", Filmstill
Foto: Joyn

"Unfck The World", Filmstill