Ai-Weiwei-Film "Coronation"

Reinster Kafka in Wuhan

Ai Weiwei hat einen dystopischen Film über den Corona-Ausbruch in Wuhan veröffentlicht. Anders als sonst mischt sich der Künstler nicht in die Bilder der Betroffenen ein - was dem Werk außerordentlich gut bekommt

"Sieg für Wuhan, Sieg für Hubei, Sieg für China", skandieren die Jungkommunisten unter ihren Mund-Nasen-Masken. Man könnte es auch so formulieren: Noch mal gutgegangen – für die Stadt, die Provinz und die Volksrepublik. Aber stimmt das? Anfang April 2020 wurde der Lockdown für Wuhan, wo die globale Covid-19-Epidemie ihren Anfang nahm, aufgehoben. Neben der verordneten Begeisterung gab und gibt es viel Trauer, Wut, Verzweiflung in der Hauptstadt der Provinz Hubei. Der Künstler Ai Weiwei hat nun einen Dokumentarfilm über Wuhan produziert. Das Videomaterial stammt von Menschen, die in der Millionenstadt eingeschlossen waren und ihren alltäglichen Corona-Wahnsinn (zum großen Teil) mit Mobiltelefonen gefilmt haben.

Hin und wieder muss man sich beim Zuschauen kneifen: Das ist nicht "Outbreak" oder ein anderer Seuchenhorrorthriller, der Stoff ist ja die Wirklichkeit. "Coronation" – wörtlich übersetzt Krönung, hier eher eine Wortverfilzung aus "Corona" und "Nation" – ist ein bitterer, mitunter dystopisch anmutender Film geworden.

Seine Intensität verdankt sich der Innenperspektive der Betroffenen: Ein coronasicher vermummter Arzt läuft minutenlang durch endlose Flure der in Rekordzeit erbauten Riesenklinik von Wuhan. Unerträglich öde eigentlich – unerträglich spannend im Zusammenhang des dramaturgisch klug aufgebauten Films.

Ein Auto in der Tiefgarage wird ein Zuhause

Bilder aus der Drohnenperspektive – etwa ein Flug über den stillgelegten Zentralbahnhof von Wuhan in eisgrauem Dämmer – oder bissig-komische Intermezzi wie ein Ballett der Desinfektionskanonen signalisieren eine jeweils neue Sequenz, eine andere persönliche Sicht auf die Katastrophe. In sieben Abschnitten wird von Menschen erzählt, die sich in einer absurden Situation zurechtfinden müssen. Darunter der junge Angestellte, der kurz vor dem Lockdown ins winterliche Wuhan zurückkehrt und in seiner Wohnung feststellt, dass seine Aquarienfische erfroren sind. Ein am Klinikbau beteiligter Arbeiter kann die Stadt nach Fertigstellung des Projekts nicht verlassen, da ihm ein Passierschein fehlt. Seine vergeblichen Telefonate mit Sachbearbeitern sind reinster Kafka, seine Behausung ebenso: Der Bauarbeiter lebt in seinem Auto, das in einer düsteren Tiefgarage steht.

In "Human Flow", seinem 2017 fertiggestellten Film über die Flüchtlingskrise, irritierten Ai Weiweis persönliche Auftritte und (gutgemeinten) Sentenzen. In "Coronation" kann Ai, der in China unerwünschte Dissident, aus verschiedenen Gründen gar nicht vorkommen – und das ist dem Film gut bekommen. Sein Hauptgegenstand ist die staatliche Politik und ihre Wirkung auf die Bevölkerung – besonders in der Corona-Krise.

"Coronation" ist ein kritischer, aber kein polemischer Film. Die Kritik wird aus der Zustandsbeschreibung entwickelt. Eine starke Sequenz schildert die Gespräche zwischen einem Mann und seiner alten Mutter, einer ehemaligen Parteifunktionärin. Der Lockdown schweißt sie zusammen, einig sind sie sich nicht. Dialoge im Plattenbau: Sie, die im Maoismus sozialisiert wurde und ihre Ehrenurkunden stolz hervorzeigt, verteidigt die behördlichen Maßnahmen gegen seine Regimekritik. Hier stellt der Film eine Nähe zu einer (aus westlicher oder dissidentischer Sicht) anachronistischen Position her. Die alte, etwas störrische Dame ist sympathisch, deshalb hört man ihr gerne zu.

Es geht in "Coronation" auch nicht darum, bestimmte politische Einstellungen zu kritisieren. Im Vordergrund steht die Schilderung einer Viruskrise, die so "gut" bewältigt wird, dass das Menschliche dabei vielfach auf der Strecke bleibt. Insofern ist Wuhan immer noch eine Warnung: Dass die anderen – die das Virus später erwischt (hat) – es besser machen.