Henckel von Donnersmarck

"Alle Freiheiten genommen, die ich wollte"

Foto: dpa
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Florian Henckel von Donnersmarck

Für "Das Leben der Anderen" gewann der deutsche Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck 2007 den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film. Nun folgt sein "Werk ohne Autor" über einen Künstler. Ein Interview

Mit seinem Spielfilmdebüt "Das Leben der Anderen" feierte Florian Henckel von Donnersmarck auf Anhieb international Erfolge und wurde unter anderem mit dem Auslands-Oscar ausgezeichnet. Damals erzählte er von einem Stasi-Spitzel in der DDR. Auch jetzt nimmt er sich wieder einen historischen Stoff vor: In "Werk ohne Autor" spielt Tom Schilling einen Künstler, der in der DDR erste Erfolge feiert, dann aber in den Westen flieht. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa erzählt der Regisseur von seiner Initialzündung für den Film und was Gerhard Richter damit zu tun hatte.

Sie kehren mit "Werk ohne Autor" nun wieder zurück zu einer deutschen Geschichte und zu der deutschen Geschichte. Was war die Initialzündung dafür?
Ich hatte schon lange nach einem Stoff gesucht, der dem kreativen Prozess nachspürt. Das hatte mich einfach immer fasziniert. Elia Kazan hat einmal gesagt: "Künstlerisches Talent ist letztlich nur der Schorf, der sich auf den Wunden gebildet hat, die einem das Leben geschlagen hat." Ich hatte nach einer Geschichte gesucht, die diese Aussage etwas beleuchtet. Dann kam für mich die Initialzündung durch Jürgen Schreiber vom "Tagesspiegel". Der hat mir in einem Gespräch erzählt, dass er gerade ein Buch geschrieben hatte über Gerhard Richter. Dass es dort eine ganz interessante Verknüpfung zwischen Tätern und Opfern innerhalb der gleichen Familie gab. Die Geschichte hat mir aber nicht die dramatischen Bausteine geliefert, die ich brauchte, um einen spannenden Film zu erzählen. Ich habe mich daher gefragt, wie so eine Geschichte hätte sein können. Mich hat außerdem gereizt, das vor drei Jahrzehnten deutscher Geschichte sowie den Wirren der Kunstgeschichte zu erzählen.

Das ist auch der Grund, warum es diese starken Parallelen zum Leben von Gerhard Richter aufweist, die Hauptfigur aber nicht so heißt?
Genau, das liegt an dieser Grundidee, die einige Ähnlichkeiten zu Gerhard Richters Leben aufweist. Aber dann habe ich mir alle Freiheiten genommen, die ich wollte. Ich wollte mich nicht am Lebenslauf abarbeiten. Ich wollte ein eigenständiges Kunstwerk schaffen und das musste interessanter und spannender sein als die Wahrheit. Ich glaube sehr stark an die Dichtung, die die Wahrheit so verdichtet, dass sie wahrer wird als die Tatsachen.

Inwiefern haben Sie Herrn Richter mit einbezogen?
Ich habe mich mit vielen unterschiedlichen Künstlern getroffen. Einer davon war Gerhard Richter. Er hat mir sogar besonders lange Zeit geschenkt. Vier Wochen war ich bei ihm in Köln, die letzten Tage waren wir dann in Dresden, dort haben wir die Orte seiner Jugend angeschaut. Er hat mich die ganzen Gespräche aufzeichnen lassen, die wir geführt haben. Ich glaube, er fand es spannend, dass er nicht einem Biografen etwas erzählt und ich nicht sklavisch an den Tatsachen klebe, sondern mir mein eigenes Bild mache. Das ist ja eigentlich sehr ähnlich wie seine Herangehensweise an die Kunst. Ich glaube, deshalb war er auch so offen und bereit da mitzumachen, weil er weiß, dass es keine 1:1- Biografie ist.

Die Kunst ist in der Geschichte des Films Ausdruck der eigenen Identität. Hat Kunst immer etwas Autobiografisches?
Letztlich wird sie auf jeden Fall potenziell alles über den Autor aussagen. Ich glaube, sie muss nicht streng autobiografisch sein. George Lucas hat keinen Vater, der ein Massenmörder ist und Planeten zerstört. So direkt muss das nicht sein. Aber wenn ich einen Film mache, in den ich mich voll einbringe, dann würde er für einen aufmerksamen Zuschauer alle meine Überzeugungen verraten. Insofern ist ein Film, den man im ehrlichen Geiste angeht, autobiografisch in der Hinsicht, als dass er das Resultat einer gesamten Biografie ist.

Was verraten dann Ihre Filme über Sie?
Wir machen gerade ein Buch zum Film mit dem Suhrkamp-Verlag. Und da entwickelt Alexander Kluge ein Bild, bei dem er sagt, dass der Kulturschaffende wie eine Fledermaus ist, die ein Signal aussendet. Vor allem aber muss die Fledermaus auf das Echo achten, das zurückkommt. Denn da sieht sie die gesamte Beschaffenheit der Welt um sie herum. Man sollte also das Zuhören und das aufmerksame Hinhören, sein ganzes Sensorium verwenden. Das ist das Entscheidende. In der Hinsicht gibt der Film Auskunft über all die Sachen, die ich im Laufe meines Lebens beobachtet habe. Vielleicht mehr als über Sachen, die ich durchlebt habe.

Im Film geht es darum, als Künstler nicht dem Druck von Außen nachzugeben, sondern seinen eigenen Weg zu finden. Inwiefern ist das für Sie selbst ein Thema?
Das ist natürlich für jeden immer eine Frage. Für jeden Künstler ist es wichtig, auf die Stimme des künstlerischen Gewissens zu hören und zu achten. Man kann sich nie sicher sein, dass man das Richtige tut, aber man muss immer auf der Suche bleiben.

"Werk ohne Autor" spielt wie "Das Leben der Anderen" im Deutschland der Nachkriegszeit. Ist das Zufall oder bewusst gewählt
Ich finde, dass gerade die unmittelbare Nachkriegszeit eine der unglaublichsten Kapitel nicht nur der deutschen Geschichte, sondern der Menschheitsgeschichte ist: Ein Land, das eine große Schuld auf sich geladen hatte und das vollkommen zerstört war. Nach der furchtbaren Zeit der NS-Diktatur mussten die Menschen trotzdem wie eine Familie zusammenkommen und das Land wieder neu aufbauen – und gleichzeitig versuchen, das unendliche Leid, das das Land erfahren hatte, zu verkraften und mit der eigenen Schuld fertig zu werden. Das finde ich eines der spannendsten Kapitel der Geschichte und auch eine heroische Leistung. Das wollte ich etwas nachvollziehen.

Welche Rolle spielte die Kunst dabei?
Ich wollte auch schauen, welche unglaublich wichtige Aufarbeitungsarbeit die Kunst in der Zeit geleistet hat. Es ist nicht von ungefähr, dass diese Kunst, die damals entstand - gerade in Düsseldorf Anfang der 60er mit Beuys, Polke, Piene – dass diese großen Namen heute noch die Kunstwelt dominieren. Kunst war unglaublich wichtig, weil sie einem Land geholfen hat, mit großen, sehr schwierigen Fragen fertig zu werden. Wie können wir als Land überhaupt wieder zusammenkommen? Wie gehen wir mit unserer eigenen Schuld um? Wie sehr können wir einem Staat trauen? Was ist unsere Position in der Welt? All das wurde von der Kunst durchpflügt und bearbeitet. Und diese Kraft spürt man heute noch.

ZUR PERSON: Florian Henckel von Donnersmarck, 45, studierte an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Dort drehte er zahlreiche Kurzfilme und gewann damit bei Festivals einige Preise. Sein erster Langfilm war dann zugleich sein Abschlussfilm an der HFF München: "Das Leben der Anderen". Das Werk über einen Spitzel der Stasi gewann international zahlreiche Preise, darunter 2006 den Deutschen Filmpreis und 2007 den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film. 2010 kam "The Tourist" mit Angelina Jolie und Johnny Depp in die Kinos. "Werk ohne Autor" ist der dritte Spielfilm des Regisseurs.