Amelie von Wulffen in Berlin

Kein Stein bleibt auf dem anderen

Mit mal bösen, mal romantischen Installationen rechnet Amelie von Wulffen mit ihrer Kindheit ab und changiert zwischen Fremdheit und Nähe. Eine überaus gelungene Retrospektive in den Berliner KW

Die Biene Maja sitzt am Boden und hat sich in die Hose gemacht – giftig gelb ist die Pisse, so wie die Streifen der plumpen Figur und auch das geometrische Muster auf dem Gemälde dahinter. Nein, es war kein optimales Jahr, sagt dieses Ensemble von Amelie von Wulffen. Endlich hat sie die längst verdiente große Retrospektive in Berlin, der Stadt, in der sie seit Jahrzehnten lebt und deren Kunstszene sie mitgeprägt hat. Und dann kommt, noch vor Eröffnung, der Lockdown, und nur ein paar Journalisten dürfen einzeln durch die Räume schleichen. Dann muss Maja eben noch ein bisschen in ihrer Pfütze sitzen bleiben – und es bleibt der Kritikerin überlassen, schon mal die Kunde von dieser überaus gelungenen Ausstellung zu überbringen.

Sie beginnt überraschend, mit feinen, fast zärtlichen Bleistiftzeichnungen, deren Motive von Wulffen Anfang der Nullerjahre aus Berliner Clubs mitbrachte und die zwischen Fremdheit und Nähe zu den dargestellten Nachtmenschen changieren. Romantik kommt über den Umweg eines selten gezeigten, umwerfend komischen Trickfilms hinein, in dem Knetfiguren sich dem Liebesspiel hingeben – mitsamt Zigarette danach. Er entstand in den späten 1990er-Jahren, als von Wulffen auch die Architekturcollagen entwickelte, mit denen sie bekannt wurde und deren modernismuskritische Analysekraft auch hier noch mal an ausgesuchten Beispielen zu sehen ist. Was Amelie von Wulffen heute knetet, ist deutlich böser: In der großen Halle wartet ein mannshohes Kackmännchen auf seinen Auftritt. Hier hat die Künstlerin eine fulminante Gesamtinstallation aus Gemälden und Objekten geschaffen.

Immer wieder klingt eine Abrechnung mit der Kindheit an, stickig-spießige Familienszenen mit nazibraunem Unterton in ländlicher Pseudo-Idylle – die Künstlerin kommt aus der Oberpfalz – treffen auf Versatzstücke der Konsumwelt. In wilde Landschaftsmalerei platzen Netflix-Fenster mit dem abzuglotzenden Pensum, die Lautenspielerin hat eine Ferkelfamilie zu Besuch, und im hölzernen Bauernschrank stecken Grabsteine aus Terrakotta, Nachbildungen vom jüdischen Friedhof in Weißensee. So feiert bei Amelie von Wulffen das Trauma seine unpathetische Wiedergeburt als Schwester des Trash, und gemeinsam lassen sie keinen Stein auf dem anderen. Auch ohne Pandemie gibt es Seuchen zu bearbeiten.