20 Jahre "Untitled" von Andrea Fraser

Ein unmoralisches Angebot?

Was für ein Deal: Andrea Fraser arrangierte vor 20 Jahren Sex mit einem Sammler, der die Aufzeichnung davon als Kunstwerk kaufte. Die Künstlerin testete damit die Ökonomie der Kunst am eigenen Leib

Zur Zeit der Veröffentlichung lauteten die reflexhaften Reaktionen auf "Untitled" zumeist "Prostitution" oder "Pornografie". Damals, Anfang der Nullerjahre, war weder die kontinuierliche Selbstdarstellung über Handykameras gängige Praxis, noch war das Format der Enthüllungs-Sexvideos bereits etabliert. (Erst ein Jahr später, 2004, wurde Paris Hilton damit berühmt.)

Die Künstlerin Andrea Fraser (*1965) arrangierte vor genau 20 Jahren Sex mit einem Sammler, der die Aufzeichnung der Begegnung als Kunstwerk ankaufte. Das 60-minütige Video wurde mit einer feststehenden Kamera ohne Ton gefilmt. Es wurde in einer Auflage von fünf Stück produziert. Das Exemplar, das der Sammler, der an dem Treffen teilnahm, erworben hatte, befindet sich heute in der Sammlung des Whitney Museum of American Art.

Dabei ging es Andrea Fraser nicht vordergründig um den Aufreger "Sex gegen Geld". Der vom beteiligten Sammler gezahlte Betrag, über den es unterschiedliche unbestätigte Angaben gibt, machte in erster Linie das Erschaffen eines Kunstwerks möglich. Andrea Fraser, die in ihren Arbeiten stets kritisch mit den Strukturen des Kunstbetriebs auseinandersetzt, interessierte in "Untitled" eher die Frage, ob Kunst an sich Prostitution und Ausbeutung ist.

Die Rollen neu verteilt

"Weil ich zufällig Sex mit einem Mann habe, ist es dann mehr Prostitution, als wenn ich ihm ein Werk verkaufen würde? In der Tat fühle ich mich mit dem Verkauf der DVDs von 'Untitled' weit weniger wohl als mit der Produktion des Stücks", sagte die Künstlerin im Jahr nach der Veröffentlichung dem Magazin "The Brooklyn Rail". Die Situation der Kunstverkäufe hält sie an sich für ausbeuterisch.

2003 verteilt sie beim Treffen mit dem Sammler im Royalton Hotel die Rollen neu, bestimmt selbst Wert und Gegenwert. Nach eigenen Aussagen fühlte sie sich dabei zu keiner Zeit als Opfer des Sammlers, der sich durch seine Beteiligung an der Entstehung des Werks ebenfalls exponierte. "Ich machte mir vielmehr Sorgen darüber, dass ich ihn benutze."

Die Künstlerin reflektiert mit ihrer radikalen Aktion die Konditionen des Kunstschaffens: Was spielt sich zwischen der Schöpferin und dem Käufer eines Kunstwerks ab, wie sind die Bedingungen einer solchen Transaktion, welche Rolle spielen Institutionen, wie nimmt wer Einfluss auf wen, und was bedeutet das für ein Werk?

Andrea Fraser testete die Ökonomie der Kunst am eigenen Leib. Und zwar nicht als anklagendes Opfer, das zur Rettung seiner Existenz auch das Intimste preisgeben muss. Sondern als souveräne Akteurin in einem Tauschgeschäft, dessen Regeln sie allein definiert hat. So spielt sie auch Moralfragen und das Denken in stereotypen Rollenmustern zurück ans Publikum.