Art Brussels

Eine Messe für Spürnasen

Die gut informierte lokale Sammlerszene liebt ihre Art Brussels. Junge Positionen stimulieren auf der Brüsseler Messe Entdeckerfreude und Kauflust. Die 39. Ausgabe hat insbesondere für Malereifans viel zu bieten

Ganz ehrlich: Wer hätte nicht Lust bei Galerien wie Nagel Draxler, Nino Mier oder Mendes Wood DM einzukaufen oder mit Künstlerinnen wie Amy Sillman, Cecilia Edefalk oder Nathalie du Pasquier ins Sammeln zu starten? Bei Almine Rech oder Berthold Pott zuschlagen, was Schönes von Hans-Jörg Mayer oder Walter Swennen einfach mal spontan unter den Arm klemmen, na, wie wär's?

Am Preischild kann es dann schon mal hängen, und man verkneift es sich doch. Doch damit ist jetzt Schluss, die Art Brussels hat sich ein gelungenes Gimmick für den guten Zweck ausgedacht: Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler der Messe steuerten ein Bild im Postkarten-Format bei, um mit "KickCancer" dem Krebs im Kindesalter den Kampf anzusagen.

Stolze 320 Einreichungen zählt das tolle Projekt. Im handlichen Taschenformat wurde sich künstlerisch ausgetobt, fraglos viele gelungene "Minis", wie die große Show-Wall der Kabinettstücke gleich am Messeeingang zeigt. Dort kann nun nach Wunsch und Wahl zugegriffen werden, von der Wand weg – allerdings, auch das eine interessante Idee, ohne die Künstler genannt zu bekommen; den Namen gibt’s erst zum Kauf dazu.

"Unbedingt" wolle sie sich schon hier auf den ersten Metern eindecken, bekundet eine Sammlerin beim Screening des verlockenden Angebots. Was gefällt Ihnen denn, was würden Sie nehmen? Na, dies und das und jenes – tatsächlich sind die Hälfte der Arbeiten schon am ersten Tag vergriffen. Der Run auf die andere Hälfte ist also eröffnet – für pauschale 400 Euro ist man dabei. Eine Zeichnung von Amy Sillman für 400 Euro? Say what?!

Jene Entdeckerlaune, für die die Brüsseler Sammlerszene geschätzt wird, hält sich offenbar: Bis zur letzten Minute werde hier verkauft – nicht bloß ein Rush zum Start und dann Flaute, weiß Galerist Claas Reiss begeistert zu berichten. Noch zehn Minuten vor Messeschluss griffen Sammler im letzten Jahr bei ihm zu. Klar, dass er auch in diesem Jahr wieder an Bord ist und in der "Discovery"-Section, die junge Talente vorstellen will. Er zeigt in einer Solopräsentation mit Magnus Frederik Clausen einen interessanten, konzeptuell inspirierten Maler.

Clausen sei ein Kontrollfreak – offensichtlich so sehr, dass es ihm besonders Freude macht, jene Kontrolle teilweise abzugeben und auszusetzen, indem er andere für sich malen lässt. Zum Beispiel seinen neunjährigen Sohn Benny, der zur kleinen Schar der "Auftragsmaler" gehört, die für ihn "arbeiten". Eine besondere Affinität zum Metier ist nicht mal Voraussetzung, gar ganz im Gegenteil vielleicht sogar hinderlich – nach einer scharf umrissenen Aufgabe lässt Clausen sich überraschen. Vorgabe ist offensichtlich bloß: Male mir diese oder jene Uhrzeit – das war’s.

"Sexy Deskilling" könnte man nennen, was bei diesem semi-kontrollierten Amateur-trifft-Leinwand-Experiment herauskommt. Die Eleganz vermeintlich ungelenker Pinselzüge kann ganz erstaunlich sein, das vermeintlich Doofe ungeahnte kompositorische Qualitäten freisetzen. Dass der Mann auch noch den Kunstraum Jir Sandel betreibt, ein absichtlicher "Pisstake" (Claas Reiss) auf ein ähnlich benanntes Modelabel, und mit dem Maler David Ostrowski schon mal gemeinsame Sache macht – das passt.


Selbstverständlich zeigt die Art Brussels nicht nur Paintings, doch das breite Angebot zieht immer wieder in Stände und Gespräche hinein, die Messerunde wird so wie von selbst zum Malerei-Spaziergang. Der sich bei Greta Meert fortsetzt: Hier gibt es die Sensibilitäts-Schule von Pieter Vermeersch zu bewundern. Ein sanft schwingender, ultrafein vermalter Farbverlauf im Großformat bietet Wellness fürs Auge. An ihrer Brüsseler Stammadresse richtet Meert ihm derzeit eine Einzelausstellung auf zwei Etagen aus, Prädikat: Best show in town – läuft, wie die Messe, bis Sonntag.


Junge Künstler kommen, wenn nicht ohnehin in der belgischen Metropole ansässig, stets gerne in die Stadt und sind in den 152 Galerien der diesjährigen Ausgabe nicht selten persönlich anzutreffen. So auch David Moses, der zufällig seinen 40. Geburtstag hier feiert und bei Russi Klenner aus Berlin den ganzen Stand mit einem gut gelaunten Solo bespielen darf. Die Acrylbilder, in denen Disney-inspirierte Charaktere ungestüm durch eine "funky Abstraction" fetzen, gehen auf Filmbilder aus Walt Disneys "Silly Symphonies" zurück. Aus jenen Kurzfilmen der 1930-Jahre also, die dem Künstler als Bilderfundus dienen, aus denen er "Stills" extrahiert und sie dann mit einem wilden All-Over traktiert, abstrahiert. Das sieht im Ergebnis gar nicht dumm, sondern vielmehr "symphonisch" aus.


Visuelle Symphonien auch bei der Brüsseler Galerie Dépendance: Hier hat Michael Callies sichtlich Freude an seinem ehemaligen Städelschul-Studienfreund Thilo Heinzmann. Der ihm eine Schau aus drei großformatigen Bildern liefert, die einen Exzess von Schönheit zelebrieren. Lässig hingeworfenes Pigment trifft freies Pinselspiel trifft farbige Glassplitterchen – eine Delikatesse aus Heinzmanns Sterneküche. Außerdem am Stand zu sehen: Neues von Monika Stricker, die offensichtlich auf den Hund gekommen ist. Irgendwo draußen im lauschigen Grün reckt ein schöner Rüde in Blautönen sein zärtlich gemaltes Haupt. Galerist Callies gefällt’s, uns auch.


Robert Grunenberg aus Berlin kontrastiert die zarten, gaze-artigen Stoffbilder Anna Virnichs mit der locker-lässigen Drauflos-Malerei von Jan Zöller und digital inspirierten Großformaten von Brandon Lipchik – bizarre Video-Stills aus der Welt des Gamings, dann händisch auf die Leinwand gebracht? Jawohl, so in etwa schaut es aus.     


Bei Akinci aus Amsterdam ruft melanie bonajo das kollektive Kuscheln aus: Im Billboard-Format schmiegen sich zahllose Menschen wie schlafend, liebevoll aneinander; ein Zitat aus bonajos Filmbeitrag zur letztjährigen "Milch der Träume"-Biennale in Venedig: hier augenscheinlich in ungestörtem Fluss. Dass sie so elegant und eben so contemporary sei, gefällt bonajos Galeristin Leylâ Akinci besonders an der Art Brussels, und trägt mit ihrem Stand zu diesem Eindruck bei.


Lesia Khomenko illustriert in der Voloshyn Gallery aus Kiew die technische Spiel- und Innovationsfreude, die typisch für vieles auf der Messe ist: Hier werden die bildgebenden Figuren tatsächlich auf ungedehnte Nylonstrumpfhosen gemalt. Spannt Khomenko diese dann auf den Keilrahmen, gibt’s interessante Distorsionseffekte, auf die anders wohl kaum zu kommen wäre – und die den Reiz der Bilder ausmachen.

Bei der Brüsseler Galerie Super Dakota kann das Werk einer unbekannteren Vertreterin der legendären "Pictures Generation" entdeckt werden: Von der US-Künstlerin Julia Wachtel, Jahrgang 1956, gibt es ein Medienbilder-Sampling in Siebdruck und Malerei, das unweigerlich an Michel Majerus denken lässt – "Oh yeah, she’s a great fan, of course", weiß Direktorin Shesna Lyra Conrado.


Semiose aus Paris bereitet Aneta Kajzer die Bühne: Deren Fabelwesen schlängeln sich in bunten Farben und ephemeren Konstellationen über Leinwände in großem und kleinem Format. Atelierfrisch und irgendwie noch ätherisch-luftiger als frühere Arbeiten mutet die Schau an, so gestaltet sich das "Was-erkennst-denn-Du-darin?"-Spiel noch spannender.


Bei Ruttkowski;68 gibt es unter anderem raffinierten Eyecandy von Pablo Tomek zu sehen: Er geht in seinen "Brushstroke-Abstractions" mit Industrieschwämmen zu Werke – heraus kommen Bilder, die verdammt gut aussehen und Roy Lichtenstein ein Update aus der Enkelgeneration verpassen.


Selbst Skulpturales punktet auf der Art Brussels mit dezidiert koloristischen Qualitäten: Beim local hero Sorry, We’re Closed zeigt Machteld Rullens, wie Tomek Jahrgang 1988, ihre Variante eines "Soft Minimalism", wenn man so will. Ineinander verschachtelte Kartons bemalt und arrangiert sie zu reizvollen Reliefs; einmal von der meist monochrom eingesetzten Farbe befeuchtet, wird die eckige Kartonage weich, knickt in reizvolle Formen ein, und wird schließlich mit hochglänzend auftrocknendem Epoxidharz überzogen – und so zu betörenden Assemblagen, die ein ganzes Füllhorn kunsthistorischer Erinnerung antippen.


Schließlich schlängeln sich bei Gladstone "Brushstroke Fossils" von Kerstin Brätsch die Wand hoch und empfehlen sich als inoffizielles Messelogo des Parcours im Zeichen von Pinsel und Palette. Wo gute Qualität in einer Preis-Range bis 30.000 Euro zu haben ist, da sitzt den Sammlern das Portemonnaie locker. Wenn sie schlau sind, und das sind sie in Brüssel. Gute Stimmung also allerorten auf der Messe, man ist zufrieden, lässt sich Prickelndes und belgisches Bier schmecken, freut sich aufs Wochenende – und noch mehr Entdeckungen.