Die 41. Ausgabe der Art Brussels lässt sich nicht von dem kriselnden Kunstmarkt lähmen. Die gedämpfte Kauflaune kitzelt man mit reichlich Neuentdeckungen, die ihre Fühler in die wacklige Gegenwart ausstrecken
Muss er jetzt auch noch für die katastrophale Regierungsbilanz von Donald Trump herhalten? Denkt man sich sogleich am Stand der Keteleer Gallery aus Antwerpen in der "Prime"-Sektion. John F. Kennedy diente vielen Künstlerinnen und Künstlern als Reflexionsfigur ihrer Zeit. Zahlreiche Werke der 1960er-Jahre widmen sich dem Präsidenten, der sich vielen seiner Zeitgenossen als Projektionsfläche für eine weniger konfliktreiche Welt anbot. Dass er heute wieder fast wie eine Lichtgestalt wirkt, verdankt sich nicht nur Trumps verheerender Hyperaktivität, die auch an den Kunstmärkten nicht spurlos vorbeigeht.
Der unter dem totalitären kommunistischen System 1978 geborene Rumäne Mircea Suciu platziert in seinem Solo-Auftritt den durch ein Attentat "verhinderten" Hoffnungsträger in der Gemäldeserie "Fatigue" nicht zufällig neben einem barock anmutenden, ausblutenden Rebhuhn. Gegenüber greift er eine Fotografie eines Ku-Klux-Klan-Mitglieds auf, oder einen Rodeo Reiter neben einem Stück Fleisch aus der neuesten kleinformatigen Serie "Empathy for the devil", der sich während der Preview gleich in der ersten Stunde für 9500 Euro verkaufte. Dazwischen steht Hollywood-Stars der goldenen Ära Angst und Schrecken ins Gesicht geschrieben, und der Dialog zwischen historischen und aktuellen Krisen könnte nicht treffender sein.
Auch wenn ähnlich starke Positionierungen gegenüber gegenwärtigen politischen Turbulenzen auf der traditionell verspielt gestimmten, diesmal aber auffällig zurückhaltend anlaufenden Art Brussels mit 165 teilnehmenden Galerien aus 35 Ländern Mangelware sind, spürt man auch an den Ständen weiterer Sektionen ein latentes Unbehagen. Das trifft sogar auf das neu eingeführte Segment "68 Forward" zu, das Kunst im Fahrwasser der 68er-Bewegung zeigt. Am Stand der Warschauer Ewa Opalka Gallery etwa gerät die Hommage an Ewa Partum, Pionierin der polnischen feministischen und konzeptuellen Kunst, zu einer warnenden Erinnerung an die Ost-West-Spaltung, die ihre weltweite Rezeption lange verhindert hat. Es wimmelt von bedrohlichen Scheren, auf einem uralten Plattenspieler arrangierten Haaren der Künstlerin oder Fotografien, auf denen sie als nackte Amazone ein von Männern besuchtes Geschäft mit TV-Geräten durchschreitet.
Eine bröckelnde Welt gibt es auch in der Sektion "Discovery" bei Britta Rettberg aus München zu besichtigen, deren Stand die in Athen lebende Olga Migliaressi-Phoca in ein 12.5000 Euro Spiegelkabinett mit kritisch in ihrer Bedeutung verdrehten Modelogos verwandelt hat. Bei Thomas Umran aus Bratislava arrangiert wenige Schritte weiter die 1985 geborene Lucia Tallová Objekte, Gemälde, alte Fotografien, Collagen und Alben zu neusurrealen Installationen. So baut sie ihr eigenes Archiv fiktiver Erinnerungen auf. Und das ist düster bis bedrohlich. Die Patina der Materialien entführt in vergangene Epochen voller melancholischer Szenen, eine Endzeit, die sich einen poetischen Korridor in die fragile Gegenwart schlägt. Die Preise bewegen sich noch im vierstelligen Bereich.
Die Berliner Galerie Office Impart gesellt sich in gleicher Sektion mit den virtuell anmutenden Chimären der 1995 geborenen Salomé Chatriot dazu. Organische Maschinen sind für sie kein Widerspruch. Ihre sinnlichen Anatomien in 3D-Universen ähneln vielgestaltigen Organismen auf metallischen Oberflächen, die längst das hiesige Jammertal verlassen haben und in einer parallelen Realität harmonisch existieren. In naher Nachbarschaft in der Galerie Afrikaris aus Paris wagt sich die 1992 geborene Géraldine Tobe an die Schnittstelle von Traumata und dem anhaltenden Erbe des Kolonialismus. Als Absolventin des Institut des Beaux-Arts in Kinshasa lehnte Tobe die traditionelle Malerei ab und wandte sich Feuer und Rauch als Medien zu. Inzwischen malt sie mit Ruß von Öllampen, was man erst beim näheren Hinsehen bemerkt. Ihre Themen sind keine leichte Kost, es geht um Sklaverei, Exorzismusrituale, die Rolle der Kirche in der Kolonialgeschichte und deren Zerrüttung indigener Glaubenssysteme. Die Leinwände verschmelzen afrikanische Masken mit geisterhaften Körpern, die sich schmerzhaft verrenken.
Natürlich bleiben die üblichen Preis-Superlative nicht aus, auch wenn sie die Ausnahme bilden. Das teuerste Werk der Messe ist etwa mit 1,4 Millionen Euro "Le Cloître" von Paul Delvaux. "Was dieses Gemälde von 1957 so besonders macht, ist seine Beziehung zu 'L‘Aurore', einem Werk, das Delvaux 20 Jahre zuvor geschaffen hat", sagt Alessia Calarota von der Galleria d'Arte Maggiore, die zum ersten Mal an der Art Brussels teilnimmt. "In diesem frühen Werk sehen wir vier weibliche Körper, die mit Baumstämmen verschmelzen. In "Le Cloître" verwandeln sich diese weiblichen Figuren in kraftvolle Skulpturen, die an die griechische Bildhauerei angelehnt sind."
Die Frage nach der Authentizität in der Kunst kommt zu guter Letzt am Stand der Galerie Plus-One aus Antwerpen nicht zu kurz. Der 1994 geborene Niederländer Daan Couzijn stellt sie sich in einer Serie konzeptueller Kunstwerke. "Ich versuche die 'Aura' eines alten Gemäldes aufzulockern und es als mein neues Werk zu präsentieren", erklärt er. In Zusammenarbeit mit Restauratoren entfernt Couzijn Lack-, Schmutz- und Pigmentschichten und transferiert sie auf eine andere Leinwand. Danach steckt er diese neuen Kreationen in Artefakte, die er auf Auktionen erwirbt, etwa Raumteiler aus Walnussholz aus dem 19. Jahrhundert. Ob die Sammlerschaft vom Möbelstück oder dem darin steckenden Kunstwerk angezogen wird, spielt bei dieser augenzwinkernden Mimikry am Ende keine Rolle mehr.