Als Undercover-Agent, der Eier versteckt, bleibt er notgedrungen unsichtbar. In der Kunstgeschichte hat der Hase indes seinen großen Auftritt. Am berühmtesten als von Albrecht Dürer im Jahr 1502 geschaffener "Feldhase" – kein Tier brachte es zu größerem Ruhm in der Malerei. Hilka Sinning hat dem Hasen in der Kunst nun eine Dokumentation auf Arte gewidmet. Der Titel "Schöne lange Löffel" beschreibt schon das Alleinstellungsmerkmal des unverwechselbaren Wesens.
Sind es allein die Ohren, denen der Hase seine Karriere verdankt? In der Antike galt er als Glücksbringer, oft war seine unerschöpfliche Fruchtbarkeit Thema und Faszinosum zugleich. In Gemälden der Renaissance war er oft als Begleiter der Madonna zu sehen. Bei Dürer hat er einen Soloauftritt, der den taktilen Qualitäten, dem Realismus des berühmten Gemäldes geschuldet ist.
Der Maler scheint in der Miniatur, von der Albertina-Besucher in Wien aus konservatorischen Gründen nur eine Replik zu sehen bekommen, jedes einzelne Fellhaar gemalt zu haben. Das Tier blickt so lebendig von der Leinwand herunter, dass man mein, es streicheln zu können.
Der Gipfel der flauschigen Darstellungskunst
Als showpiece, das dauerhaft in Dürers Nürnberger Werkstatt hing, war der "Feldhase" wahrscheinlich aus einem ganz banalen Grund entstanden. Regelmäßig ließen sich wohlhabende Bürger mit Pelzkragen vom Meister porträtieren, der den Kundinnen und Kunden dann gleich ein Musterbild vorlegen konnte. Dürers Künstlerkollege, der Venezianer Giovanni Bellini, soll derart begeistert von der flauschigen Darstellungskunst des Nürnbergers gewesen sein, dass er unbedingt Dürers Haar-Pinsel erwerben wollte. "Nimm, welchen Du willst", soll ihm dieser im Hinblick auf seinen Instrumentenkasten entgegnet haben – er könne es mit Pinseln jeder Dicke.
Die französische Kunsthistorikerin und Stillleben-Expertin Laurence Bertrand Dorléac erklärt, warum Hasen und Kaninchen als Jagdbeute die Stillleben des Barock dominierten. "Wir sind alle sterblich", so das Credo der Barockkünstler, "das sinnliche, zarte Fell und die lebhaften Augen machen es uns schwer, keine Empathie mit der toten Kreatur zu empfinden" – der Hase wird zur Identifikationsfigur.
Dafür nennt die Kunsthistorikerin auch ein jüngeres Beispiel. Die Hasenjagd in Jean Renoirs berühmter filmischer Gesellschaftssatire "La Règle du jeu" ("Die Spielregel"), in dem die massenhaft zur Strecke gebrachte Kreatur ein eklatantes "Missverhältnis zwischen Mensch und Tier" anzeige.
Außen Goldpapier, innen hohl – von wegen!
Zu den zentralen Mümmelmännern der Kunstgeschichte zählt Jeff Koons’ "Rabbit"-Edelstahlskulptur, die mit 91 Millionen Dollar Auktionsrekorde feierte und in der sich Betrachterinnen und Betrachter spiegeln können. Beginnend mit einem "Springenden Hasen" von 1979 beschäftigte sich der britische Bildhauer Barry Flanagan den Rest seines Lebens intensiv mit dem Langohr, wobei der Künstler besonders die choreografischen Qualitäten des Hasen – als hakenschlagender Läufer, Boxer und Tänzer – hervorhob. Die Leichtigkeit, die Flanagan seinen Bronzen mitgab, war bemerkenswert.
Bei der aus Japan stammenden, heute in Berlin lebenden Künstlerin Leiko Ikemura war die Flut- und Reaktorkatastrophe von Fukushima Auslöser einer Langzeitbeziehung mit der Hasenfigur. Das Tier, dessen überlange Ohren Erde und Himmel zu verbinden scheinen, figuriert bei Ikemura als Hoffnungsträger.
Oft stellt die Künstlerin den Hasen mit einem weiten, bergenden Mantel dar, der ihm die Kraft einer Madonna verleiht. Vom Hasen bis zur religiösen Sphäre ist es also nicht weit. Sinnings "Löffel"-Doku macht verständlich, dass im Hasen viel mehr steckt als ein Ostermaskottchen aus Vollmilchschokolade. Außen Goldpapier, innen hohl – von wegen!