"Asteroid City" von Wes Anderson

Ein Film, der verglüht wie ein Sternschnuppenregen

In seinem neuen Film "Asteroid City" erschafft Regisseur Wes Anderson mal wieder eine absurde Pastellwelt voller Hollywoodstars. Für Fans sicher ein Feuerwerk - doch die ganze Virtuosität aus Pointen und Ideen führt zu nichts

Die Ankunft von Außerirdischen auf unserem Planeten wäre ein höchst unwahrscheinliches Ereignis. Entsprechend irrsinnig stellt man sich die filmische Darstellung einer Alien-Landung vor. Wie eine Oper, eine Orgie aus Farbe, Bewegung und Musik, wie es Steven Spielberg in "Unheimliche Begegnung der dritten Art" in den 1970ern inszeniert hat. Nicht der Rede wert ist der Besuch aus dem All dagegen bei Wes Anderson. "Asteroid City", der zwölfte Spielfilm des texanischen Regisseurs, punktet mit der wohl beifälligsten Raumschifflandung der Filmgeschichte (gemessen an den filmtechnischen und ästhetischen Möglichkeiten der Zeit).

Der Grund für die unscheinbare Begegnung der tristen Art liegt in der Kompliziertheit des Films: "Asteroid City" ist selbst nicht von dieser Welt. Insofern muss das Alien mit tausend anderen Skurrilitäten konkurrieren. Es ist die sehr sehr eigentümliche Wes-Anderson-Welt, in die wir zurücktauchen, zwei Jahre nach "The French Dispatch", ein knappes Jahrzehnt nach "Grand Budapest Hotel". Und sogar die eingefleischten Kenner seiner Geschichten dürften sich diesmal schwertun, die Haltungen und Aktionen der Wes-Anderson-Figuren nachzuvollziehen. Aber darin liegt womöglich der Reiz seiner Filme (wenn man die Antennen dafür hat).

Asteroid City, das titelgebende Wüstenkaff, in dem sich die Haupthandlung ereignet, funktioniert wie ein riesiges Brettspiel. In diesem künstlichen, farbübersättigten Ambiente voller roter Felsen und Kakteen aus Pappmaché tummelt sich ein emotional vorwiegend untertemperiertes Personal. Man müsste an Spielfiguren denken, die Anderson und sein Co-Autor Roman Coppola auf diesem Feld hin- und herschieben – wenn nicht die Stars, darunter viele langjährige Anderson-Cracks, ihren seltsamen Charakteren doch wieder erstaunliches Leben einhauchen würden: Tom Hanks, Tilda Swinton, Adrien Brody, Willem Dafoe und Jeff Goldblum: als Alien. Es fehlt Bill Murray, der an Covid erkrankte und für den Steve Carrell einsprang.

Atombombentests? Nicht der Rede wert

Der Film spielt etwa 1955, was sich auch am Retrodesign des Diners in Asteroid City, den Autos und Kostümen ablesen lässt. Vor 3000 Jahren schlug hier ein Meteroit ein und hinterließ einen riesigen Krater in der Wüste. Hier, am Standort eines Observatoriums der amerikanischen Regierung, findet alljährlich eine Art "Jugend forscht"-Treffen statt, bei dem Nachwuchsnerds für ihre wissenschaftlichen Projekte ausgezeichnet werden.

Es ist ein merkwürdiger, zwischen Einöde und Urbanität unentschiedener Ort. Ein langer Desert-Highway zieht sich – ausgerechnet – durch das Wüstennest. Außerdem schießt regelmäßig ein Expresszug durch Asteroid City, der von Pekannüssen bis zu Atomsprengköpfen alles mögliche transportiert. Kleine Atombombentests in nächster Umgebung gehören zum surrealen Alltag. Nicht der Rede wert.

Als plötzlich ein Raumschiff vorbeikommt und die Ein-Alien-Besatzung den einst abgestürzten Meteroiten stibitzt, stellt Fünf-Sterne General Grif Gibson (Jeffrey Wright) Asteroid City unter Quarantäne. Niemand darf das Städtchen verlassen, kein Neuankömmling hat von nun an mehr Zutritt.

Kuriose Gespräche von Fenster zu Fenster

So sitzen auch der Kriegsfotograf Augie Steenbeck (Jason Schwartzman), sein mürrischer Schwiegervater Stanley Zak (Tom Hanks) und Augies vier Kinder in Asteroid City fest. Hier erfahren die Kinder vom Tod ihrer Mutter, die erst kürzlich verstarb. In einer Tupperdose verwahrt Augie die Asche seiner Frau. Kam Augie nicht dazu, den Kids den staubigen Inhalt der Frischhaltebox zu erklären? Bringt er es nicht übers väterliche Herz?

Viel Zeit zu trauern hat Sohn Woodrow (Tony Revolory) ohnehin nicht, denn der hochbegabte Junge wurde zur "Stargazer Convention" in Asteroid City eingeladen, wo das kleine Genie unter anderem die nervöse Astronomie-Expertin Dr. Hickenlooper (Tilda Swinton) kennenlernt. Währenddessen kommen sich der verschlossene Witwer Augie und die Hollywoodschauspielerin Midge Campbell (Scarlett Johansson) näher. Die kuriosen Gespräche von Fenster zu Fenster der in zwei verschiedenen Gebäuden logierenden Augie und Midge zählen zu den schönsten Momenten des Films.

Einmal probt der Fotograf mit der Aktrice eine Szene, für die sich Midge gespielt-schwächlich in die Badewanne legt. Augie, der Stoiker, macht den Eindruck, als würde er, entsprechend seinem emotionalen Drehbuchtext, in der nächsten Sekunde Gefühle zeigen. Doch: wieder nichts.  Lediglich Augies Hand wird heiß – weil er versehentlich den brennenden Toaster angefasst hat.

Nichts als eigentümliche Momentaufnahmen

Eigentlich besteht "Astroid City" nur aus solchen eigentümlichen Momentaufnahmen. Die Erzählung, soweit man überhaupt davon sprechen kann, fügt sich wie ein Puzzle aus derlei skurrilen Elementen. Zusammengehalten wird das durch die großartige Kameraarbeit von Robert D. Yeoman. Wie so oft bei Anderson dominieren die Symmetrien, die Rahmungen, nichts Zufälliges täuscht über die Künstlichkeit der Kompositionen hinweg, die Kamera bewegt sich überwiegend in seitlichen Fahrten, als würde sie selbst wie eine Kulisse durch das Set geschoben.

Den oben knapp angedeuteten Plot, der zwischen unterkühltem Douglas-Sirk-Melodram und Science-Fiction-Parodie mäandert, kann man eigentlich vergessen. Das eine Problem von "Asteroid City" ist die Tatsache, dass es – abgesehen vom Paar Augie-Midge – zwischen den Figuren im Ensemble zuwenig funkt.

Das größere Problem bewirkt die von Anderson eingezogene zweite Erzählebene, die das Entstehen des Films behandelt. Das eigentliche Werk, den wir in Farbe und Cinemascope sehen, soll in der Rahmenhandlung eine TV-Theaterproduktion sein (entsprechend in Schwarz-Weiß und aufs 4:3-Fernsehformat reduziert sich dann die Szenerie).

Bin ich im falschen Film?

In blasiertem Ton führt uns ein Erzähler (an sich witzig: Bryan Cranston) in die Schreibstube des Autors Conrad Earp (Edward Norton) und auf eine Probebühne, auf der ein Regisseur namens Schubert Green (Adrien Brody) die fiktionale Wüstenei zum Leben erweckt. Mitunter verirrt sich auch eine Figur aus diesem, nun ja, "Making-of" in die pastellbunte Wes-Anderson-Welt der Haupthandlung.

Bin ich im falschen Film? mag sich der eine oder die andere auch vom Kinosessel aus fragen. Der neuen Wes Anderson ist ein Asteroidenschwarm an Ideen, Pointen, Seitenblicken, Doppelbödigkeiten. Doch am Ende, so jedenfalls der subjektive Eindruck, hat man von der ganzen Virtuosität nichts. "Asteroid City" verglüht wie ein Sternschnuppenregen am nächtlichen Sommerhimmel. Für Wes-Anderson-Groupies sicher ein Feuerwerk!