Tobias Rehberger in Berlin und Frankfurt

Die Welt ist ein Rummelplatz

Tobias Rehberger "psychic dinner inside", 2023
© Tobias Rehberger. Courtesy the artist and neugerriemschneider, Berlin. Foto: Jens Ziehe, Berlin

Tobias Rehberger "psychic dinner inside", 2023

Motivwelten des Zirkus' durchziehen die neue Berliner Schau von Tobias Rehberger. Verweisen sie auf eine politische Gegenwart, die von einem übermächtigen Horrorclown gekapert wurde? Ein Besuch im Frankfurter Atelier des Künstlers

Der Künstler muss sich erst einmal durch einen Wust von Smartphonefotos scrollen. "Instagram ist mir zu anstrengend", sagt Tobias Rehberger. Es sei zu viel für ihn, also zeigt er eigene Bilder von der Eröffnung seiner aktuellen Berliner Galerieausstellung. Unscharfe Gesichter in einem dunklen Hof, mehrere Fotos leuchtender Neonarbeiten an einer Hausfassade – jetzt nähern wir uns "on top of surface – beneath some thought", Rehbergers nunmehr neunter Soloschau bei Neugerriemschneider.

"Das ist hier gemacht", sagt Rehberger und zeigt das Foto einer großen Brunnenskulptur mit einer Clownsbüste als unübersehbarem Herzstück. Er deutet auf einen Tisch, auf dem allerlei bunte Requisiten liegen. Es seien Clownsoufits, so Rehberger, in denen er von seinem Team 3D-gescannt und -gedruckt worden sei. "Hier" meint das Studio Tobias Rehberger – ein unscheinbarer Gewerbebau im Frankfurter Osthafen, der eine weitläufige Büroetage, eine große Werkstatt und etliche 3D-Drucker beherbergt.

Die im Atelier gedruckte Rehberger-Büste wurde mehrfach verfremdet und übermalt: Fratzenhaft erscheint das letztlich ausgestellte Clownsgesicht, beängstigend sein Grinsen. Aus der Clownsnase läuft Wasser, während auf dem Hinterkopf ein weiteres aufgemaltes Antlitz erscheint: "The unexpected life of a discontent boy" ist ein zwischen Horror und Groteske oszillierender Blickfang.

Rummelplatz, Las Vegas, Zirkus, Clown

Flankiert wird der Gruselbrunnen von plakativen Aquarellporträts mitunter heiter anmutender Clowns, deren physiognomische Ähnlichkeit mit dem Künstler ins Auge fällt. "Mit Leuten zusammen" habe er Fotoporträts von ihm mit Aquarellfarben übermalt und mit Clownsverkleidung versehen, erzählt Rehberger. "Funny", "Funnier", "And Funnier" sagen über den Porträts angebrachte, verspielte Schriftzüge.

Rummelplatz, Las Vegas, Zirkus, Clown: Abgesehen von einer Aquarellserie, die von Wassertropfenformationen in Beschlag genommene Glasscheiben zeigt und an Wolfgang Tillmanns' abstrahierende Fotografien denken lässt, durchziehen diese Motivwelten Rehbergers Ausstellung. Will man sie als Reflexion über Oberfläche und Maskierung, über das Zeigen und Verbergen deuten, wie Rehberger es nahelegt? Oder sind um die Wette blinkende Neonschilder und schrille Clownsporträts schlicht das Signet einer Gegenwart, die vor knapp drei Monaten von einem übermächtigen Horrorclown gekapert wurde?

Tobias Rehberger hat womöglich keine Zeit, allzu eingehend darüber nachzudenken. Bei einem Rundgang durch das Ateliergebäude zeigt er momentan im Entstehen begriffene Tonvasenarbeiten und großformatige Ölgemälde, die geometrische Abstraktion mit Schriftzeichen verschmelzen und irgendwo zwischen Günter Fruhtrunk und Anna Nero changieren. "Alles ganz brav gepinselt", betont Rehberger den handwerklichen Charakter seiner "mit jemandem zusammen" gemalten Bilder, die ab 24. Mai bei Bärbel Grässlin präsentiert werden sollen.

"Ein bisschen Heimspiel"

"Beides ist ein bisschen Heimspiel", sagt Tobias Rehberger über seine Galerien in Frankfurt und Berlin. Bei Grässlin habe er 1994, direkt nach dem Studienabschluss an der Städelschule, seine allererste Galerieausstellung gezeigt. "Neugerriemschneider ist meine Hauptgalerie seit 1995", so Rehberger. Während er in Berlin und Frankfurt lebt und seit 2001 als Professor an der Städelschule lehrt, verbindet Rehberger mit Esslingen seine Herkunft: 1966 in der württembergischen Stadt geboren, wuchs er im nahegelegenen Denkendorf auf.

Den Neubau des Esslinger Landratsamtes wird Rehberger mit mehreren Malereien und einer im Raum schwebenden Neonskulptur ausstatten, die im November eingeweiht werden sollen. 3D-Renderings vermitteln einen ersten Eindruck von dem schriftbasierten, ortsspezifischen Ensemble. Ergänzend zeigt ein Mitarbeiter weitere laufende Projekte in Mecklenburg-Vorpommern und Australien. "Esslingen, Schwerin, Frankfurt, Sydney, Berlin – eine lustige Mischung", kommentiert Rehberger das diesjährige Tableau in seinem lässigen, fein schwäbelnden Duktus. Sehr deutsch sei diese Mischung: "Gar nicht so typisch für mich."