Fotoausstellung in Winterthur

Der Zauber der Nacht

Schon Patti Smith wusste, dass die Nacht den Liebenden und der Lust gehört. Eine Ausstellung in Winterthur zeigt Bilder vom Exzess und den Parallelwelten im Dunkeln  

Ob Eskapismus oder politischer Akt: Das schützende Dunkel der Nacht ermöglicht Grenzüberschreitungen. Dass die Nacht den Liebenden und der Lust gehört, wusste schon Patti Smith. Diese These untermauern jedoch auch Tobias Zielonys Fotografien der queeren Underground-Techno-Szene Kiews und die brasilianischen Brega-Musiker, die in Bárbara Wagners und Benjamin de Burcas Videoarbeit nach Feierabend ihrem Alltag entrücken.

Bieke Depoorters Serie "Agata" zehrt von der augenblicklichen Intimität, ­die aus dem einvernehmlichen Wissen erwächst, dass man sich bei Tageslicht nicht wiederbegegnen wird. Die Fotografin und ihr Modell lernen sich in einem Stripclub kennen und haben seitdem viele Nächte miteinander verbracht. Depoorter zeigt Agata immer wieder in einer Fotoserie, an der sie bis heute arbeitet. Die Bilder sind intim, wahren aber trotzdem eine gewisse Distanz. Nicht nur Agata wird portraitiert, sondern auch das Umfeld, in dem sie sich bewegt. Das Nachtleben in Paris.

Wenn einem die Straßen allein gehören 

Von der Brutalität der Nacht hingegen erzählt Thembinkosi Hlatshwayos Serie "Slaghuis": In Bildern voller Schmutz, Brandlöcher und zerbrochenen Flaschen verarbeitet er seine Jugend als Bewohner einer illegalen Taverne in einem Johannesburger Township. Georg Gatsas begann gegen Ende der 2000er, die aufblühende Londoner Dub­step-Szene zu porträtieren. Auf seinen Bildern tauchen DJs, Tänzer und andere Nachtschwärmer auf. Sie stammen oft aus den multikulturellen Vierteln im Londoner Süden, wo sich karibische Einflüsse mit elektronischer Musik und viel Bass vermischt haben und Dubstep seine Wurzeln hat.

Mit Aufnahmen menschenleerer Straßen und U-Bahn-Stationen hält er außerdem den taumelnden Heimweg im Morgengrauen fest, einen Moment, in dem einem die Stadt ganz allein gehört. "All Great Movements Begin Under­ground" steht auf einem Plakat, das Gatsas 2014 ablichtete, als Dubstep bereits Mainstream geworden und seine Geburtsstätte Brighton niedergentrifiziert war.

Die Schönheit im Kitsch

Das Künstlerpaar Bárbara Wagner und Benjamin de Burca zeigt in Winterthur den Film "Estás Vendo Coisas" (You Are Seeing Things), der 2017 auf der Berlinale in Berlin zu sehen war. Es geht um den ökonomischen Faktor von Popmusik, um Musik als Unternehmen, aber auch um das individuelle Erlebnis der Protagonisten. Die Musikrichtung Brega gefällt den Massen und wird wegen ihres Hangs zum Kitsch und ihrer Überspitztheit oft als geschmacklos bezeichnet. Die Hauptrollen im Film spielen die Stars der Szene selbst, die auch am Skript beteiligt waren und die in die Nacht und die Musik eintauchen, um ihrem Tageslicht-Leben zu entfliehen.

Vielleicht verschwindet ein Stück des nächtlichen Zaubers, sobald man versucht, ihn festzuhalten. Trotzdem gewinnen die jungen Positionen in Winter­thur an den kürzesten Tagen des Jahres der Dunkelheit etwas sehr Feierliches ab.