Gero von Boehm über Helmut Newton

"Frauen hatten Vertrauen zu ihm als Gentleman"

Gero von Boehm mit Grace Jones
© Gero von Boehm

Gero von Boehm mit Grace Jones

Helmut Newton gilt als einer der bedeutensten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Seine Bilder von vornehmlich nackten Frauenkörpern begeistern weltweit, aber sie provozieren auch. Vermehrt wird ihm ein veraltetes Rollenverständnis und die Objektivierung der Frau vorgeworfen, er selbst nennt sich einen "professionellen Voyeur". In seinem neuen Film porträtiert Gero von Boehm den 2004 verstorbenen Großmeister und lässt dabei vor allem die Frauen zu Wort kommen

Herr von Boehm, wenn Sie früher mit Helmut Newton durch Berlin spaziert sind, was hat er Ihnen gezeigt?

Seine Wege, den Park in Schöneberg, wo er als Kind unterwegs war, das Strandbad Halensee, aber auch den Bahnhof Zoo. Das hat ihn sehr bewegt, weil er von dort 1938 abgefahren ist, um Deutschland zu verlassen. Das letzte Haus, das er aus dem Zug sah, war das damalige Landwehr-Casino in der Jebenstraße, wo heute die Helmut Newton Foundation ist. Völlig ohne Groll kam er nach Deutschland zurück, das war seine Großzügigkeit und auch seine große Fähigkeit, Dinge zu verdrängen und immer nur positiv zu sehen.

In anderen Porträts über ihn sieht man ihn nicht sehr offen, noch nicht einmal besonders sympathisch. Bei Ihnen wirkt er gelöst.

Wenn er draußen rumlaufen konnte, war er ziemlich locker, das habe ich genutzt. Irgendwo steif herumsitzen zu müssen hat er keine zehn Minuten ausgehalten.

Einmal sitzt er in der bekannten Talkshow "Apostrophes". Susan Sontag äußert Unbehagen über seine frauenfeindlichen Bilder. Er ruft daraufhin aus: "Aber ich liebe die Frauen!" Und Sontag sagt: "Das sagen viele misogyne Männer, das beeindruckt mich nicht."

So kann man das alles sehen, aber er war nicht misogyn. Er hat nie jemanden zu etwas gezwungen, die Frauen hatten Vertrauen zu ihm als Gentleman, der er zweifellos war. Sie fühlten sich sicher. Ich glaube auch nicht, dass da je irgendwas war mit einem Model. Ich habe ihn darauf angesprochen. Und da sagte er, ich bin doch nicht verrückt.

Hanna Schygulla deutet etwas an.

Sie ist ja kein Model. Im Gespräch mit ihr kam schön heraus, dass da wirklich eine gewisse Liebesbeziehung war. Ich mochte, dass es in der Schwebe bleibt. Da wollte ich nicht mehr wissen.

Er hat Grace Jones nackt in Ketten fotografiert, besonders im heutigen Kontext keine gute Vorstellung, aber schon damals wurde der Stern für das Titelbild verklagt. Hat er aus so etwas gelernt?

Das war seine Lust an der Provokation. Er war einerseits ein kleiner Junge, der spielen wollte, andererseits ein echter Anarchist. Wo immer er durch Provokation Aufsehen erregen konnte, hat er das gemacht. Das hat ihn nicht gejuckt, und sie auch nicht, wie man sieht. Sie sagt dazu: "Das war alles ein Spiel, er war ein bisschen pervers, aber ich auch, denn ich habe auch Typen gefesselt. Weiße, große Typen."

Grace Jones ist legendär divenhaft, aber für Sie hat sie liebenswürdig zur Verfügung gestanden. Wie haben Sie das gemacht?

Es war nicht ganz einfach, weil sie immer wieder zurückzuckte und eigentlich nur noch auf Jamaika ist und da in den Tag hineinlebt. Oder drei, vier Jahre an einem neuen Album arbeitet, das dann doch nicht erscheint. Erst sollten wir sie in New York treffen, sie sagte kurz vorher ab, dann hieß es, sie käme nach Paris. Kam sie aber nie. Sodass mir nichts übrig blieb, als mit meinem Team nach Jamaika zu gehen. Da sollten wir sie in diesem Golden Eye Resort treffen, wo Ian Fleming in seiner Villa "James Bond" geschrieben hat. Sie war ja auch mal Bond-Girl. Sie kam einen Tag später als verabredet, und auch nicht mittags, wie vereinbart, denn es kam ihr ein Tennis-Turnier im TV dazwischen, das sie sehen musste.

Klingt strapaziös für ein Filmteam mit aufgebautem Equipment.

Das Problem war, dass langsam die Dämmerung kam und wir kein Licht dabei hatten, das wäre Übergepäck gewesen. Im Dunklen saßen wir immer noch auf der Terrasse, wo alles eingerichtet war. Wir rannten in unsere Hotelzimmer und holten sämtliche Stehlampen heraus, um notdürftig Licht zu machen, das im Übrigen ganz schön geworden ist. Dann kam sie, und sie war so reizend, lustig, fröhlich, völlig unprätentiös. Es gab ein Schlückchen Whispering Angel, das ist ihr Lieblings-Rosé, und noch ein Schlückchen und noch eins. Es war vier Uhr morgens als wir uns getrennt haben. Sie ist ganz toll.

Claudia Schiffer, Charlotte Rampling, Marianne Faithful – Sie haben nur Frauen um Stichworte zu Helmut Newton gebeten. Ein Trick von Ihnen?

Das war das einzige, das interessant war: Carte Blanche den Frauen, die ihn gut kannten. Sie reflektieren das sehr gut. Ob das Isabella Rosselini ist, die sagt, natürlich ist da eine Portion Macho drin, aber darüber lernen wir die Männer dieser Ära kennen. Oder seine Empfindlichkeiten, wie bei Nadia Auermann, die sagt, sie wollte damals kein Aktfoto von sich machen lassen, woraufhin er zwei Jahre nicht mit ihr gearbeitet habe.

Helmut Newton hätte heute einen sehr schweren Stand.

Damals war der nackte Körper endlich kein Tabu mehr, "political  correctness" war noch ein Fremdwort. In zehn oder 20 Jahren wird das Werk vielleicht auch langsam in Vergessenheit geraten. Ich  fand, zum 100. Geburtstag kann man es einmal noch erzählen. Kein Denkmal, das hätte er nicht gemocht. Nur einmal so reingucken in sein Universum.