Installationen an deutschen Bahnhöfen

Kunst zum Aussteigen

Der Kasseler Hauptbahnhof mit Jonathan Borofskys "Man Walking To The Sky"
Foto: Ralf Roletschek / CC via Wikimedia Commons

Der Kasseler Hauptbahnhof mit Jonathan Borofskys "Man Walking To The Sky", 1992

Zugreisen schonen das Klima, und man kann dabei sogar noch Kunst anschauen. Hier sind einige Werke an deutschen Bahnhöfen, für die sich ein Zusatzhalt lohnt
 

1. "Obelisk of Tutankhamun" von Rita McBride am Kölner Hauptbahnhof 

"Welche Stadt kann sich Weltstadt nennen, ohne einen Obelisken zu besitzen?" Das zumindest fragte sich die Düsseldorfer Stiftung der Sparda-Bank West und schenkte der Rheinkonkurrenz am Dom einen etwa acht Meter hohen Carbonfaser-Obelisken der damals noch amtierenden Rektorin und heute wieder Professorin der Düsseldorfer Kunstakademie. Knapp drei Jahre dauerte die Zulassung, bis der dunkle Turm über Nacht endlich auf der "hässlicheren" und vom Verkehrschaos drangsalierten Seite des Hauptbahnhofs in der Mitte des Kreisverkehrs am Breslauer Platz, aufgestellt wurde.

Struktur ins Chaos des Alltags soll er bringen. Wie er das genau macht, offenbart der Turm im Stile der Baukunst aus der ägyptischen Antike jedoch nur, wenn man gleich mehrere Weiterfahrten aussetzt und sich dem Treiben auf der falschen - pardon, domabgewandten - Bahnhofsseite hingibt.

Rita McBride "Obelisk of Tutankhamun", 2017, Köln
Foto: Ivo Faber / Stiftung der Sparda West Bank

Rita McBride "Obelisk of Tutankhamun", 2017, Köln


2. "Terminal" von Richard Serra am Bochumer Hauptbahnhof

Ach Bochum, kommen wir nicht alle ein bisschen aus dir? Tief im Westen stehen sie: Vier scheinbar lose gegeneinander gelehnte Corten-Stahlplatten von Richard Serra, zwischen Busbahnhof, McDonald’s und Mercure Hotel (früher noch Park Inn). Auf ihrer einsamen Insel, umfahren vom Pendlerverkehr, wirken die zwölf Meter hohen Stahlriesen fast ein wenig entschleunigend. Verirrt sich mal ein Passant zwischen die Platten, eröffnet sich ein exakt quadratischer Ausblick auf den Himmel von innen.

So viel Ausgewogenheit hätten sich die Verantwortlichen des Projektes wahrscheinlich gewünscht, als das Werk 1979, nachdem es auf der Documenta 6 in Kassel zu sehen war, in Bochum aufgestellt wurde. Serras "Terminal" stieß jedoch auf derart viel öffentliche Empörung, dass das Werk sogar Thema der folgenden Landtagswahl war. Dabei wurde der Werk ursprünglich extra für diesen Ort konzipiert - und das von einem Richard Serra, der praktisch aus der Henrichshütte im benachbarten Hattingen arbeitete, im Stahl der Region tief verwurzelt war und der Ruhrgebietsperle ein Monument setzen wollte. Dessen Bevölkerung sei mindestens so beständig und widerstandsfähig wie der verwendete Stahl. Ob sich die Bochumerinnen und Bochumer heute in dem rostigen Versteck wiederfinden? Zumindest empört sich niemand mehr. 

Richard Serra "Terminal", 1977, Bochum (2022)
Foto: Elke Buhr

Richard Serra "Terminal", 1977, Bochum (2022)


3. "Weißer Zirkel" von Thomas Henninger und Axel Anklam im Parkhaus am Bahnhof Ulm

Wer glaubt, alle Abgründe in Beton gegossener Bahnhofsarchitekturen gesehen zu haben, hat sich noch nie auf die tieferen Ebenen des Höllenzirkels vorgewagt. Denn hier, unter der Erde, mäandern die Auswüchse des Kapitalismus in umgekehrter Kegelform, besser bekannt als Tiefgaragen. Ihre Existenz muss aber nicht gleichsam jede Abwesenheit von Schönheit bedeuten. Deshalb lobte die Stadt Ulm die Ästhetisierung ihres Parkhauses am Bahnhof aus, derer sich die Berliner Künstler Thomas Henninger und Axel Anklam annehmen durften.

Das Werk "Weißer Zirkel" sieht aus wie eine Pendelleuchte bestehend aus zueinander versetzten kreisrunden Sphären. Zugutehalten muss man dem Licht-Wirbel, dass er seine räumliche Umgebung aufgreift und die ohnehin notwendige Funktionalität von Beleuchtung sinnverändernd integriert. Nur in welche Richtung wird der Sinn verändert? Durch seine Präsenz drängt sich der "Weiße Zirkel" in die Wahrnehmung der parkplatzsuchenden Autofahrer, sodass sich die Frage anschließt: Augen auf die Straße, oder doch mal kurz gucken?



4. Kunst-Station am Bahnhof Wolfsburg

Wie ein Dom von Wolfsburg stehen sie da zur Begrüßung, weithin sichtbar für alle Zugpassanten dieser aus dem Boden gestampften Industriestadt: die vier Schornsteine des Heizkraftwerks der Autostadt. Wolfsburg - wofür eigentlich das W in VW stehen sollte - ist neben seiner großzügig subventionierten Automobilindustrie auch bekannt für sein ebenso mäzenatisch finanziertes Kunstmuseum, das ein sehr gutes Programm kuratiert.

Um dem selbstverliehenen Beinamen als Stadt der Museen und Schlösser zumindest näherzukommen, bespielt die Städtische Galerie Wolfsburg gemeinsam mit der Deutschen Bahn den Wartebereich in der Vorhalle des Hauptbahnhofs unter dem Namen "Kunststation" seit 2005. Nach dem aufsehenerregenden Auftakt Daniel Burens 2005 eigneten sich jährlich ein bis zwei Künstlerinnen und Künstler den Raum der Kunststation an, darunter zuletzt Anna Ehrenstein & Will Fredo (2022), Susanne Bonowicz (2021) und Andreas Greiner (2020). 

"O. T. - ST4-The Project", Kunst-Station Wolfsburg, 2023
Foto: © Ali Altschaffel

"O. T. - ST4-The Project", Kunst-Station Wolfsburg, 2023


5. "Vertical Highways" von Bettina Pousttchi am Berliner Hauptbahnhof

Während sonst Kommunen, Stiftungen und Museen die Bahnhöfe des Landes mit Kunstwerken bestücken, durfte vor dem Hauptbahnhof der Hauptstadt ein privater Verein öffentlichen Raum für sich beanspruchen: Walter Smerlings "Stiftung" genannter Verein "für Kunst und Kultur". Dessen Interessen zu entheddern ist wahrscheinlich ähnlich kompliziert, wie die warnroten Leitplanken des hier präsentierten Kunstwerks wieder gerade zu biegen: Bettina Pousttchis "Vertical Highways". Denn Smerling stand doch gerade für seine "Kunsthalle Berlin" auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof in der Kritik, wo der geschickte Strippenzieher ebenso öffentlichen Raum für sich Anspruch nahm, wie jetzt hier an der Südseite des vielleicht hässlichsten Bahnhof Deutschlands.

Wer das alles ausblendet, kann sich für die Künstlerin freuen, dass ihr Werk an einem Platz steht, an dem täglich mehr als 330.000 Menschen ein-, aus- und umsteigen. Das an einen Unfall erinnernde "Vertical Highways" widerspricht dem architektonischen, hochglanzverspiegelten Hauptstadtversprechen des Cubes oder des KPMG Quarters direkt daneben.


6. Rupprecht Geigers (gerade abwesendes) Plattenrelief am Münchner Hauptbahnhof

Frei nach Hans-Joachim Kuhlenkampffs "Wie Sie sehen, sehen Sie nichts" vermisst man dieser Tage das denkmalgeschützte, "Alpenmosaik" genannte Plattenrelief des Münchner Künstlers Rupprecht Geiger an der Ostfassade über dem Haupteingang in München. Es war Geigers erster öffentlicher Auftrag für “Kunst am Bau”. Ein Auftrag, den er im begeisterten Nachkriegsfarbenrausch nachging, indem er die eloxierten Aluminiumplatten in Blau- und Grautönen durch Leuchtstoffröhren illuminierte.

Zum Relief gehörte auch die zum Stadtwahrzeichen avancierte Uhr, eine Zusammenarbeit mit dem Sohn des Künstlers, Lenz Geiger. Im München der 1950er-Jahre verkörperte das Auftragswerk einen für die frischgebackene Republik wichtigen Blick nach vorne, in die Zukunft. Für das Großprojekt Neubau Hauptbahnhof München wurde das Relief Geigers 2018 abgebaut und eingelagert von der Deutschen Bahn, in deren Besitz sich das Werk befindet. Das Archiv Geiger in München versichert die Rückkehr des Reliefs, die Deutsche Bahn rechnet mit einer Fertigstellung frühestens 2028. Bis dahin müssen sich Reisende mit dem Ersatz vertrösten, dass auch Abwesendes Gefühle auslösen kann.


7. "Man Walking To The Sky" von Jonathan Borofsky am Kasseler Kulturbahnhof

Selbstverständlich darf in dieser Liste die Stadt nicht fehlen, die eine Tochter der Bundesgartenschau zu einer der wichtigsten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst großgezogen hat: die Documenta-Stadt Kassel. Großer Beliebtheit erfreute sich Jonathan Borofskys "Man Walking To The Sky" bereits während der IX. Weltkunstschau auf dem Friedrichsplatz. Das Werk wurde von der Stadt für 690.000 D-Mark angekauft.

Nach zwei Umzügen - mit Zwischenhalt im Stadtteil Unterneustadt - verblieb der "Himmelsstürmer", wie ihn die Kasseler nennen, an seinem heutigen Standort vor dem Hauptbahnhof. Allerdings ist das inzwischen ein recht beschaulicher Platz, da der heutige Kulturbahnhof nach der Eröffnung des ICE-Halts Kassel-Wilhelmshöhe nur noch für den Regionalverkehr genutzt wird. Und wer ist unzufrieden? Der Künstler. Auf seiner Website ist folgende Bewertung der neuen Position nachzulesen (frei übersetzt): "Da ich für neue Installation nicht nach Kassel gefahren bin, ist es eine gute Lektion für mich, meine Ideen in Zukunft sehr genau zu formulieren."

Jonathan Borofsky "Man Walking To The Sky", Kassel Hauptbahnhof
Foto: Ralf Roletschek, CC via Wikimedia Commons

Jonathan Borofsky "Man Walking To The Sky", Kassel Hauptbahnhof


8. Der Hundertwasser-Bahnhof in Uelzen

Hier ist das ganze Gebäude ein Kunstwerk: Pünktlich zur Expo 2000 im nahen Hannover wurde der Bahnhof der niedersächsischen Stadt Uelzen nach Plänen des österreichischen Künstlers und Architekten Friedensreich Hundertwasser (1928 bis 2000) umgebaut, der die Einweihung jedoch nicht mehr miterlebte. Seitdem ist die Anlage von seinen bunten Ornamenten, abgerundeten Kanten und einer gläsernen Kuppel geprägt. Obwohl Uelzen nicht gerade ein Verkehrsknotenpunkt ist, hat sich der Bahnhof zur Touristenattraktion entwickelt. Führungen durch das begehbare Kunstwerk gibt es auch.

Der Hundertwasserbahnhof in Uelzen
Foto: Frank Vincentz

Der Hundertwasserbahnhof in Uelzen


9. “Sanssouci” von Jay Gard am Bahnhof Potsdam

Zugegeben: Jay Gards Metallskulptur gehört nicht wirklich zum Hauptbahnhof. Kommissioniert wurde das Werk von der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB), positioniert ist es jedoch vis-à-vis zum Seiteneingang des Bahnhofs. Mit seinen gerade mal 600 Kilogramm ist die Skulptur ein wahres Leichtgewicht für Kunst im öffentlichen Raum. Eine buchstäbliche Farbpalette, mündend in Metallbögen, die an Achterbahnen erinnern, erwartet die Transit-Passanten in der brandenburgischen Landeshauptstadt.

Den Namen "Sanssouci" trägt das Werk nach seiner Inspirationsquelle. Gards Farbkreise nehmen die Schattierungen des Potsdamer Schlosses Sanssouci und seines Gartens auf. Es ist nicht Gards erste Liaison mit einem Prachtbau in Brandenburg. Sowohl auf dem Schlossgut Schwante als auch im Skulpturenpark des Schlosses Neuhardenberg hat der gebürtig aus Halle/Saale stammende Bildhauer seine Überlegungen und Beobachtungen über Farbe und Umgebung in Kreisform gegossen.

So erfrischend wie der Farbkreis selbst ist auch die seltene Gelegenheit, einen aus Ostdeutschland stammenden Künstler an einem in Ostdeutschland gelegenen Bahnhof wiederzufinden. Dass Gard mit regionalen Schlössern und Schlossgärten bereits wiederholte Auseinandersetzung verbindet, setzt diesem raren Glücksfall die Kirsche auf die hohenzollernsche Torte. Beziehungsweise auf den runden Baumkuchen.

Jay Gard "Sanssouci", Vorplatz der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB), Potsdam
Foto: Courtesy Studio Jay Gard

Jay Gard "Sanssouci", Vorplatz der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB), Potsdam