Lensa, DALL-E2 & Co.

Bedeutet KI das Ende der Kunst?

Mit der AI-Software Midjourney V4 generiertes Bild von User Cameron Butler mit dem Ausführbefehl "1990s home movie footage of iridescent artificial intelligence"
Foto: gemeinfrei

Mit der AI-Software Midjourney V4 generiertes Bild von User Cameron Butler mit dem Ausführbefehl "1990s home movie footage of iridescent artificial intelligence"

Plattformen wie DALL-E2 oder Midjourney machten dieses Jahr deutlich, welche Potenziale in KI stecken. Wie diese Bildgeneratoren die Kunst verändern werden, haben die Künstlerinnen und Künstler in der Hand

Jedes Mal, wenn eine neue (revolutionäre) Technologie in die Öffentlichkeit tritt, gibt es kritische Reaktionen in der Gesellschaft, die sich in ihrer Tonalität alle sehr ähneln. Als die Fotografie vor rund 200 Jahren aufkam, bedeutete das für viele das Ende der Kunst und Malerei. Als die ersten industriellen Roboter in den Fabriken auftauchten, ging die Angst um, dass viele Arbeiter um ihre Existenz bangen müssten. Als die ersten Synthesizer und Drumcomputer im vergangenen Jahrhundert aufkamen, fürchteten zahlreiche Musikerinnen und Musiker um ihre Jobs. Nicht anders war das mit der weltweiten Verbreitung von Computern, und heute gehen die Diskurse erneut in die gleiche Richtung, wenn es um das Thema KI geht.

Dass Künstliche Intelligenzen einen großen Einfluss auf die Welt nehmen würden, wird zwar schon länger prophezeit. Dank Plattformen wie DALL-E2 oder Midjourney wurde dieses Jahr aber auch einer breiteren Öffentlichkeit deutlich, welche Potenziale in diesen Algorithmen stecken. Hier geht es nicht mehr nur um witzige Kritzel-Bildchen, die für Memes taugen. Die Systeme lernen schnell dazu und das ist (man kann das nicht oft genug betonen) erst der Anfang der Entwicklung. Als Carl Benz 1886 das erste Auto mit Verbrennermotor erfand, handelte es sich von der Architektur her um eine Pferdekutsche, allerdings ohne Pferde. Daher sprechen wir heute immer noch von Pferdestärken, wenn es um die Leistung von Autos geht. Das, was Künstliche Intelligenzen heute können, ließe sich mit dem ersten Auto vergleichen. Es werden derzeit noch gelernte Territorien beackert, die eigentlichen Möglichkeitsräume sind unterdessen noch absolutes Neuland.

Sexistische Systeme

In den vergangenen Wochen machte die App Lensa die große Runde in Sozialen Medien wie Twitter und Instagram. Zwar gibt es die App schon einige Jahre und ermöglichte Bildbearbeitungen wie Freistellen auf dem Smartphone. Was die App plötzlich so populär machte, war das neue Feature "Magic Avatar", das allerdings auf der Open-Source-KI Stable Diffusion basiert. Hier werden auf Basis von hochgeladenen Selfies Avatare in unterschiedlichen Stilen erstellt, die vor allem zwei vermeintlich menschliche Grundbedürfnisse befriedigen, was wiederum verantwortlich für den Erfolg sein dürfte: Eitelkeit und Narzissmus.

Männer, die wie in kommunistischer Propagandakunst mit gerecktem Kinn halbgottgleich strahlen. Plötzlich sehen selbst blasse Sesselpupser wie Marvel-Superhelden aus. Das Gleiche gilt für Frauen, und schnell wurde hier deutlich, wie übergriffig diese Bildalgorithmen sind. Frauen wurden in den magischen Avataren sehr häufig hypersexualisiert dargestellt. Halbnackte Körper mit überdimensionierten Oberweiten – Das führte in der Community für Kritik. Selbst Hollywood-Stars wie Megan Fox, die sich in der Öffentlichkeit nicht selten lasziv inszeniert, waren ob des Outputs von Lensa sichtlich irritiert.

 


Zwar lernen KI gewissermaßen selbst, die Rahmenbedingungen schaffen aber noch immer Menschen und somit die Menschen in all diesen Unternehmen, denen niemand so recht auf die Finger schaut. Und wenn männliche Programmierer gefragt werden, wie für sie idealtypische Männer- beziehungsweise Frauenbilder aussehen, kommt wohl genau so etwas dabei raus. Das ist eine Gefahr für alle Bereiche, in denen Machine-Learning und KI eine Rolle spielen: Wer schafft das Regelwerk? Und wer profitiert von diesen Regeln?

Bildrechte adé

Kritik an Lensa gibt es auch von anderen Seiten. Viele Künstlerinnen und Künstler beschweren sich, dass Lensa ungefragt mit deren Arbeiten und Stilistiken trainiert wurde. Lensa verdient mit den narzisstischen Selfies Geld. Die kreative Basis, jene, die das eigentliche Kapital schafft, geht (man kennt das von Spotify) wieder leer aus. Auch gibt es die eingangs erwähnte Fraktion, die moniert, dass durch Apps wie Lensa die Auftragsbücher von Künstler:innen in Zukunft leer blieben. Probleme sehen viele auch in den Bereichen Datenschutz und Privatsphäre. In der Regel werden Rechte an den Bildern abgegeben und natürlich werden die hochgeladenen Selfies für das Training der Algorithmen verwendet. Und wer als Third Party mit im Boot sitzt, ist den wenigsten Nutzer:innen bekannt. 

Auch in den nächsten Jahren werden "kreative" KI für viel Gesprächsstoff sorgen. Derzeit sind KI-generierte Videos auf Basis von Prompts, also Ausführbefehlen, ein Sektor, von dem einiges zu erwarten ist. Interessant ist hier zum Beispiel Google Runway AI, ein Online-Programm von Google, mit dem sich nicht nur Bildteile durch KI-generierte Elemente ersetzen lassen, sondern auch Übergänge zwischen Standbildern generiert werden können, um so ein Video zu erstellen.

 


Ob Midjourney, DALL-E2 oder Lensa allerdings das Ende der Kunst bedeuten, hat die Kunstwelt selbst in der Hand. Eine Reaktion auf die Fotografie war das Entstehen der impressionistischen und der abstrakten Kunst. Als fast alle Bilder der Welt per Internet auf dem Computer zu sehen waren, fokussierte sich die Kunstwelt zunehmend auf raumgreifende Konzepte und übergroße Installationen, die eben nicht auf Displays erfahren werden konnten. Also wird das Aufkommen von Künstlichen Intelligenzen ähnliche Entwicklungen motivieren.

Wie werden Werkzeuge wie Midjourney, Stable Diffusion und DALL-E2 genutzt und wie wird in Zukunft eine Bildsprache geschaffen, die sich von der Limitierung der Sprache emanzipiert, wie sie in Prompts existiert? ("Male eine Gurke mit Ukulele im Stil von Salvador Dali") Viel wichtiger erscheint im Moment, dass Transparenz geschaffen wird, wie all diese Systeme trainiert werden, und wie man verhindert, dass Algorithmen vornehmlich cis-männlich und weiß "denken". Aber auch das bietet Material für eine kritische künstlerische Auseinandersetzung.