68. Filmfestspiele

Berlinale calling

© the artist
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Jen Liu "Pink Slime Caesar Shift", 2018

Eine Vorschau auf den Wettbewerb und die Kunstsparte des Film­festivals

Cartoons zeichnen, das war eine der wenigen Tätigkeiten, zu denen John Callahan (1951–2010) in der Lage war. Der US-Zeichner und Musiker war querschnittsgelähmt, in seinen grobmotorischen Bildergeschichten nahm er das Thema Behinderung immer wieder respektlos aufs Korn. Gus Van Sant hat Callahans Autobiografie "Don't Worry, He Won't Get Far on Foot" unter dem Originaltitel verfilmt (auf Deutsch als "Don't worry, weglaufen geht nicht" erschienen). Joaquin Phoenix verkörpert den verbitterten Rollstuhlfahrer, der erst Jahre nach seinem fatalen Autocrash sein künstlerisches Talent entdeckte.

Nach Wes Andersons Eröffnungs-Animationsfilm "Isle of Dogs – Ataris Reise" starten neben "Don't Worry" 19 Kandidaten ins Rennen um den Goldenen Bären. Filme aus Italien, Polen, der Schweiz oder Russland stellen sich der Jury um Tom Tykwer. Zahlreicher als sonst sind diesmal Regisseurinnen im Wettbewerb vertreten: Emily Atef, Laura Bispuri, Adina Pintilie und die großartige polnische Filmemacherin Małgorzata Szumowska, die bereits zweimal in der Königsdisziplin aufgestellt war.

Joaquin Phoenix und Jonah Hill in "Don't Worry, He Won't Get Far on Foot", Regie: Gus Van Sant

 

Mit Spannung wird auch der Film des Düsseldorfers Philip Gröning erwartet, der von einem ungleichen Zwillingspaar in "Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot" erzählt. Sein berühmter Kollege Christian Petzold hat Anna Seghers' Roman "Transit" verfilmt, der um den prekären Status von Migranten im Zweiten Weltkrieg kreist. Die Adaption, die Petzold noch mit Harun Farocki begann, siedelt aber im heutigen statt im historischen Marseille. Auch die einzige – allerdings außer Konkurrenz im Wettbewerb laufende – Dokumentation widmet sich dem Flüchtlingsthema: Der Schweizer Markus Imhoof zeigt in "Eldorado", wie Flüchtlinge und Migranten heute behandelt werden, auf dem Mittelmeer, im Libanon, in Italien, in Deutschland, in der Schweiz.

Christian Petzold "Transit", 2018

 

Der Wettbewerb setzt auf Spielfilme, während das Internationale Forum des Jungen Films mehr Dokumentarisches bietet. Gerade das Forum Expanded, die Kunstsparte dieser Sektion, zielt auf einen möglichst direkten Kontakt zur Wirklichkeit. Im diesjährigen Motto "A Mechanism Capable of Changing Itself" steckt die Hoffnung auf die gesellschaftsverändernde Kraft von Kino und Kunst. Die Installationen, Videoarbeiten und Filme des Forum Expanded sind wieder in einer großen Ausstellung in der Akademie der Künste am Hanseatenweg oder im Kino Arsenal am Potsdamer Platz zu sehen, außerdem sind die Botschaft von Kanada und der Projektraum Savvy Contemporary einbezogen.

Die nordamerikanische Avantgarde- und Undergroundszene der 70er-Jahre ist ein Fixpunkt des Programms: Werke von Bruce Conner, Barbara Hammer und Ken Jacobs sind im Kino zu sehen, die Filminstallation "L. Cohen" von James Benning in der Akademie. Der Altmeister des Dokumentarfilms konfrontiert Alltagsbilder einer Farm in Oregon mit einem Leonard-Cohen-Song, der in diesem Kontext als lächerlich entlarvt wird. Zach Blas' Filminstallation "Contra-Internet" und Jen Lius Arbeit "Pink Slime Caesar Shift" üben Zeitkritik im Science-Fiction-Gewand. In der letztgenannten Installation soll es um Manipulationen der DNA von synthetisch hergestelltem Fleisch für Hamburger gehen – um mit so nach China geschmuggelten Informationen Arbeiter zur Revolte aufzuwiegeln.

Barbara Hammer "Evidentiary Bodies", 2016

 

 

Zwischen Figuration und Abstraktion – während eines gezeigten fotochemischen Entwicklungsvorgangs – changiert die Installation "Bläue" der Züricher Künstlerin Kerstin Schroedinger. Das Forum Expanded ist gewiss wieder der Ort für Experimente.