Birkenstock geht an die Börse

Läuft!

Birkenstock-Sandalen sind wohl die einzigen Schuhe, die man im Homeoffice und auf dem Catwalk trägt. Jetzt werden sie 60 Jahre alt und sind sogar im "Barbie"-Universum angekommen. Die Geschichte eines unwahrscheinlichen Hypes

Wie Modeerscheinungen sich von der ersten Idee eines Designers bis in die Kleiderschränke der Massen arbeiten und zu weit verbreiteten Trends werden, erklärt wohl am besten Meryl Streep im Film "Der Teufel trägt Prada". In einem viel zitierten Monolog gegenüber ihrer neuen Assistentin schlüsselt die Chefredakteurin Miranda Priestly auf, dass jede Entscheidung, die wir bezüglich unserer Garderobe treffen, schon lange vorher von der Modeelite festgelegt wurde. Bei den allermeisten Trends ist es für Normalsterbliche bis zu einem bestimmten Zeitpunkt unmöglich vorstellbar, dass sie tatsächlich von einer breiten Kundschaft angenommen werden. 

Vor einigen Jahren etwa hätte man kaum erahnen können, dass Gummi-Crocs einmal kommentarlos akzeptiert, Plateau-Flip-Flops wieder etabliert oder breite "Dad-Sneakers" eine generationsübergreifende Fußbekleidung werden würden. Sie alle gehören zu den Modellen, die von dem aktuellen Kleidungskonzept "es ist modisch, wenn du den falschen Schuh dazu trägst" profitieren. Stichwort "Ugly-Shoes".

In die gleiche Kategorie, mit ursprünglich noch weniger Wahrscheinlichkeit auf globale Fashionista-Liebe, kann auch Birkenstock eingereiht werden. Die klobigen Gesundheitslatschen waren eine gewisse Zeit ihres Lebens für Mütter in Gärten und Krankenhauspersonal reserviert, befindet sich heute jedoch in jedem gut sortierten Schuhschrank. Dieses Jahr feiert die korkbesohlte Sandale mit Fußbett ihren 60. Geburtstag und gehört mittlerweile zum LVMH-Konzern - einem Luxuskonglomerat, das auch Louis Vuitton und Dior regiert. Wie konnte der zurückhaltende Birkenstock diesen Aufstieg meistern? 

In den USA wurden die Hippies Kunden

Im Jahr 1774 begann der lange Weg des deutschesten Schuhs der Welt, als der Schuster Johann Adam Birkenstock im hessischen Langen-Bergheim seine gleichnamige Firma gründete. Seine Nachkommen entwickelten Sohlenkonstruktionen, die das Abrollen erleichtern und die natürliche Bewegung des Fußes unterstützen sollten. Diese wurden unter dem Namen "Fußbett" registriert.

1963 dann kreierte Karl Birkenstock die erste echte Sandale, das "Madrid"-Modell. Ein einriemiger Schlappen aus Kork und Kunstsoff, der erst einmal verschmäht wurde. Schnell jedoch gehörte er zur Standardausrüstung von Ärzten und Pflegern, die einen angenehmen, orthopädisch geformten Schuh zu schätzen wussten, der ein stundenlanges auf den Beinen Sein unterstützte. Drei Jahre später wurde der Birkenstock in den US-Markt eingeführt und gerade von Anhängern der Hippie-Bewegung gut angenommen. 

Das Problem des Schuhs blieb, dass er jeden, der ihn trug, zu einem Plattfüßigen machte. Der praktische, vollends auf Bequemlichkeit und zu keinem Grad ästhetisch ansprechende Schuh weckte ungute Assoziationen. Ökos, spirituelle Kunstlehrerinnen, Menschen, denen ihr Erscheinungsbild komplett egal schien.

Eine Entscheidung gegen Sexyness und Eleganz

Er verkörperte eine Art Anti-Schuh, deren Träger sich ganz klar dazu entschlossen hatten, nicht grazil, sexy und elegant daher zu kommen, vielmehr als das Gegenteil. Um die "Birks" massentauglich zu machen, war es nötig, ihr vermeintlich klobiges, grobes Manko in eine Stärke umzukehren. 

Dieser Prozess begann vielleicht im Jahr 1990 mit einer unbekannten, 16-jährigen Kate Moss, die eine weiße Version des 1973 entwickelten "Arizona"-Modells auf dem Cover des Magazins "The Face" trug. Die 90er-Jahre wurden die erste Dekade, in denen der "Ugly-Chic" des Birkenstocks vermehrt Anklang fand. Auch eine Kollaboration im Jahr 2003 mit Heidi Klum, die ihre eigenen Modelle entwarf, half dem Image des orthopädischen Schuhwerks.

Der wirkliche Umschwung jedoch erfolgte im Jahr 2013 durch die Modedesignerin Phoebe Philo. Sie schickte in ihrer Frühling-Sommer-Kollektion für Celine ein sehr an den Birkenstock erinnerndes Schuhmodell über den Laufsteg, das mit Nerzpelz-Einlagen daherkam. Und wie fast alles, was Philo ihren Fans vorschlug, wurde auch die platte Sandale ein voller Erfolg. Die "Ugly-Shoe"-Bewegung war geboren und die Birkenstocks ihr Anführer. "Dressing from the feet up", erst kommt der Schuh, dann der Rest des Outfits, war das Motto. Es wurden die Jahre der Adiletten, der immer unförmigeren Turnschuhe, der Wandersandalen – Schuhe, die den "Normcore"-Trend bedienten. Eine das Normale feiernde Modebewegung, die den Birkenstock brauchte und ihn so zu einem Hype aufblies. 

Der meistgetragene Home-Office-Fußwärmer

Im selben Jahr verändert sich auch hinter den Kulissen des Konzerns einiges. Nach knapp 250 Jahren in Familienhand wurde Birkenstock zum Konzern, und Oliver Reichert und Markus Bensberg übernahmen die Führung der neu gegründeten Birkenstock-Group. Sie verdreifachten innerhalb weniger Jahre die Umsatzzahlen. 2020 etwa erwirtschaftete das Unternehmen 730 Millionen Euro und verkaufte 30 Millionen Paare. 

Seit die Modewelt den Schuh akzeptiert hat, ist er nicht mehr wegzudenken – unter anderem, weil seine Herkunft und Mission immer mehr dem heutigen Zeitgeist entsprechen. Gut für den Körper, gut für die Umwelt, Selfcare als Gegenstand. Auch während der Covid-Pandemie war die Sandale der perfekte Kompromiss zwischen Haus- und Draußenschuh und neben dem Ugg-Boot der wohl meistgetragene Home-Office-Fußwärmer.

Dazu hat seit einiger Zeit jedes Jahr seinen eigenen Birkenstock-Trend. Der "Boston Clog" etwa, ein vorn geschlossener, hinten offener Slipper mit einem verstellbaren Riemen, ging im Herbst 2022 auf Tik Tok viral. Im Dezember gehörte er zu Lysts heißesten Produkten des Quartals und wurde seitdem an so etwa jedem Celebrity gesichtet, der sich vor eine Paparazzi-Linse begab. Der halbe Halbschuh löste eine solche Begierde aus, dass seine Liebhaber das doppelte des Originalpreises auf Resale-Websites bezahlten. 

"Die exklusivste Sandale, die jemals hergestellt wurde"

Man kann wohl mit Überzeugung sagen, dass der Birkenstock sich zu einem Kult-Schuh entwickelt hat. Dies wird auch durch die zahlreichen Designer-Kollaborationen unterstrichen, die er über die Jahre eingegangen ist. Ob Jil Sander, Manolo Blank, Dior, Valentino, Proenza Schouler, Rick Owens, Stüssy, Staud oder Fear of God, sie alle haben ihre Version des deutschen Latschens designt und so einmal mehr in die Welt der Mode überführt.

Im Februar 2021 droppte das berüchtigte Kunstkollektiv MSCHF "Die exklusivste Sandale, die jemals hergestellt wurde", die Birkinstocks. Auf die offizielle Kork- und Gummi-Sohle folgten Lederriemen, die aus echten Hermès Birkin-Bags gefertigt waren. Also aus den Handtaschen, deren Investition sich mehr lohnen soll als die in Gold. Zwischen 34.000 und 76.000 Dollar, je nach Größe, sollen die Schuhe gekostet haben und höchst limitiert gewesen sein. 

Dieses Jahr wird "Madrid" 60, "Arizona" 50 und der 1983 ins Sortiment aufgenommene "Gizeh" 40 Jahre alt. Die drei Modelle gelten als die Birkenstock-Klassiker, werden jedoch mittlerweile um mehr als 800 weitere Modelle ergänzt. Allein von dem Bestseller "Arizona" gibt es über hundert unterschiedliche Versionen. Jede Form, Farbe, Riemenanzahl, jedes Material verwandelt sich zu einem Birkenstock für Frauen, Männer und Kinder.

Das Barbieverse trägt Birkenstock

Die Popularität des Schuhs führte dazu, dass das einst winzige Handwerks-Unternehmen 2021 von LVMH übernommen wurde. Für 4 Milliarden Euro kaufte der Luxus-Konzern Birkenstock ein und katapultierte den gemütlichen Schuh in eine Liga mit hochpreisigen Luxusgütern, was auch die Preise für dein Endverbraucher erheblich ansteigen ließ. 

Den wohl bisher größten PR-Coup landeten die neuen Inhaber direkt im Geburtstagsjahr, denn 2023 trägt man auch im "Barbieverse" Birkenstocks. In Greta Gerwigs Blockbuster "Barbie" gibt es eine Szene, in der Hauptdarstellerin Margot Robbie plötzlich mit puppenuntypisch flachen Füßen aufwacht und eine folgenschwere Entscheidung treffen muss. Will sie zurück in ihre High Heels schlüpfen und alle Unregelmäßigkeiten im Barbieland vergessen, oder wagt sie in braunen Birkenstock-Schlappen die Reise in die "echte Welt"? Die Sandalen bekommen hier sogar eine spirituelle Dimension - das bequeme Fußbett als Portal zur Erkenntnis. 

Heute kann man also sagen: Birkenstock geht immer, egal ob im Garten, in Öko-Kommunen oder in Hollywood. Und das ist wohl der höchste Rang, den ein Schuh erreichen kann: wenn er sowohl bei einer Hochzeit als auch bei einem Campingausflug als die richtige Wahl gilt. Herzlichen Glückwunsch, lieber Birkenstock und danke, dass wir unsere Füße modisch und komfortabel in dich betten dürfen.