"Blackfacing"

Eben nicht nur harmlose Gesichtsbemalung

Demonstration gegen den Zwarte Piet von Black Lives Matter in Rengerspark, Niederlande, 2020
Foto: Wikimedia Commons

Demonstration gegen den Zwarte Piet von "Black Lives Matter" in Rengerspark, Niederlande, 2020

Zu Nikolaus demonstrieren Menschen in den Niederlanden wieder gegen die Praxis des "Blackfacing" bei der Darstellung des Helfers "Zwarte Piet". Das Schwarzmalen von Gesichtern wird immer noch verharmlost - dabei steht es in rassistischer Tradition  

Jedes Jahr protestieren Menschen gegen die Ankunft von Sinterklaas und dem "Zwarte Piet" in den Niederlanden. Die Darstellung des Piet sei rassistisch - die Veranstalter widersprechen. Nach der Legende kommt der weiße, alte Sinterklaas im November mit dem Boot aus Spanien an. Seine Helfer sind die schwarzen Pieten. Diese sind im Gesicht schwarz geschminkt, tragen meist bunte Hosen, eine passende Weste mit Spitzenkragen und eine Mütze mit großer Federn.

Immer wieder kritisieren Menschen die Kostümierung und verweisen auf die rassistische Praxis des "Blackfacing". Die Verantwortlichen entgegnen, dass der "Zwarte Piet" als Figur "nun mal schwarz" sei. Der "Zwarte Piet" entstand 1850 - als der Amsterdamer Schullehrer Jan Schenkmann den zuerst namenlosen Helfer in einem Kinderbuch dazudichtete. Seine Gesichtsfarbe wird durch seine maurische Herkunft erklärt (der nach dieser niederländischen Legende auch aus Spanien stammende Nikolaus ist dagegen weiß). Traditionell hatte Piet auch eine Rute, mit dem ungezogene Kinder verprügelt wurden. Einige der älteren Erzählungen erwähnen, dass aufmüpfige Kinder in seine Tasche gesteckt und nach Spanien zurückgebracht werden.

Der Grund, den die Unterstützer*innen des Zwarte Piet hochhalten, nämlich dessen Herkunft, ist auch genau das Kernargument der Aktivist*innen, die dessen Abschaffung fordern. Diese sehen das Kostüm des Piet eben nicht als harmlose Gesichtsbemalung, sondern als eine rassistische Praxis, die ihre Wurzeln in der Kolonialgeschichte und der Versklavung Schwarzer Menschen hat.

Zur Belustigung der Weißen - auf Kosten Schwarzer Menschen

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts zogen Darsteller, Sänger und Komiker in den USA umher und führten sogenannte Minstrel Shows auf. Sie spielten in jedem Ort, meist zur Belustigung der weißen Arbeiterschicht - und auf Kosten Schwarzer Menschen. Die Darsteller der Minstrel Shows parodierten Schwarze Menschen, indem sie sich das Gesicht schwarz anmalten, ihre Lippen rot überzeichneten und zerlumpte Klamotten trugen. Sie sangen, steppten, spielten Sketche und erschufen rassistische Erzählungen von dümmlichen, naiven und faulen Schwarzen Menschen.

Die Aufführungen spielten oft mit der Beziehung zwischen Sklave und Sklavenhalter und der Plantagen-Arbeit (die Sklavenhaltung in den USA wurde erst 1865 abgeschafft). Sogar Schwarze Performer, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch in Minstrel Shows auftraten, trugen "Blackface", um den Sehgewohnheiten des weißen Publikums zu entsprechen. Den Höhepunkt fanden die Minstrel Shows bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, aber sie existierten noch in die 1930er-Jahre, bis das Kino sie nach und nach verdrängte. 

Aus europäischer Sicht wird oft angenommen, dass die Minstrel Shows in den USA des 19. Jahrhunderts aufgrund der dortigen Sklavenhaltung entstanden und dann nach Europa importiert wurden. Allerdings reicht die Tradition der Zurschaustellung Schwarzer Menschen in Europa selbst zurück bis ins 15. Jahrhundert, an die Anfänge des europäischen Kolonialismus. Durch die Eroberung Afrikas und Südamerikas wurden an Fürstenhöfen "Hof- und Kammermohren" en vogue. Sie wurden als Diener und "Deko" in einem behandelt. In den folgenden Jahrhunderten wurden Schwarze Menschen immer wieder in ihrer "typischen" - meist stark exotisierten - Kleidung ausgestellt, wie etwa bei der Deutschen Kolonialausstellung 1896 in Berlin.

Kollektive Unterschiede werden konstruiert

Frederike Gerstner verweist in ihrem Buch "Inszenierte Inbesitznahme: Blackface und Minstrelsy in Berlin um 1900" auf das Konzept des Othering - es beschreibt die Praxis, Unterschiede einer konstruierten Gruppe zu der eigenen herauszuheben und dadurch das eigene Selbstbild im Gegenteil bestätigt zu sehen. “Stereotypes Denken wird zu rassifizierendem Denken, wenn anhand bestimmter körperlicher Merkmale oder kultureller Praktiken 'kollektive Unterschiede' zwischen Menschen konstruiert werden", diese als "'biologisch/genetisch', 'ethnisch', oder 'kulturell' festgeschrieben, hierarchisiert und mit sozialer Bedeutung aufgeladen werden", so Gerstner. 

Die koloniale Praxis der Stereotypisierung und Zurschaustellung Schwarzer Menschen ist also ganz eindeutig in die Minstrel Shows des 19. Jahrhunderts eingeschrieben und durch das "Blackfacing" manifestiert. Auch nach dem Ende der Minstrel Shows verschwand sie nicht aus der Welt. In Großbritannien wurde etwa noch bis in die 1980er-Jahre die "Black and White Minstrel Show" im Fernsehen in der BBC aufgeführt. Schauspieler*innen wie Shirley Temple, Judy Garland und Mickey Rooney trugen das "Blackface" in Filmen. Immer wieder wurde die Technik bei Werbung  eingesetzt, wie die bekannte Figur "Aunt Jemina" oder bei Werbung für Schuhcreme oder Waschmittel. Es stand Pate bei der Erfindung von Mickey Maus (wie unter anderem der Künstler Arthur Jafa in einem Werk herausstellt) und einigen Pokémon. 

2012 entstand eine Debatte um Thomas Schendels Inszenierung "Ich bin nicht Rappaport" in Berlin. Einer der Hauptdarsteller war auf dem Werbeplakat mit "Blackface" abgebildet. Die Veranstalter reagierten auf Kritik mit der unbelegten Aussage, es hätte keine geeigneten Schwarzen Schauspieler gegeben. Im Zuge dieser Auseinandersetzung gründete sich die Initiative "Bühnenwatch", die sich seitdem gegen "Blackfacing" und Rassismus im Theater einsetzt.

"Blackface" in den Medien

2014 wurde das Wort "Blackfacing" zum Anglizismus des Jahres gewählt. Und trotzdem: Obwohl immer wieder breit über das Thema diskutiert wurde, wird das Schwarz-Anmalen immer noch als Faschingsgag, als Unwissenheit relativiert. 

Martin Sonneborn, der sich 2011 mit schwarz gefärbtem Gesicht und dem Slogan "Ick bin ein Obama" fotografieren lässt, Chris Stephan, der Kim Kardashian 2014 auf dem Wiener Opernball als "Gag" mit "Blackface" begrüßt, ein Kölner Bäcker, der 2020 "Blackface"-Schokoküsse verkauft, zahlreiche Promis wie Shane Dawson, Alyssa Milano, Jimmy Kimmel und Jimmy Fallon, die immer wieder in schwarz bemalt auftraten … Sie alle zeigen die ungenügende Aufklärung und fehlende Dekolonialisierung unserer Sehgewohnheiten und Ignoranz gegenüber der Geschichte Schwarzer Menschen.

"Blackface" passiert nicht in einem Vakuum. Die so dargestellten Figuren weisen neben der Gesichtsbemalung oft auch andere rassistische Zuschreibungen auf, wie Brutalität, Dummheit oder einfach ihre Rolle als Knecht, Diener, Helfer. Nicht nur die Kostümierung ist rassistisch, die so dargestellten Figuren sind rassistisches Produkt, und das "Blackface" reproduziert diese Zuschreibungen nach außen. Die Abschaffung der Praxis wäre ein wichtiger Schritt zur Aufarbeitung und Vermittlung der kolonialen Geschichte, die offensichtlich dringend nötig ist. Die im Zusammenhang viel verteidigte "künstlerische Freiheit" relativiert auch nicht die jahrhundertelange Versklavung und Marginalisierung Schwarzer Menschen, die bis heute andauert. Kulturelle Arbeit und Vielfalt braucht auch immer Bildung, und zu Bildung gehört es, sich über die Geschichte der genutzten Darstellungsformen zu informieren.

Die Verantwortung, Kultur zu dekolonialisieren, liegt aber nicht nur bei den Darsteller*innen, sondern auch bei den Sendern, Theatern oder Museen. Einen möglichen Umgang zeigten die BBC und Netflix, die Folgen der Serie "Little Britain" aus ihrem Programm nahmen, weil die Comedians David Walliams und Matt Lucas "Blackface" trugen. Inzwischen haben sich beide dafür entschuldigt. 

Wie einfach es sein kann, zeigten bereits einige Gemeinden in den Niederlanden. Sie schafften das "Blackface" ab, und der "Zwarte Piet" hat nur noch zwei Rußflecken im Gesicht - vom Geschenke verteilen im Kamin.