Konfrontations-Kunst von Bodo Korsig

"Wenn man genau hinschaut, kann man auch in Spinnen Schönheit erkennen"

Der Künstler Bodo Korsig spielt mit den Ängsten seines Publikums und hat in Berlin eine Installation mit riesigen virtuellen Spinnen geschaffen. Ein Gespräch über die kulturelle Dimension von Furcht und Kunst als Grenzerfahrung
 

Was ist Angst, Bodo Korsig?

Von einer evolutionären Perspektive aus betrachtet dienten Ängste unseren Vorfahren als lebenswichtige Warnsignale. Heutzutage lassen sich Ängste nicht mehr auf eine einzige Ursache zurückführen. Die Anthropologie verdeutlicht, dass Ängste oft durch kulturelle und soziale Einflüsse geformt werden. Bereits in der Kindheit können abstrakte Angststörungen aufgrund familiärer Prägungen auftreten. Ich bin der Überzeugung, dass Angst eng mit Erfahrungen verknüpft ist und stets etwas Erlerntes darstellt. Ein dreijähriges Kind wird vermutlich keine Angst vor einer Kreissäge haben, doch ein Erwachsener weiß um ihre Gefährlichkeit. Früher hatten die Menschen Angst vor wilden Tieren oder Unwettern, was für ihr Überleben von entscheidender Bedeutung war.

Wie verändern sich Ängste über die Zeit?

Heutzutage fürchten wir uns vor dem Klimawandel, Kriegen, Dürreperioden oder Arbeitslosigkeit. Ängste verändern sich im Laufe der Zeit. Doch wir haben auch die Möglichkeit, uns weiterzuentwickeln, indem wir unsere Ängste überwinden. Genau hier setzt "Shattering Dreams" an. Die Besucher haben die Freiheit zu entscheiden: Wollen sie am Spiel teilnehmen oder nicht? Falls ja, haben sie die Möglichkeit, mit den virtuellen Spinnen zu interagieren – entweder indem sie ihnen entgehen, vor ihnen fliehen oder sie zerstören. Letzteres führt dazu, dass die Spinnen in viele einzelne Teile zerspringen.

In Ihrer interaktiven Installation "Shattering Dreams" krabbeln riesige Spinnen über eine Wand. Wie kam es zu dieser Idee? 

2015 habe ich ein Bühnenbild für das "Narrenschiff" entworfen, bei dem die gesamte Bühne inklusive des Bodens mit Spinnen gestaltet wurde. Durch die Arbeit des Videodesigners Bonko Karadjo ermöglicht "Shattering Dreams" den Besuchern nun eine interaktive Erfahrung mit der Projektion. Durch zahlreiche kleine Kameras, die die Körper der Besucher scannen, können sie direkt mit den virtuellen Spinnen interagieren. "Shattering Dreams" lädt die Betrachter spielerisch dazu ein, ihren Ängsten ins Auge zu blicken und dabei zu erkennen, dass Spinnen eigentlich gar nicht so gruselig sind. Die Spinnenphobie wird metaphorisch genutzt, um auf die grundlegende Natur von Ängsten hinzuweisen: Sie sind oft irrational und entziehen sich unserer Kontrolle.

Das klingt nach Konfrontationstherapie. Eignet sich Ihre Installation dafür? 

Während meiner Arbeit an der Installation habe ich zum ersten Mal von Konfrontationstherapien gehört. Dabei werden Patienten ihren spezifischen Ängsten ausgesetzt, damit sie sich allmählich daran gewöhnen und in Zukunft angstfreier damit umgehen können. Das Prinzip besteht darin, die Angst zu trainieren, bis sie schließlich abnimmt. Interessanterweise hat der deutsche Psychologe Claus-Christian Carbon mein Kunstprojekt als äußerst faszinierend empfunden. So sehr, dass er beschlossen hat, darüber ein Forschungsprojekt zu starten. Für ihn ist Kunst essentiell, um Grenzerfahrungen zu machen, um die Wahrnehmung und das Denken aus dem Alltäglichen zu holen und neue Erfahrung überhaupt erst ermöglichen zu können. Durch den Kunstkontext können wir im wahrsten Sinne die Perspektive ändern und unentdeckte Qualitäten und Erfahrungen aus dem Nichtbewussten heben – Essentiell für eine Einstellungs- und Verhaltensänderung.

"Shattering Dreams" hat etwas Gruseliges und spricht in den Betrachtern etwas Ungeliebtes an: die Angst. Haben Sie auch Interesse an Kunst, die die Betrachter voranging als ästhetisch empfinden? 

Die Essenz liegt darin, dass es auf den ersten Blick nicht unbedingt ansprechend wirkt. Vor einigen Jahren hatte ich in den Niederlanden eine Museumsausstellung zum Thema Pest. Dort wurden Keramik-Keulen ausgestellt, die an Phallus-Symbole oder mittelalterliche Schlagwerkzeuge erinnerten. Diese Keulen ragten von den Wänden in den Raum hinein, und die Besucher mussten sich hindurchwinden, um die Ausstellung zu erkunden. Während der Ausstellung beobachtete ich ein Paar, das vor dem Ausstellungsraum stand. Die Frau sagte: "Holger, da kriegst du mich nicht rein!" Doch er ermutigte sie mit Worten wie "Komm schon, Heike." Schließlich gab sie nach und ging hinein. Nach einer Weile äußerte sie, dass es eigentlich doch schön sei. Ähnlich verhält es sich mit Spinnen. Wenn man genau hinschaut, kann man auch in ihnen eine gewisse Schönheit erkennen. Die Angst vor ihnen wurde jedoch über Generationen hinweg weitergegeben. Die Fähigkeit, einen genaueren Blick zu wagen und Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten, kann zu einer neuen, tieferen Wertschätzung führen.

Sie selbst haben also keine Angst vor Spinnen? 

Spinnen sind faszinierende und teils amüsante Kreaturen mit einem interessanten Bewegungsapparat. Es ist erstaunlich, dass rund 20 Prozent der Weltbevölkerung an Arachnophobie leiden. Die Ursache dafür bleibt jedoch eine offene Frage. Interessanterweise wird die Spinne auch als Symbol für Glück in Träumen betrachtet. Demnach könnte ein Traum von einer Spinne möglicherweise positive Ereignisse in der Zukunft ankündigen. In vielen Kulturen werden Spinnen sowohl als Glücksbringer als auch als Todesboten angesehen. Zudem spielen sie eine Rolle als Krankheitsdämon und werden in der Medizin verwendet. Obwohl einige Menschen Angst vor Spinnen haben, sagt man dennoch, dass es vorteilhaft ist, sie im Haus zu haben. Denn sie helfen dabei, Ungeziefer zu fressen und eine positive Atmosphäre zu verbreiten.

Wovor haben Sie Angst? 

Ich betrachte mich selbst als jemanden, der Risiken nicht scheut. Ich liebe es, Adrenalin zu spüren und könnte als Adrenalinjunkie bezeichnet werden. Für mich hat Angst immer eine faszinierende Quelle der Motivation dargestellt. Es ist ein unglaubliches Gefühl, sich der Angst entgegenzustellen und als Sieger daraus hervorzugehen, als würde man eine Bühne erobern.

Interaktion, Konfrontation, neue Ästhetik - welches Ziel hat Ihre Kunst? 

Seit ungefähr zwei Jahrzehnten beschäftige ich mich hauptsächlich damit, menschliches Verhalten unter extremen Bedingungen wie Angst, Gewalt, Druck oder Tod zu erforschen und zu modellieren. Dabei liegt mein besonderes Interesse auf den neurologischen und kognitiven Prozessen, die rein wissenschaftlich schwer zu erfassen sind. In meiner Kunst strebe ich danach, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Meine Werke drehen sich um die Themen Wahrnehmung, Emotionen und Konfrontation, die ich ästhetisch verpacke.