Künstlerinnen-Drama

Brennen für die Kunst

Der Historienfilm "Porträt einer jungen Frau in Flammen" kommt ganz ohne Männer aus. Und erzählt gerade deshalb so eindrucksvoll von Emanzipation, den Nöten einer Malerin im 18. Jahrhundert und einer hoffnungslosen lesbischen Liebe

Als Statussymbole sind historische Porträts aus einer Position der Stärke entstanden. Das scheint so selbstverständlich, dass schon die Grundsituation von Céline Sciammas "Porträt einer jungen Frau in Flammen" verblüfft: Für Héloïse, eine Adlige des 18. Jahrhunderts, kommt die Porträtsitzung einem brutalen Einschnitt gleich, den sie mit Verlust aller Freiheiten bezahlt. Das Gemälde soll die junge Frau für eine arrangierte Ehe empfehlen; sie selbst wird mit dem Bild sprichwörtlich zu einem Objekt, dass man verpackt und dem heiratswilligen Mann als Kostprobe schickt.

Als Héloïse sich einem ersten Künstler verweigert, engagiert ihre Mutter die Malerin Marianne. Als vermeintliche Gesellschafterin soll sie Héloïse beobachten und das Porträt dann heimlich aus dem Gedächtnis anfertigen. Aus dieser Situation des Verrats entwickelt sich eine Liebesgeschichte, die über das Wesen der Malerei genauso viel zu erzählen hat wie über Frauen in Kunst und Gesellschaft.

Die Protagonistinnen leben in einer Zeit der vorbestimmten Rollen, und gehen unterschiedlich damit um. Héloïse ist eine Frau in der Opposition, die zumindest den Status quo retten will: ein Dasein im Kloster, das ihr zumindest den Zugang zu einer Bibliothek und Musik garantiert und die Gleichheit des Ornats verspricht. Mit abweisender Miene und stolzer Pose arbeitet Adèle Haenel den massivem Widerstandsgeist ihrer Figur heraus; dass Héloïses Schwester, der die Ehe eigentlich zugedacht war, aus Verzweiflung von den Klippen gesprungen ist, glaubt man sofort.

Männer sind nur Statisten

Marianne dagegen ist eine Frau des taktischen Kompromisses, bereit sich anzupassen, solange ein Ziel erreichbar bleibt: die Laufbahn in der Männerdomäne der Malerei. Noémie Merlant legt ihr eine routienerte Folgsamkeit in die Züge, ein schreckhaftes Lauern auf Reaktionen, das in entscheidenden Momenten aber rücksichtsloser Entschlusskraft Platz macht. Als ihre Materialien über Bord gehen, springt Marianne vollbekleidet in den Atlantik und kämpft sich danach in nassen Röcken und Unterröcken bretonische Steilküsten hoch.

Regisseurin Sciamma lässt die ungleichen Frauen Pfeife rauchen, lesen und philosophieren. Sie schildert ihre Solidarität mit einem Kammermädchen, das unfreiwillig schwanger ist und all die hoffnungslosen Verrenkungen der Zeit mitmacht, um das Kind ohne lebensgefährliche Abtreibung loszuwerden. Und sie erzählt eine herzzerreißende, weil unmögliche lesbische Liebe. 

Männer tauchen dabei bis zum Ende nur als Statisten auf. Das Schicksal der Heldinnen mag von Männern abhängen, aber die Entscheidungen treffen sie hier selbst. Der Film verzichtet komplett auf patriarchale Antagonisten. Stattdessen entwirft er ein komplexes Bild, bei dem die Frauen sich bei ihrer Emanzipation gegenseitig in die Quere kommen. Héloïse soll vor allem deshalb nach Mailand gehen, weil das der Sehnsuchtsort ihrer Mutter ist – die ihrerseits aus Italien in die nordfranzösische Ödnis heiraten musste. Und Marianne begreift mit zunehmenden Gewissensbissen, wie sehr ihr Karriere-Auftakt auf Kosten ihres Modells geht.

Ein Porträt bildet immer zwei Menschen ab

Sciamma erzählt von Frauen und von der Kunst: In pointierten Streit- und Liebesgesprächen formuliert Héloïse Aperçus zum Porträt, das immer zwei Menschen abbilde, nicht nur das Modell, sondern auch die Malerin selbst. Ihre Gedanken zum wechselseitigen Blick werden bis in die Orpheus-Mythologie weiterentwickelt, die der Film leitmotivisch zitiert.

Marianne wiederum klagt über eine Zunft, die Malerinnen schon in der Ausbildung ausgrenzt –  weil sie ihnen männliche Aktstudien untersagt, womit ihnen die renommierten Projekte verwehrt sind: Biblische und antike Stoffe strotzen schließlich von nackten Heroen. Immer wieder verschränkt das brillante, in Cannes prämierte Drehbuch dabei Kunst- und Sozialgeschichte. Eine der besten Szenen zeigt, wie die Frauen das Dienstmädchen zur Engelmacherin bringen. Als Marianne sich abwendet, zwingt Héloïse sie dazu, hinzuzusehen – damit sie das Ereignis später im Bild festhalten kann.

Enorme Emotionalität aus den kühlsten Einsichten

Um existenzielle Themen zu malen, braucht man also doch keine männlichen Akte. Die Sequenz steht auch für Céline Sciammas eigene Meisterschaft: Das Haus der Engelmacherin, zeitgeschichtlich sicher plausibel, ist ungeheuer beengt; die Abtreibung nimmt sie auf dem Bett vor, in dem die ganze Zeit über ihr eigenes Baby liegt. Während das Kammermädchen ihr Kind töten lässt, fasst der fremde Säugling nach ihrer Hand. Ein überwältigendes Bild für die Ambivalenz einer Abtreibung – und zugleich gutes Beispiel dafür, wie der Film seine enorme Emotionalität gerade aus den kühlsten Einsichten gewinnt.

Dabei wirkt der die Inszenierung zunächst betont nüchtern, schon, weil Musik nur dann zu hören ist, wenn in der Szene auch tatsächlich welche gespielt wird – und das ist fast nie. Wo Kostümfilme uns sonst mit Vivaldi überschütten, ist Musik hier ein so rarer Genuss wie für die Menschen des 18. Jahrhundert eben auch. Ansonsten lässt die Tonspur Holzdielen knarren oder den Wind rauschen. Für die Ausstattung gilt dasselbe: Statt in Kleidern und Mobiliar zu schwelgen, zeigt Sciamma eine Welt, in der selbst reiche Menschen vergleichsweise wenige Dinge besaßen.

Die Fremdheit der vergangenen Zeit veranschaulicht sie nicht über die Andersartigkeit der Dinge, sondern über ihre Abwesenheit. "Porträt einer jungen Frau in Flammen" ist der erste Historienfilm der Regisseurin – und gleich einer der Spitzenbeiträge dieses Genres.