Kultur im Krieg

"Ukrainische Kunst muss zeitgenössisch bleiben und Kontakt mit ihrer Vergangenheit halten"

Neuer Name aus Solidarität: Das Café Moskau in Berlin wird vorübergehend in Cafße Kyiv umbenannt
Foto: Jörg Carstensen/dpa

Neuer Name aus Solidarität: Das Café Moskau in Berlin wird vorübergehend in Cafè Kyiv umbenannt

Aus Solidarität mit der Ukraine wird das Café Moskau in Berlin für einige Tage in Café Kyiv umbenannt. Dort wird über Kultur und Wiederaufbau gesprochen - zum Beispiel mit der Kunstretterin Alona Karavai

Ziemlich bald nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurde klar, dass der Krieg nicht nur um Territorium geführt wird, sondern dass auch die ukrainische Kultur gezielt attackiert wird. Der Projektraum Asortymentna Kimnata in der westlichen Ukraine reagierte schnell und organisierte Kunsttransporte und Residencies. Die Gründerin Alona Karavai spricht in Berlin mit Kulturarbeiterinnen und -arbeitern aus der Ukraine über ihre Kriegserfahrungen. Der Anlass ist das Event "Café Kyiv – Wir wählen die Freiheit". Für einige Tage wird das Café Moskau – ein ehemaliges DDR-Tanzcafé an der Karl-Marx-Allee – in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung zum Café Kyiv umbenannt, und es wird über Kunst und Wiederaufbau gesprochen. Im Interview erzählt Karavai, auf welchen Wegen sie Kulturgüter rettet, und wie es nach dem Krieg weitergehen kann

Alona Karavai, Sie haben die Institution Asortymentna Kimnate 2014 in Iwano-Frankiwsk gegründet. Wie kam es dazu? War das damals eine direkte Reaktion auf den russischen Angriff?

Ich komme aus Donetsk, und habe in Iwano-Frankiwsk ein neues Zuhause gesucht. Einige meiner Kolleginnen kommen auch von dort oder von der Krim. Hier haben wir dann mit Projekten angefangen. Das ist mit der Zeit gewachsen. Zuerst wollten wir eine Reihe von Projekten starten, die vor allem junge Künstlerinnen unterstützen – das ist im lokalen Kontext wichtig. Es gibt hier schon seit den 80ern und 90ern eine starke, interessante Kunstszene. Hier fand zum Beispiel die erste Biennale der Ukraine statt – in so einer kleinen Stadt! Die Kunstwelt in der Ukraine ist zentralisiert. Wenn man erfolgreich werden will, sollte man nach Kyiv, oder mindestens nach Lwiw. Hier ist es  allerdings anders. Aber die Szene aus den 80ern und 90ern ist sehr von Männern geprägt. Wir wollten untersuchen, ob es keine Frauen gab, oder ob wir nichts über die wissen.

Wie hat sich Ihre Arbeit zwischen 2014 und 2022 verändert?

Von Anfang an haben wir Residencies angeboten, hier und in einem Haus in den Karpaten. Eigentlich hat der Krieg intensiviert, was wir davor gemacht haben – in einem Jahr haben wir die Arbeit von zehn Jahren gemacht. Noch im Dezember 2021 sagten wir bei unserer strategischen Planung, dass wir mehr mit Archiven arbeiten möchten. Irgendwann wird es hier ein Museum für moderne Kunst geben, und dann hätten wir schon etwas, das wir übergeben können. Dann kam der Februar 2022. Auf einmal hatten wir so viele Sammlungen, die nicht zu uns gehörten, und wir haben auch ein Online-Archiv.

Waren Sie auf den Kriegsbeginn vorbereitet? Haben Sie das kommen sehen?

Ganz informell haben wir im Team besprochen, wer welche Pläne hat. Wir haben gesagt, wer in die Armee will, den unterstützen wir. Und wenn jemand – so wie ich – hier weitermachen will, dann unterstützen wir das auch. Zwei Personen aus unserem Team sind in die Armee gegangen, und wir hatten den Plan, das Team aus Kiew zu uns zu holen. Wir haben gehofft, dass es nicht so kommt, aber es war ziemlich offensichtlich: Wenn man so einen Nachbarn hat, wenn man hört, welche Rhetorik der russische Präsident nutzt. Aggression und die Verleugnung von ukrainischer Identität und Geschichte waren schon vor Kriegsbeginn da.

Wie bewerten Sie die Reaktionen von westlichen Kulturinstitutionen?

Das war sehr hilfreich. Schon am ersten und zweiten Tag haben die Menschen gefragt, wie sie uns helfen können. Die Hilfsbereitschaft für unser Evakuierungsprogramm war groß, und das konnten wir dank privater Spenden von kleinen Institutionen aus Europa und von einzelnen Künstlerinnen und Künstlern umsetzen. Dabei war es nicht nur eine Frage des Geldes. Viele Dinge waren nur möglich, weil wir gut vernetzt sind. Wir haben mehr soziales als finanzielles Kapital benutzt.

Das war also gar nicht von Institutionen organisiert?

Diese Grassroots-Initiative war sofort da, die Unesco ist erst im Sommer dazu gekommen. Was man retten konnte, das ist ungefähr in den ersten zwei Monaten passiert. Da konnten wir noch Wege finden, aber seitdem die Grenze geschlossen ist, können wir nicht mehr durch, und mittlerweile geht es nur noch zentralisiert mit Hilfe von Militär und Polizei.

Was haben Sie über die Grenze gebracht?

Wir haben am 24. Februar angenommen, dass Museen geschützt sind, und sich jemand um alles kümmert. Aber Nachlässe, die noch nicht in Museen sind, bleiben ungeschützt. Aus unserer Praxis wussten wir, dass es viel interessante Kunst gibt, die zum kulturellen Erbe gehört, aber noch nicht im Museum ist, weil es hier vor Ort noch keine Institution für moderne Kunst gibt. Wenn man das verliert, dann ist es für immer verloren. Das ist nicht digitalisiert, es gibt nicht mal Listen. Man wüsste also auch nicht, was man verloren hat. Die Mehrheit der Dinge, die wir rausgebracht haben, waren Familienarchive von lebenden oder bereits verstorbenen Künstlerinnen und Künstlern. Wir konnten jede dritte Anfrage realisieren – das waren ungefähr 700 Objekte. In zwei Fällen sind Künstlerinnen ins Ausland geflohen, die haben ihre Koffer bei uns gelassen, weil der Bus voll war.

Im vergangenen Sommer zeigte eine Ausstellung in Berlin Werke des 2007 verstorbenen Künstlers Fedir Tetyanych. Sie wurde von Nikita Kadan und Asortymentna Kimnata ko-organisiert. Ich fand sie so eindrucksvoll, zumal die Werke enorm groß und sehr fragil sind – und, so weit ich weiß, noch nicht inventarisiert.

Das war unser dritter Versuch. Tetyanychs Sohn Bohdan hat das Familienarchiv in einem Haus bei Kiew aufbewahrt, das unglücklicherweise nahe bei Irpin und Butscha gelegen ist. Wir wussten damals noch nicht, was in Butscha geschieht, aber wir wussten, es war nah an der Kampfzone. Unser Fahrer hat Feldwege gesucht, und der Sohn hat bei der dritten Ankündigung nicht mehr daran geglaubt, dass wir noch kommen. Viele der Objekte mussten restauriert werden, denn die Arbeiten wurden in dem feuchten Haus aufbewahrt, im Winter teilweise ohne Heizung. Gleich nach der Ausstellung im Berliner CCA haben wir sie nach Łódź ins Textilmuseum gebracht, wo sie gerade restauriert werden. Tetyanych ist für die junge Generation zwischen 30 und 40 eine wichtige Referenz. Da ist es schade, dass so wenig im Nationalmuseum in Kiew ist.

Es wurde schnell klar, dass dieser Krieg auch gegen die ukrainische Kultur gerichtet ist. Museen und Theater werden gezielt angegriffen. Wie geht es vor diesem Hintergrund mit Ihrer Arbeit weiter?

Dass die Schäden an Kulturinstitutionen nicht zufällig sind, haben wir auch nicht sofort verstanden. Ziemlich schnell mussten wir aber begreifen, dass die Kultur eines der Ziele ist. Kulturgüter werden entweder gestohlen oder zerstört. Wir wissen noch nicht, wie viele Artefakte verloren sind, aber es sind viele. Auf der anderen Seite muss die ukrainische Kunst und Kultur einen Weg finden, zeitgenössisch zu bleiben und den Kontakt mit ihrer Vergangenheit zu halten. Künstlerinnen und Künstler produzieren jetzt viel, und das ist auch eine Reaktion auf das, was passiert. Aber das ist nicht austauschbar: Die Sachen, die verloren sind und was neu produziert wird – es sind zwei sehr verschiedene Kategorien. Viele Menschen sind nicht da, und viele werden nicht zurückkommen. Das zu kompensieren ist eine Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte. Es fühlt sich an, als wäre man zwanzig Jahre zurückgesetzt.

Eine paradoxe Konsequenz des Krieges war, dass ukrainische Künstlerinnen und Künstler eine große Plattform bekommen haben – auf Biennalen und in Ausstellungen.

Ukrainische Kunst wird bekannter, und sie haben mehr Zugang zu Residencies und Stipendien. Das wird Früchte tragen. Auf der anderen Seite gibt es in der Ukraine jetzt Platz für andere Künstlerinnen und Künstler. Denn eine Generation von bereits berühmten Namen – wie Nikita Kadan, Sasha Kurmaz, Alevtina Kakhidze – ist im Ausland unterwegs. Die Plätze, die die Generation von 2004, der Generation der Orangenen Revolution, gefüllt hat, sind jetzt leer.

Nun wird das Café Moskau in Berlin für kurze Zeit  und unter dem Motto “Wir wählen die Freiheit” in Café Kyiv umbenannt, Asortymentna Kimnate gehört zu den Partnern der Veranstaltung. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Das war die Initiative des Café Moskau, die Betreiberinnen und Betreiber haben von Anfang an den Krieg nicht unterstützt. Das Gebäude ist Unesco-Kulturerbe, und das sollten wir respektieren, aber man muss eben schauen, aus welcher Perspektive man das betrachtet.

Sie sind unter anderem auf einem Panel, das sich mit der Rolle von Kulturarbeiterinnen während des Krieges befasst. Mit Ihnen sprechen Olha Honchar vom Territory of Terror Museum in Lwiw, das dem Gedenken an die Opfer totalitärer Regimes gewidmet ist. Außerdem spricht Serhij Klymko, der Leiter der Kiew-Biennale, und sie vertreten eine Institution, die Residencies für zeitgenössische Künstlerinnen anbietet. Wie unterscheiden sich die Anforderungen von so verschiedenen Institutionen?

Olha, Serhij und ich haben uns erst im Februar 2022 kennengelernt. Zu der Zeit kam man schnell in Verbindung, und mittlerweile haben wir mit Olha schon eine lange Geschichte der Zusammenarbeit. Sie sagte, Museumspersonal braucht jetzt neue Kenntnisse, und wir mussten schnell gemeinsam ein Bildungsprogramm organisieren. Mit Serhij planen wir die Arbeit an der Kiew-Biennale, die nicht in der Hauptstadt stattfinden soll, sondern in kleineren Orten, eventuell auch in Iwano-Frankiwsk. Ich glaube, dass sich in dieser Zeit im Kunstbetrieb viel ausgeglichen hat.

Wie das?

Es gibt immer Menschen, die mit bestimmten anderen nicht zusammenarbeiten, oder es gibt Diskussionen darüber, wer wirklich eine feministische Praxis hat und wer weniger, und so weiter. Genauso gibt es in der Ukraine kleine Communities. Im letzten Frühling haben alle wieder mit allen geredet, weil wir wussten, es gibt jetzt etwas Wichtigeres. Da sind interessante Zusammenarbeiten entstanden. Alle waren in der gleichen Lage, und es hat mich gefreut, dass der Kulturbetrieb so kooperativ war. Das Kulturministerium war auf einmal sehr zugänglich, ebenso wie kleine NGOs oder große Institutionen wie das Pinchuk Art Center. Diese existenziellen Situationen gleichen Menschen aus.