Rechtzeitig zum Einzug von Caspar David Friedrich ins Metropolitan Museum of Art fiel Schnee – als hätte die Natur selbst beschlossen, dem Meister der romantischen Landschaftsmalerei auch in New York eine angemessene Kulisse zu bereiten. Seit Anfang Februar prangt unübersehbar das riesige Ausstellungsposter an der Fassade des Museums: ein Ausschnitt aus Friedrichs wohl bekanntestem Werk, dem "Wanderer über dem Nebelmeer".
Überdimensional und somit auf die Superlative der Wolkenkratzer gut abgestimmt, scheint er seither selbst beherzt ins Museum zu schreiten, der grüne Samt seines Gehrocks im Kontrast zur noch winterlich kargen Landschaft. Mit im Gepäck: die Hoffnung auf einen triumphalen Auftakt – und ein treffend gewählter Titel: "Caspar David Friedrich: Die Seele der Natur". Denn Friedrich gelang es nicht nur, das Wesen der Natur – oder vielmehr sein emotionales Zwiegespräch mit ihr – in seinen Bildern festzuhalten, sondern auch uns Betrachtenden das Gefühl einer tiefen Verbundenheit mit ihr zu vermitteln. Als wären wir nicht nur ein Teil von ihr, sondern mit ihr in stiller Seelenfreundschaft vereint.
Ein Zustand, der täglich in weitere, womöglich unerreichbare Ferne rückt. Denn obgleich die Klimakrise in den Medien der Vereinigten Staaten weniger präsent ist als in Europa – und im Wahlkampf des vergangenen Jahres auf unverständliche Weise kaum eine Rolle spielte – schlägt sie dennoch auch hier aufs Gewissen. Die Bilder schwerer Überschwemmungen in Florida Ende letzten Jahres, die verheerenden Brände in Los Angeles im Januar, und die Erinnerung an den dichten Rauch, der 2023 infolge der Waldbrände in Kanada New York tagelang in orangefarbenen Smog tauchte, sind noch allzu präsent.
Wie Reflexionen eines ekstatischen Fieberwahns
All dies verstärkt die Sehnsucht nach unberührter Wildnis einerseits und einer harmonischen Verschmelzung mit ihr andererseits – fast bis zur fieberhaften Intensität. Tatsächlich erscheinen Friedrichs auf unendlich präzisen Naturstudien basierende Visionen mitunter wie Reflexionen eines ekstatischen Fieberwahns. So intensiv sind seine Farben (insbesondere in seinem Spätwerk) und so überirdisch manche seiner Landschaften. Umso passender scheinen sie für unsere Realität steigender Temperaturen.
Bereits die morgendlichen Ansprachen zur Presseeröffnung betonten die besondere Gelegenheit, die sich dem New Yorker Publikum nun bietet – und den enormen Aufwand, der ihr vorausging. Ein Vorhaben dieser Größenordnung, das so viele Kunstschätze vereint, die fast ausschließlich aus Europa anreisen, ist nicht nur logistisch herausfordernd, sondern auch außerordentlich kostspielig. Die lange Liste der Förderer – von öffentlichen und privaten Institutionen bis hin zu Einzelpersonen – unterstreicht dies eindrucksvoll.
Angesichts dieses Kraftakts betonte Direktor Max Hollein, dass das Metropolitan Museum schon länger auf den perfekten Moment gewartet habe, um Friedrich mit maximaler Strahlkraft in New York präsentieren zu können. Ein Jahr, nachdem Friedrichs 250. Geburtstag in Deutschland mit großen Ausstellungen in Hamburg, Berlin und Dresden sowie kleineren Projekten in Greifswald, Pirna und Weimar gebührend gefeiert wurde, ist er nun gekommen. Vielleicht ist dies wirklich der einzige plausible Zeitpunkt, zu dem deutsche Museen nach dieser intensiven Auseinandersetzung eine kurze "Friedrich-Pause" einlegen und ihre Schlüsselwerke auf die Reise schicken können.
Friedrich war in den Vereinigten Staaten bislang ein Geheimtipp
Man muss es dem Metropolitan Museum hoch anrechnen, dass es diese Gelegenheit nicht nur vorausschauend erkannte, sondern sie auch mit Unterstützung von über 30 Leihgebern und rund 75 Exponaten tatkräftig umsetzte. Ein weniger ambitioniertes Unterfangen wäre wohl auch nicht genug. Denn während Friedrich in Deutschland längst als Lichtgestalt der Romantik gilt und seine Werke fest im kollektiven Bewusstsein Europas verankert sind, verhallt dieses Echo über dem Atlantik zunehmend. Genauer gesagt war Friedrich in den Vereinigten Staaten bislang eher ein Geheimtipp unter Kunsthistorikern und Kunstschaffenden.
Dass seine Retrospektive nun im Metropolitan Museum unter der Kuratierung von Alison Hokanson und Joanna Sheers Seidenstein ihre große Bühne bekommt, könnte dabei kaum passender sein. Schließlich waren es eben jene Räumlichkeiten, in denen bereits 1991 zehn Gemälde und zehn Zeichnungen Friedrichs aus russischen Sammlungen gezeigt wurden, nachdem diese zuvor im Art Institute of Chicago zu sehen waren.
Auch die Ausstellung "Caspar David Friedrich: Moonwatchers" ein Jahrzehnt später ist hier noch in guter Erinnerung – eine Präsentation von 19 Werken in einem einzigen Raum, die den damaligen Ankauf von Friedrichs “Zwei Männer in Betrachtung des Mondes” (ca. 1830–35) feierte. Ein Coup, denn es war doch erst das dritte Gemälde des Künstlers in einer amerikanischen Museumssammlung – nach dem Kimbell Art Museum in Fort Worth und dem J. Paul Getty Museum in Los Angeles. Noch heute zählt das Metropolitan Museum zu den wenigen Institutionen in den USA, die Originalwerke von Friedrich besitzen.
Eine visuelle Gegenbewegung zur Rationalität der Aufklärung
Friedrichs Geburt im Jahr 1774, also nur zwei Jahre vor der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, verleiht seiner ersten großen Retrospektive in den USA eine zusätzliche historische Dimension. Darauf wies auch der deutsche Botschafter in den Vereinigten Staaten, Andreas Michaelis, hin. Friedrichs Lebensbeginn fiel in eine Epoche tiefgreifender Umbrüche – eben nicht nur in Europa, sondern auch auf der anderen Seite des Atlantiks.
Es ist eine interessante Verbindung: Während sich die junge Nation von monarchischer Herrschaft befreite und eine neue politische Identität formte, schuf Friedrich Landschaften, die als visuelle Gegenbewegung zur Rationalität der Aufklärung verstanden werden können. Die heutige Revolution der künstlichen Intelligenz, welche als direkte Fortsetzung aufklärerischer Prinzipien wie Logik, Datenverarbeitung und Effizienzsteigerung begriffen werden kann, mag wieder genau etwas Ähnliches auslösen wie damals: eine mystische Hinwendung zur Natur.
Wenn man weiter bedenkt, dass die Identität der amerikanischen Kunst in der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts verwurzelt ist, sollte man annehmen, dass eine amerikanische Affinität zu Friedrichs Sujets gegeben ist. Die Hauptvertreter der Hudson River School, Thomas Cole, Frederic Edwin Church und Albert Bierstadt zum Beispiel, welche ein bis zwei Generationen jünger als Friedrich waren, sind immerhin ästhetisch und konzeptionell mit ihm verwandt. Ob sie von ihm gewusst haben, ist dem aktuellen Wissenschaftsstand nach allerdings nicht bekannt, auch wenn Bierstadt in den 1850er Jahren aus Amerika in das Land seiner Geburt reiste, um an der renommierten Kunstakademie in Düsseldorf zu studieren.
Auch die Hudson River School spezialisierte sich auf die unberührte Natur
Doch ebenso wie Friedrich spezialisierten sich die Maler der Hudson River School auf großformatige, romantische Darstellungen unberührter Natur (insbesondere wie sie im Hudson River Valley der Ostküste und im amerikanischen Westen zu finden war) und favorisierten lichtdurchflutete Szenen, die die Erhabenheit der Natur betonten.
Es sind jedoch die wesentlichen Unterschiede zwischen Friedrich und der Hudson River School, die nun zeigen müssen, ob Friedrich auch in Amerika auf Begeisterung stoßen kann. Denn im Vergleich zu Friedrichs introspektiven Szenarien wirken die Werke von Church und Bierstadt eher grandios; weniger meditativ als dynamisch. Ihr Fokus lag eher auf der Erkundung der amerikanischen Wildnis, nicht auf ihrer spirituellen Interpretation.
Die Hudson River School strebte weniger eine Verschmelzung von Natur und Betrachter an, wie es bei Friedrich der Fall war, sondern vielmehr ein Staunen über die unberührte Landschaft – in einer Zeit, in der der nordamerikanische Kontinent noch kartiert und erfasst wurde. Während Friedrich das Grenzenlose der Natur in den Blick nahm, die in dieser Form in Europa bereits nicht mehr existierte, feierte die Hudson River School die Weite; ihr Blick richtete sich nicht, wie bei Friedrich, himmelwärts, sondern über das Land. Es ging auch nicht um das persönliche Zwiegespräch mit Schöpfung und Schöpfer, so wie es bei Friedrich in seinem protestantischen Glauben verankert war; es gab in den Werken der Hudson River School keine individuelle Auslegung von Religiosität.
Irgendwo zwischen Sonnenauf- und -untergang
Es bleibt abzuwarten, ob die Ausstellung im Metropolitan Museum auch in den USA eine ähnlich anhaltende Begeisterung für Friedrich entfachen wird, wie sie in Deutschland seit Jahrzehnten besteht. Möglich ist es, denn wenn das Metropolitan Museum und die Stadt New York etwas gut können, dann ist es genau das: Künstler aus der Fachwelt ins kulturelle Bewusstsein zu katapultieren und Legenden zu schaffen.
Der einsame Wanderer an der Museumsfassade blickt jedenfalls schon einmal gen Westen. Vielleicht schreitet er auch gar nicht ins Museum, sondern bereits hindurch, in den dahinter liegenden und noch immer winterlichen Central Park, und immer weiter, durch Landschaften und neue Metropolen, wie sie sich vor ihm öffnen, irgendwo zwischen Sonnenauf- und -untergang.