Kommentar

Cattelans lustiger Bananen-Stunt offenbart eine traurige Wahrheit

100 Jahre nachdem Marcel Duchamp ein Urinal zur Kunst erklärte, kann Maurizio Cattelan mit einer an die Wand geklebten Banane noch immer Aufsehen erregen. Der italienische Künstler führt damit vor, wie wenig die Avantgarde die Mehrheitsgesellschaft beeinflusst hat

Es gibt da diesen Clown-Trick: Nimm jemanden als Geisel, indem du ihm eine Banane in den Rücken hälst und so tust, als wäre es eine Pistole. Maurizio Cattelan hat genau das gerade gemacht: mit einer Banane eine komplette Kunstmesse in Geiselhaft genommen. Auf der Art Basel/Miami Beach waren bis zum Sonntagabend Kunstwerke von über 4.000 Künstlerinnen und Künstlern zu sehen, doch besprochen, beschrieben, fotografiert und geteilt wurde vor allem eines: Maurizio Cattelans "Comedian" bei der französischen Galerie Perrotin. Wie konnte das passieren?

Der 59-Jährige hat drei echte Bananen in einem Lebensmittelladen der Stadt gekauft und mit Panzertape an die Wand geklebt. Am Eröffnungstag der Kunstmesse waren zwei davon schon verkauft – für je 120.000 Dollar. Das Kunstwerk landete auf den Titelseiten internationaler Zeitungen, von der "New York Post" bis zum "Kurier", es wurde rauf und runter geinstagramt, kommentiert und parodiert. Die Galerie Perrotin hat dem Bananen-Werk daraufhin einen eigenen Instagram-Kanal eingerichtet, der Reaktionen auf das Kunstwerk sammelt. 

Es brauchte die erhitzte Art-Basel-Atmosphäre

Es ist beeindruckend, wie Cattelan mit geringstem Aufwand diesen riesigen Effekt geschaffen hat. Er benutzte dabei einen Trick: Er ließ die Medien und das Publikum glauben, er mache sich damit über den Kunstmarkt lustig, über Leute, die 120.000 Dollar für eine Banane ausgegeben. Dabei geht der Witz auf Kosten derer, die genau diese Verachtung für die angeblich so verrückte Gegenwartskunst zur Schau tragen und daraus Artikel und Posts stricken: Sie machten schließlich die ganze Arbeit und verhalfen Cattelan zu diesem Coup. 

Es ist die Regel, dass Künstlerinnen und Künstler gefundene Dinge für ein Vielfaches des Materialwertes anbieten. Die Berliner Künstlerin Karin Sander etwa hat ebenfalls vor einigen Jahren Bananen an Wände befestigt und zu Kunst erklärt. Aber es brauchte offenbar erst die erhitzte Atmosphäre der angeblich immer ein bisschen oberflächlichen Messe in Miami mit ihren Promis, High Heels und Blingbling, um daraus das zu machen, was "Comedian" jetzt geworden ist: eine weltumspannende Sensation, ein Skandal. Die Art Basel/Miami Beach bildete das perfekte Setting für den Spott auf eine angeblich hirnlose Oberschicht, die von einem Robin-Hood-Künstler ausgenommen und verarscht wird.

Dabei hat Cattelan damit nur bewiesen, dass das über einhundert Jahre alte Prinzip des Readymades noch funktioniert, dass nämlich erst der Kontext die Kunst macht und die Kunst paradoxerweise dadurch Autonomie gewinnt. Seit Marcel Duchamp einen industriell gefertigten Flaschentrockner (1914) und ein Urinal (1917) in einem Ausstellungskontext präsentiert und damit zu Kunst erklärt hat, wurde dieses Prinzip wieder und wieder angewandt – und doch verblüfft es offenbar nach wie vor.

Eine Form künstlerischen Upcyclings

Das ist einerseits schön, denn so wirkt der Zauber immer fort: Immer wieder neu können wir Alltagsobjekte mit anderen Augen sehen und die Verwandlung von Banalität in Bedeutung bewundern. Diese Form von künstlerischem Upcycling, wie man das Konzept Readymade heute nennen könnte, lehrt uns eine Wertschätzung für übersehene und gebrauchte Materialien. Prinzipien, die für das nachhaltigen Wirtschaften heute gefragt sind. Eine Banane für 120.000 Dollar wäre auch eine Gelegenheit, über Bananen im Supermarkt nachzudenken, die 30 Cent kosten, obwohl sie vom anderen Ende der Welt kommen. Ist das nicht das größere Wunder? 

Nur – und das ist die traurige Seite des "Comedian" – scheinen die Strategien der klassischen Avantgarde auch nach einem Jahrhundert gar nicht in der Mehrheitsgesellschaft angekommen. Wie könnte man sich sonst die Aufregung, ja, Skandalisierung erklären, die allein auf den hohen Preis für Bananen abzielt? Die revolutionären Ideen der modernen und die zeitgenössischen Kunst scheinen nur in jeder Generation einen kleinen Zirkel von Menschen zu erreichen. 

Die Bananen-Saga ging unterdessen noch weiter: Am Samstag, als den Zeitungen schon die Wortspiele mit "Banane" ausgingen, griff ein Mann namens David Datuna, nach eigenen Angaben Performancekünstler, auf der Art Basel eine der Cattelan-Bananen und verzehrte sie vor aller Augen. Der Amerikaner kommentierte seine "Hungry Artist" betitelte Performance mit den Worten: "Ich liebe Maurizio Cattelans Kunst, und ich liebe diese Installation wirklich. Sie ist köstlich."

Das Objekt ist nur ein Belegexemplar der Idee

Erneut war die Aufregung groß, doch der Galerist Emmanuel Perrotin sah diesen Vorfall gelassen: Die Käufer hätten lediglich ein Zertifikat und die Rechte an der Idee erworben. Die Banane an sich sei austauschbar. Auch diese Vorstellung, dass die Idee das Eigentliche ist und das Objekt nur ein Belegexemplar, ist mittlerweile etabliert: Sie wurde in den 60er-Jahren durch die Konzeptkunst eingeführt – und ist doch offenbar schwerer zu verdauen als eine matschige Banane. 

Am Sonntag schließlich, dem letzten Messetag, waren die Bananen weg: Die Sicherheitslage hätten eine weitere Präsentation unmöglich gemacht, so der Galerist, es sei zu gewaltigen Menschenaufläufen gekommen. Die Wände waren wieder weiß und leer – voller Potenzial. Ach, Kunst ist doch etwas Großartiges! Danke, Maurizio Cattelan!