Gastkommentar

Corona-Krieg gegen die Kultur

 Ein Mann sitzt mit weitem Abstand zu anderen Gästen in einem Kinosaal der Zeise-Kinos in Hamburg
Foto: dpa

 Ein Mann sitzt mit weitem Abstand zu anderen Gästen in einem Kinosaal der Zeise-Kinos in Hamburg

Wenn ab Montag wieder Museen, Theater und andere Kultureinrichtungen schließen müssen, dann fehlt den Maßnahmen nicht nur eine evidenzbasierte Grundlage. Dem Handeln der Bundesregierung liegt auch ein zweifelhafter Kulturbegriff zugrunde. Ein Gastkommentar

Laut Statistik gibt es 1.734 Kinos und 807 Theater in Deutschland. Als die Corona-Pandemie ausbrach und der erste komplette Lockdown im Frühjahr zu Ende kam, haben die meisten dieser kulturellen Spielstätten schnell reagiert und umfassende, professionelle Hygienekonzepte in der Theorie entworfen und in die Praxis umgesetzt.

Dafür gebührt ihnen der größte denkbare Respekt, denn das gehört nicht gerade zu den Kernkompetenzen, die Betreiber von Bühnen- und Leinwandkunst aus ihrer Ausbildung und Sozialisation mitbrigen. Aber die Passion für die Sache und das Publikum, eine typische Eigenschaft von Kulturmanagern, Schauspielern, Sängern und Tänzern, gepaart mit existenzieller Not sorgte dafür, dass man entschlossen, intelligent und schnell handelte.
    
Und offenbar auch erfolgreich: Seit die Theater und Kinos wieder offen sind, wurde meines Wissens kein einziger Fall bekannt, in dem eine Infektion im Kino- oder Theaterraum stattfand. Kein Wunder, denn überall gab es Maskenpflicht und Mindestabstände, strikte Regeln für Ein- und Ausgang, um Frontalbegegnungen zu verhindern, die Pausen wurden gestrichen und die Bar blieb geschlossen. Die Zuschauer strömten vor Beginn der Vorstellung wie Schiffe auf See in die nur locker besetzten Kinos und Theater, und am Schluss glitten sie lautlos und isoliert hinaus. Die Schauspieler im Theater befolgten peinlich genau die Regeln, und die Zuschauer wohl auch.

Die Vorstellung, dass in diesem Klima die menschliche Disziplinlosigkeit grassiert, ist absurd. Von einer leutseligen Atmosphäre, wie sie bei einer privaten Großfeier herrscht, wo Sekt, Wein und Bier in Strömen fließen und die menschliche Nähe und Wärme überbordet, waren die deutschen Kinos und Theater meilenweit entfernt.

Keine Evidenz für Infektionsgeschehen

Und trotzdem sagt nun der von Frau Merkel angeführte Staat: Ihr müsst zumachen. Und zwar nicht, weil Ihr ein typischer Hotspot des "Superspreading" seid - dafür gibt es nicht die geringste Evidenz; sondern einfach, weil Ihr in die Schublade "Freizeit" fallt, völlig egal, wie professionell Ihr die Menschen vor der Infektion schützt. Es könnte sich ja jemand sogar auf dem Weg ins Kino und Theater anstecken, so allen Ernstes der SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach, also besser zu Hause bleiben. Und Frau Merkel fügt hinzu, dass man ja wegen der Unklarheit der Infektionswege ohnehin mit allem rechnen müsse und deshalb sicherheitshalber die Tore der Kulturstätten schließt. Allerdings: Die Kirchen schließt man nicht, die Kulturstätten sehr wohl.

Tatsächlich hat die Vorgehensweise, die Frau Merkel angestoßen hat, einen überaus schalen Beigeschmack. Sie zeugt von einem geradezu primitiven Weltbild, in dem die Kultur nicht mehr darstellt als ein jederzeit verzichtbares Vergnügen: wenn nötig, weg damit! Und sie zeugt von dem völligen Unverständnis der Motivation des Kulturbetriebs, der sich vor allem auf Leidenschaft gründet. Reich wird man da in der Regel ohnehin nicht, und der Job ist hart - man lebt von magerer Gage, schönem Applaus und guten Kritiken. Und wenn das alles weg ist, steht man vor dem nichts - selbst wenn wie jetzt Vater Staat gönnerhaft verspricht, eine auskömmliche "finanzielle Kompensation" zu zahlen.
    
Man kann nur hoffen, dass dieser Corona-Krieg gegen die Kultur den November 2020 nicht überlebt - und zwar auch dann nicht, wenn die Infektionszahlen sich nicht substanziell verbessern. Dieser Krieg ist einer Kulturnation nicht würdig.