Spekulationen um Dackelverbot

Was wäre die Kunst ohne Archibald?

Landwirtschafts­minister Cem Özdemir plant eine Neufassung des Tierschutz­gesetzes. Deshalb geht in Deutschland die Angst vor einem Dackelverbot um. In der Kunst ist der krummbeinige Hund jedoch längst unsterblich

Wie bitte, der deutsche Dackel wird verboten?! Boulevardmedien und internationale Presse sind gerade in höchster Aufregung, weil eine geplante Neufassung des deutschen Tierschutz­gesetzes die "Qualzucht" von Haustieren strenger regeln soll, und dies könne, so spekulierte "Bild", womöglich auch zu einem Verbot des Dackels mit seinem "Durchhänge­bauch und dachsbau­tauglichen kurzen Knickbeinen" führen. Auch der deutsche Teckelclub ist "massiv beunruhigt". Landwirtschafts­minister Cem Özdemir stellte zwar inzwischen klar, dass es in dem neuen Gesetz "nicht, wie fälschlicher­weise behauptet, um das pauschale Verbot von bestimmten Rassen" gehe. Aber als Schreckgespenst geistert nun ein vermeintliches Dackelverbot herum: Was wäre eine Welt ohne Waldi, Archibald und Hedwig!

Im Jahr 2022 wurden in Deutschland insgesamt 6.296 Welpen dieser Hunderasse geboren. Würde die Zucht verboten, liefe eine letzte Knickbein-Generation noch durch deutsche Städte und Wälder, immer lahmer und grauer werdend. Nach der Teillegalisierung von Marihuana gäbe es durch den entstehenden Welpen-Schwarzmarkt neue Aufgabenfelder für ehemalige Dealer, die dann im Park Dackel unter Decken vorzeigen: "Pssst, richtig gutes Zeug!" Doch irgendwann würde die Erinnerung an die treuen Begleiter von einst verblassen. Vielleicht würde im 22. Jahrhundert noch ein obskure Sekte eine zwergenhafte, röhrenförmige Gottheit anbeten, die mit ihren Schlappohren, Stummelbeinchen und dem sprichwörtlichen Dackelblick ein vages Echo aus der Vergangenheit darstellen würde. 

Wie schön, dass wir unsere Dackel heute noch bei uns haben, auch wenn das Verbot einer Zucht, die Lebewesen mit angeborenen Gesundheitsrisiken und Anfälligkeiten für bestimmte Leiden in Kauf nimmt, durchaus gerechtfertigt ist. Sollte die Rasse tatsächlich irgendwann verschwunden sein, bliebe uns noch der tröstliche Blick in die Kunstgeschichte. Aufgrund der unverwechselbaren Silhouette eignet sich der Dackel wie kein anderer Artgenosse zur Bildwerdung. Es ist kein Wunder, dass Pablo Picasso in seiner endlos reproduzierten Zeichnung "Le Chien" (der Hund) einen Dackel darstellte, denn er ist der archetypische Hund: ganz nach dem Willen des Menschen geformt und doch eigensinnig bis zur Verstocktheit.

"Das ist meins – ciao!"

Verstockt bis zum Gehtnichtmehr war auch Picassos in Stuttgart geborener Hund Lump, der eigentlich dem Fotografen David Douglas Duncan gehörte, aber darauf bestand, bei dem spanischen Maler zu bleiben. "Als ich Picasso besuchte, kam Lumpi mit, sah sich um: Das ist meins – ciao! – und verließ mich, um mit Picasso zu leben." Lump wurde eine der längsten Beziehungen des bekanntermaßen bindungsunwilligen Künstlers, der ihn immer wieder malte und zeichnete, unter anderem in seinen Studien zu dem Velázquez-Gemälde "Las Meninas", in denen Lumpito allein 15 Mal auftaucht. Picasso überlebte seinen Hund, der übrigens auch - Stichwort: Qualzucht - an einer Wirbelsäulenerkrankung litt, nur um zehn Tage. 

"Wenn Picasso ihn ansah, leuchtete eine warme Sanftmut in seinen Augen auf, ganz kurz, kaum mit der Kamera festzuhalten", erinnerte sich der Duncan, der es doch immer wieder versuchte und sogar ein ganzes Buch mit Picasso-Lumpi-Porträts veröffentlichte. "Sie waren seelenverwandt. Picasso war ein Einzelgänger. Einer, der sein Leben schnurgerade geht. Und Lump auch. Wenn man ihn aufhob, drehte er sich weg. Ich glaube, er mochte mich. Aber er konnte es nicht leiden, wenn man ihn festhielt." 

Eine von Picassos Studien zu "Las Meninas" mit Lump anstelle des ursprünglichen Hundes

Eine von Picassos Studien zu "Las Meninas" mit Lump anstelle des ursprünglichen Hundes

Auch Andy Warhol hat seinen Dackel Archie immer wieder in Polaroids und Siebdrucken festgehalten. Total obsessed war David Hockney, der seine Dackel Stanley and Boogie in allen möglichen Posen malte, vor allem schlafend natürlich.

Doch der Dackel dackelte durch die Kunstgeschichte nicht nur als Realitäts-Check seiner Malerherrchen, er hatte auch immer eine selbstverniedlichende Note, etwa in dem Logo und Maskottchen, das der Designer Otl Aicher für die Olympischen Spiele 1972 in München schuf: "Waldi" war auch ein ironisches Emblem zur deutschen Spießigkeit und betonte die Harmlosigkeit einer Nation, die nicht mal 40 Jahre zuvor mit nur scheinbar harmonischen Sommerspielen in Berlin die ganze Welt blenden wollte.

Wie abgründig Dackel werden können, sieht man auch gerade in der Dackelparade in der Mike-Kelley-Ausstellung im Düsseldorfer K21-Museum. "Wahrscheinlich hören sie mit großen Ohren dauernd die angefaulten Stimmen, die anderswo in der Schau aus einem schwebenden Silberfolienball von farbigen ­Erlebnissen beim Entführtwerden durch Außerirdische lallen", schreibt Dietmar Dath in seiner Review zu Schau und weist damit auf einen wichtigen Aspekt hin: Lass dich nicht täuschen vom Dackelblick, schnell schnappt der kleine Racker auch mal zu. 

Abgründig auch das Selbstporträt der finnischen Künstlerin Elina Brotherus, das sie mit ihrem Hund Marcello und gerecktem Mittelfingen zeigt und dessen Titel lautet: "Mein Hund ist süßer als dein hässliches Baby". Es bildet den Schlusspunkt ihrer Serie "Annonciation" (2009-2013), mit dem sie ihre vergeblichen Versuche dokumentierte, auf dem Wege der künstlichen Befruchtung schwanger zu werden. Das lehren einem die Dackel: Frust muss raus, süße Boshaftigkeit ist auch manchmal die einzig angemessene Haltung einer boshaften Welt gegenüber.