Darrel Ellis

Zerschnittenes Leben

Das Werk des New Yorker Künstlers Darrel Ellis übersetzt politische Analyse, Protest und persönliches Leid in eindrucksvolle Bilder. In Berlin wird er nun in einer Ausstellung wiederentdeckt, die ihre Aktualität gar nicht vor sich hertragen muss

Ein Familienvater kommt in der Bronx in eine Verkehrskontrolle. Er ist schwarz. Er wird von den Polizisten brutal getötet. Die Geschichte klingt vertraut ­- in diesem Fall spielt sie sich aber im Jahr 1958 ab und wird zur Urszene im Leben des Künstlers Darrel Ellis. Er war noch nicht geboren, als sein Vater dem rassistischen System zum Opfer fiel. Darrels Vater Thomas Ellis hatte in Harlem ein Fotostudio betrieben und auf einfühlsamen Schwarz-Weiß-Fotografien das Leben der Familie und der schwarzen Community festgehalten. Als Darrel Ellis Ende der 1970er-Jahre begann, Kunst zu studieren, gab ihm seine Mutter eine Kiste mit den Fotos seines Vaters.

Für Darrel wurden die ruhigen, idyllischen Aufnahmen eines Familienlebens, das er nicht mehr kennengelernt hatte, zum Ausgangspunkt seines eigenen Werkes: Er zerschnitt und übermalte sie, zeichnete sie ab, projizierte sie auf Gipsformen und fotografierte sie wieder. Oft fehlen die Gesichter der Personen, oder sie erscheinen verzerrt und neu zusammengesetzt. Ellis transformierte die Brüche und Löcher in seiner Biografie und die Abgründe im Leben der schwarzen Community in neue Bilder. "Natürlich haben heute alle Familien Brüche, Zerrüttungen, einen Mangel an Gemeinsamkeit – Löcher sozusagen. Aber die schwarze Familie ist eine besonders schwierige Sache, denn im Grunde gibt es gar keine schwarze Familie mehr. Und genau das ist Teil meiner Gedanken und Träumereien. Ich bin damit aufgewachsen. Wenn ich auf diese Fotos schaue, sehe ich nur Löcher", schrieb Ellis damals in sein Notizbuch.

Unterwegs mit Robert Mapplethorpe und Peter Hujar

Die Galerie Crone in Berlin zeigt jetzt zum ersten Mal in Deutschland eine Ausstellung mit Bildern von Darrel Ellis: zarte Zeichnungen, einige Selbstporträts, und einige der übermalten, bearbeiteten und neu abfotografierten Fotos. Galerist Markus Peichl möchte damit die Aufmerksamkeit auf einen Künstler lenken, dessen Karriere alles andere als einfach verlief. Ellis war homosexuell und in der New Yorker Subkultur der 1980er-Jahre unterwegs, Robert Mapplethorpe und Peter Hujar waren Freunde und porträtierten ihn. 1992 wurde sein Werk in einer Fotografie-Ausstellung im MoMa gezeigt. Ellis war erst 33 Jahren alt, als er 1992 an den Folgen von Aids starb – und anders als bei Mapplethorpe oder Hujar, fand sein Werk postum kaum Eingang in den Diskurs. Und man kann durchaus vermuten, dass das auch daran lag, dass er nicht nur schwul war, sondern auch schwarz.

Umso schöner, dass die Galerie Crone das Werk jetzt in Zusammenarbeit mit der New Yorker Kuratorin Cay-Sophie Rabinowitz zeigt. Es ist eine ruhige, nachdenkliche Schau, die ihre Aktualität nicht vor sich hertragen muss. In der Kunst des Darrel Ellis übersetzen sich politische Analyse, Protest und persönliches Leid in eine tiefe Sensibilität. Den Blick des jungen Mannes mit dem dunklen Bart auf den fragil gezeichneten Selbstporträts wird man nicht so schnell vergessen.