Animationskünstler Dash Shaw

"Meine reife-unreife Art trifft offenbar einen Nerv"

Mit "Cryptozoo", seinem zweiten Spielfilm, hat der Graphic-Novel-Autor und Animationskünstler Dash Shaw gemeinsam mit seiner Frau Jane Samborski ein Fantasy-Märchen über Fabelwesen geschaffen, die in einem für sie eingerichteten Park Unterschlupf finden sollen. Ein Vergnügen zwischen Trip und Aktivismusdrama. Monopol hat mit dem 38-jährigen US-Comickünstler per Video gesprochen

Mr Shaw, was war der Ursprung dieser fantastischen Welt von "Cryptozoo"?

Vor fünf Jahren schwirrten mir mehrere Sachen durch den Kopf, die im Nachhinein betrachtet dazu führten, dass ich eine Geschichte über imaginäre Wesen erzählen wollte. Die erste Idee dazu kam mir, als ich einen unvollendeten Animationskurzfilm von Winsor McCay entdeckte, "The Centaurs" von 1921, den man auf Youtube findet. McCay war Anfang des letzten Jahrhunderts einer der ersten Animationskünstler in den USA, er hat sich mit Themen und mythologische Kreaturen beschäftigt, die man nur gezeichnet zum Leben erwecken kann. Als ich auf "Centaurs" stieß, hatte ich gerade ein Stipendium an der New York Public Library und recherchierte für ein anderes Projekt Zeitungen der US-Gegenkultur der 1960er-Jahre und ihrer Antikriegshaltung und Kapitalismuskritik. Und meine Frau, die Co-Regisseurin Jane Samborski, hatte damals eine "Dungeon and Dragon"-Rollenspielgruppe. und ich wollte ihr eine Freude machen, in dem wir gemeinsam ein Projekt über Fabelwesen entwickeln. All das kulminierte schließlich in "Cryptozoo".

Wie wurden aus diesen diversen Ideen und Inspirationen dann das konkrete Projekt?

Als Einstieg wählten wir eine Geschichte mit einem Hippiepärchen, das bei einem Trip zufällig auf diesen Park stößt. Was nun die ersten zehn Minuten des Films sind, kreierte ich zusammen mit Jane 2017, um Schauspielern, die ich für die Sprechrollen haben wollte, einen Eindruck zu geben, wie der Film am Ende aussehen würde. So konnte ich auch die Figuren auf den jeweiligen Sprecherinnen und Sprechern basieren, anders als bei meinem ersten Film "My Entire Highschool Sinking Into The Sea". Damals ging ich erst auf die Suche, als bereits Dreiviertel des Films animiert war. Das kam mir damals wie eine vertane Chance vor, ich wollte mich diesmal mehr von den Stimmen und dem Aussehen der realen Schauspielerinnen und Schauspielern inspirieren lassen. Ich zeigte ihnen das Drehbuch, parallel hatten wir bereits Szenen und Hintergründe gezeichnet, bevor wir die Dialoge aufzeichneten. Die Figuren kreierten wir basierend auf den Tonaufnahmen und fügten sie dann in die existierenden Szenen ein. Es war ein collageartiger Prozess.

Der Film vermengt Fantasy mit realistischen Elementen, sowohl stilistisch als auch auf Erzählebene. Wie haben Sie den richtigen Ton gefunden?

Üblicherweise finden Fantasyfilme in einer anderen Welt statt, jenseits der Wirklichkeit. Ich fand das immer schade. Deshalb wollte ich mythische Kreaturen erschaffen, die in unserer Kultur fußen, anstatt sie aus dem Nichts zu erfinden. Damit reflektiert der Film auch, wie wir mit unserem kulturellen Gedächtnis umgehen, mit den Geschichten, die wir uns erzählen, unseren Träumen. Ich wollte sie auf fast ungemütliche Art nah an unsere Lebensrealität andocken. Jane hat einen sehr naturalistischen Animationsstil, der perfekt dazu passt.

Sie arbeiten dabei mit verschiedenen Techniken wie Gouachen, Aquarellen und Zeichnungen. Wie sieht Ihre Zusammenarbeit konkret aus?

Indem wir uns ergänzen. Jane hat zum Beispiel die meisten Kreaturen erschaffen, während ich die Menschen gezeichnet habe. Und an Mischwesen haben wir gemeinsam gearbeitet. Ich verehre Ralph Bakshi, der Animationsfilme für Erwachsene geschaffen hat wie "Fritz the Cat" und "Starker Verkehr" und ahme vor allem sein Konzept nach, Künstler wie Schauspieler zu casten. Statt eines Style Guides, der Mitarbeitern zeigt, so zu malen wie ich selbst, wähle ich Menschen wegen ihrer individuellen Talente und Stile aus, die ich für bestimmte Elemente passend finde. Jede Künstlerpersönlichkeit ist anders und übernimmt einen anderen Part, wie es Schauspielerinnen und Schauspieler tun. Und im Idealfall wird daraus ein orchestriertes, organisches Zusammenspiel.

Einige dieser Kreaturen, die Sie Cryptids nennen, kommen westlichen Zuschauern wahrscheinlich bekannt vor, andere dürften den meisten neu sein, der Baku etwa, ein japanisches Chimärenwesen, das die bösen Träume der Menschen verschlingt. Wie kamen Sie auf diese Figur?

Ich entdeckte ihn zuerst in einer experimentellen Manga-Anthologie und später bei Hokusai, der Mitte des 19. Jahrhunderts einen Baku zeichnete. Als ich verstand, dass dieses Mischwesen sich von Alpträumen ernährt, hatte ich gleich einen Film vor Augen. Mir gefiel die Idee, dass es um Macht von Imagination und Träumen der Menschen geht. Die anderen Cryptids stammen aus Kulturen weltweit, Jane recherchierte frühgeschichtliche Kunst und überlegte, wie diese Abbildungen animiert werden könnten, wie sich diese Fabelwesen sich bewegen, ausgehend und inspiriert von diesen oft hunderte Jahre alten Kunstwerken.

Außergewöhnlich ist auch die Farbpalette, die Sie benutzen, und der Stellenwert, den Farbe im Film hat. Woher kommt dieser Fokus in Ihrer Arbeit?

Als ich anfing, als Comickünstler zu arbeiten, waren die meisten Alternativcomics in den USA entweder naturalistisch koloriert im Stil von Chris Ware oder gleich Schwarzweiß. Farbe als Bedeutungsträger fand ich ein hochspannendes Feld, das zu der Zeit sehr vernachlässigt wurde. Ich veröffentlichte in vielen unabhängigen Magazinen und Anthologien, später dann auch eigene Bände wie "New School" über einen Freizeitpark, in dem die Farben fast wie ein Filmscore Stimmungen transportiert, mit Überblendungen fast wie bei Sigmar Polke. Das war eine sehr bewusste Gegenposition, die ich da einnahm. Mittlerweile ist es einem eher intuitiven, spielerischeren Umgang mit Farben gewichen.

Haben Sie in Ihrer kreativen Arbeit bestimmte Rituale? Wie kommen Ihnen Ideen?

Ich habe vielleicht einmal im Jahr einen wirklich guten, grundlegenden Einfall. Der Rest ist Ausführung und das Überlegen, wie sich etwas umsetzen lässt. Inspiration ist ein rares Gut. Da wir bei diesem Film kaum Mittel hatten wie die großen Animationsstudios, mussten wir viel improvisieren und ausprobieren, dadurch entstehen im Idealfall unkonventionelle Details.

Sie haben vor Ihren beiden Langfilmen und parallel dazu diverse Graphic Novels veröffentlicht und ihre Arbeiten auch in zahlreiche Galerien ausgestellt. Wie kamen Sie zur Comic-Kunst?

Ich wollte das, solange ich denken kann, ich hatte nie andere Ziele im Leben. Ich bin mit Disney aufgewachsen, in der Highschool wurde mein Interesse dann ein bisschen mehr artsy-fartsy, aber ich blieb den Comics treu. Ich wollte nie Maler werden. Mich faszinierten dann japanische Animes, ich erkannte die Verbindung zum amerikanischen Independentkino, das Langsame und Reduzierte daran. So entwickelte ich langsam meinen eigenen Stil.

Zeichnen Sie für ein bestimmtes Publikum?

Ich folge eigentlich immer einer Frage: Was wäre, wenn es einen Film oder ein Comicband gäbe, der so aussieht, wie ich es mir im Kopf vorstelle. Und dann setzte ich es um. Das ist meine Motivation, nicht eine definierte Zielgruppe. Aber mir fällt natürlich auf, dass "Cryptozoo" auf Festivals eingeladen wird und dort vor allem ein erwachsenes, kunstinteressiertes Publikum anspricht. Offensichtlich trifft meine reife-unreife Art einen Nerv, diese Gratwanderung zwischen Kunst und Spektakel, Hoch- und Popkultur.

Wie kann man neben Disney, Pixar & Co als unabhängiger Animationskünstler bestehen?

Jane und ich leben in Richmond, Virginia, wir kriegen nicht so viel mit, was in New York oder Los Angeles passiert. Das war gar keine Entscheidung gegen das System, es hat mehr mit unseren Persönlichkeiten zu tun. Wir machen gerne alles selbst. Und es gibt viele Gleichgesinnte über die Vereinigten Staaten verteilt, mit denen wir kollaborieren. Für uns ist das die gesündere Art zu leben und zu arbeiten.