Debatte um Garnisonkirche Potsdam

"Wir brauchen diese Kirche als Ort zum Lernen und Erinnern"

Die Garnisonskirche in Potsdam, 1920
Foto: gemeinfrei/Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin

Die Garnisonkirche in Potsdam, 1920

Wird mit der Garnisonkirche in Potsdam ein Identifikationsort für Rechtsradikale wiederaufgebaut? So hat es der Architekturtheoretiker Philipp Oswalt im Monopol-Interview ausgedrückt. Nun widerspricht Martin Vogel, theologischer Vorstand der Stiftung Garnisonkirche Potsdam

Herr Vogel, in Ihren Worten: Warum braucht Potsdam die wiederaufgebaute Garnisonkirche?

Es geht um den Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche, der Teil des berühmten Potsdamer Dreikirchenblicks war. Für ihn haben wir ein Nutzungskonzept erarbeitet, das dem Gedanken der Konversion verpflichtet ist: Schwerter zu Pflugscharen. Kritische Erinnerungsarbeit, Bereitschaft zur Verantwortung in der Demokratie und Engagement für Versöhnung und Frieden - das sind die drei Eckpfeiler.

Die Kirche wurde vom "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I gebaut, sie steht also für eine autoritäre Herrschaft, die das Militär glorifiziert. In ihr wurde die Kolonialherrschaft verherrlicht, und Hitler hat sie am "Tag von Potsdam" als Ort gewählt, um seine Herrschaft als Fortführung der preußischen Tradition zu inszenieren. Ist das wirklich die Art von Symbol, die wir gerade brauchen?

Die Form, in der Sie den Ort einordnen, ist für mich eine Bestätigung dafür, dass wir diese Kirche als exponierten Lernort brauchen. Ich bezweifle, dass wir heute bessere Menschen sind als unsere Vorfahren. Insofern sind wir immer wieder ideologieanfällig. Deshalb möchten wir alle Traditionen, Wandlungen und Brüche an diesem Ort aufarbeiten und uns mit ihnen kritisch auseinandersetzen.  Das ist ein schmerzhafter Prozess, aber es ergibt absolut Sinn, diese Helden- und Versagensgeschichten weiter zu erzählen, weil man aus ihnen lernen kann.  

Es geht ja nicht um einen bereits vorhandenen Ort, mit dem man umgehen muss. Wenn man so hart gegen das ankämpfen muss, was diese Kirche symbolisiert, warum dann überhaupt wieder aufbauen?

Da, wo nichts ist, kann man sich nicht erinnern und keine Fragen stellen. Außerdem wurde die Sprengung des Turms der Garnisonkirche 1968 nach einem Besuch von Walter Ulbricht in Potsdam in einem stalinistischen und antidemokratischen Verfahren durchgesetzt, obwohl die Junge Gemeinde im Turm der Kirche einen Neuanfang gestartet hatte und diesen leben wollte. Wir sagen: weder Adolf Hitler, noch Walter Ulbricht dürfen Recht behalten.

Wobei die Kirche zu der Zeit nur noch eine Ruine war und es auch bereits vor Ulbrichts Besuch Pläne zum Abriss der Kirchenreste gab.

Sie war wiederaufbaufähig. Die Pläne lagen bereit. 1968 ist eine intakte und gewidmete Kapelle beseitigt worden. Es ging im Jahr des Prager Frühlings um brachiale Einschüchterung. Die Kapelle im Turm war ein Nukleus des Neuanfangs und der Umkehr. Man träumte von einer Musikkirche. Doch Träume waren unerwünscht. Wenige Wochen vorher wurden die völlig intakte Universitätskirche in Leipzig und kurz darauf die Rostocker Christuskirche gesprengt. Die SED wollte das sozialistische Stadtbild und das entsprechende Menschenbild durchsetzen.

Die Initiative zum Wiederaufbau kam von einem rechtsnationalen, manche sagen rechtsextremen Bundeswehroffizier, Max Klaar. Kann man dieses Projekt vor dem Hintergrund einfach so weiterführen?

Der Missbrauch verbietet nicht den richtigen Gebrauch. Es ist in der Tat so, dass ein Verein aus Iserlohn mit einem revanchistischen Geschichtsbild der Stadt Potsdam ein Glockenspiel geschenkt hat. Die westdeutsche Traditionsgemeinschaft hatte angeboten, Geld für den Wiederaufbau der Garnisonkirche zu sammeln. Die evangelische Kirche beauftragte daraufhin im Jahr 2000 eine Arbeitsgruppe, um die Frage zu klären, wie wir als Christen mit dieser Situation umgehen sollen. Daraus ist ein Nutzungskonzept hervorgegangen, das sagt: wir möchten im Sinne der Konversion einen Ort des Friedens und der Versöhnung schaffen, wo früher eine Hof- und Militärkirche stand. Vom Land und von der Stadt haben wir positive Signale erhalten. Der besagten Traditionsgemeinschaft um Herrn Klaar haben wir verdeutlicht, dass wir den Ort als demokratischen Raum zurückgewinnen wollen. Zukünftig würde dort die Grundordnung unserer Kirche gelten und den Rahmen für die Nutzung setzen. Da ist ein großer Riss aufgegangen und die Traditionsgemeinschaft hat es abgelehnt, mit uns zu arbeiten. Insofern haben wir dafür gesorgt, dass das Projekt auf ordentliche Füße gestellt wurde.

Die Baustelle des Turms der Garnisonkirche in Potsdam. Im Sockel soll auf fünf Sprachen das Bibel-Zitat "Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens“ stehen
Foto: Stiftung Garnisonkirche

Die Baustelle des Turms der Garnisonkirche in Potsdam. Im Sockel steht auf fünf Sprachen das Bibel-Zitat "Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens“ 

Inwiefern haben Sie sich öffentlich von den Initiatoren und deren Ideologie distanziert?

Wir haben aus unserer Haltung kein Geheimnis gemacht. Wir sind auf keine der von Herrn Klaar gestellten inhaltlichen Forderungen eingegangen und haben nicht einen einzigen Euro von dem Geld angenommen, das der Verein gesammelt hat.

Das Glockenspiel, das Herr Klaar übergeben hat, läutet aber immer noch in Potsdam. Es spielt unter anderem ein Lied, das Joseph Goebbels als Pausenzeichen des Reichsrundfunks ausgewählt hat.

Das Glockenspiel gehört der Stadt Potsdam. Wir sehen nicht, dass die Glocken eines Tages auf dem Turm läuten werden. Die Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel hat sich aufgelöst. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Ziele der Gemeinschaft in Potsdam nicht erreichbar waren. Die evangelische Kirche hat die Stiftung Garnisonkirche Potsdam gegründet, das Grundstück erworben und den Bau des Turms auf den Weg gebracht. Das Kapitel der Traditionsgemeinschaft ist erledigt. Wir bauen einen Ort der Friedens- und Versöhnungsarbeit.

Und mit dem Lied können Sie leben?

Das für Potsdam berühmte holländische Carillon bestand aus 40 Glocken. Das Glockenspiel konnte manuell oder auch automatisch gespielt werden. Seit 1797 erklang zu jeder vollen Stunde die Melodie "Lobe den Herren“ und zu jeder halben Stunde das Lied "Üb immer Treu und Redlichkeit“. Gegen die Anregung, Gott zu loben, und stets ehrlich zu bleiben, empfinde ich keine innere Sperre. Wenn "Treue" allerdings zum Kadavergehorsam uminterpretiert wird, dann ist das ein Missbrauch einer eigentlich guten Sache. Das ist völlig klar. Wir wissen im Übrigen auch, dass einzelne Personen die Glockentöne vom Turm der Garnisonkirche im Potsdamer Gefängnis in der Lindenstraße als inneren Rückhalt gehört und sich daran festgehalten haben. Das ging den von der Gestapo inhaftierten Christen der Bekennenden Kirche ebenso wie etwa Helga Scharf, die 1952 von der Stasi verhaftet worden war. Interessant ist übrigens auch, dass Prof. Dr. Otto Becker als Glockenist der Garnisonskirche an jedem Schabbat-Gottesdienst die Orgel in der Potsdamer Synagoge gespielt hat. Es tat dies bis zur Zerstörung des Gotteshauses in der Pogromnacht vom 9. November 1938.

Sie sprechen von Versöhnung. Wer soll sich denn eigentlich mit wem versöhnen?

Das Gegenteil von Versöhnung ist Hass. Wenn ich in unsere Welt schaue, habe ich den Eindruck, dass wir zwingend mehr darüber nachdenken müssen, wie unversöhnte Gegensätze etwa zwischen Ökonomie und Ökologie, kriegerische Auseinandersetzungen und gesellschaftliche Konflikte gelöst werden können. Versöhnung meint nicht "Friede, Freude Eierkuchen". Das englische Wort "reconciliation" meint das Wiedereinberufen einer Beratungsrunde, um gemeinsame Lösungen zu finden.

Kritiker sagen, dass der Begriff auch so verstanden werden kann, dass man sich mit der deutschen Geschichte versöhnt. Das sei an rechtes Gedankengut anschlussfähig.

Sie können sich sicher sein, dass unser Anspruch "Geschichte erinnern – Verantwortung lernen – Versöhnung leben" definitiv nicht so gemeint ist, dass wir die Zeit des Nationalsozialismus als Betriebsunfall abtun und damit unseren Frieden machen. Wir möchten an das furchtbare Versagen erinnern. Mit einer reflektierten pädagogischen Arbeit wollen wir insbesondere der jungen Generation Angebote vorhalten, die ihnen helfen sollen, einen eigenen Weg in die Zukunft zu verantworten.

2014 wurden 16.000 Unterschriften  gegen den Wiederaufbau der Kirche gesammelt, ein Bürgerbegehren wurde aber nicht abgehalten. Warum fragt man nicht einfach die Potsdamer Bürger?

Unser Projekt wurde zum Spielball und im Kommunalwahlkampf missbraucht. Als das Bürgerbegehren in der ersten Stufe die notwendigen und teilweise mit zweifelhaften Methoden eingesammelten Unterschriften hatte, nahm die Stadtverordnetenversammlung das Thema auf und beauftragte den Oberbürgermeister der Stadt Potsdam alle rechtlichen Mittel zu nutzen, um die Stiftung Garnisonkirche aufzulösen. Er hat damit den absurden Auftrag des Bürgerbegehrens umgesetzt, obwohl es sich um eine vom Innenministerium genehmigte Stiftung handelt. Der Oberbürgermeister stellte den Antrag auf Auflösung der Stiftung in der nächsten Kuratoriumssitzung. Dass das Kuratorium nicht der eigenen Auflösung zustimmt, kann man sich ja vorstellen. Damit war das Bürgerbegehren, das keine Sternstunde der direkten Demokratie war, abgeräumt. Auch der Kommunalwahlkampf war dann vorbei.

Und zur Frage des Wiederaufbaus: Gibt es dafür eine Mehrheit?

Was viele vergessen: 1990 hatte sich die Stadt Potsdam mit breiter Mehrheit für den Wiederaufbau der Garnisonkirche ausgesprochen. Das Thema interessiert und bewegt viele Menschen. Kontroversen können ja etwas Produktives bewirken, auch weil wir aufgefordert sind, fair miteinander zu streiten. In einer Umfrage der "Potsdamer Neuesten Nachrichten" hat sich eine deutliche Mehrheit erneut für den Wiederaufbau des Turms ausgesprochen. Aber nach zwei sehr unterschiedlichen Diktaturen ist mir etwas anderes wichtiger: Die unverhandelbaren Grundrechte unserer Verfassung garantieren unter anderem Minderheitenschutz, Meinungsfreiheit und das Recht auf freie Religionsausübung. Diese Grundrechte sollen unsere Gesellschaft davor bewahren, dass die Mehrheit eine Minderheit einfach an die Wand drücken kann.

Für den weiteren Verlauf des Wiederaufbaus sind Sie auf Spenden angewiesen, sie müssen also Werbung machen. Müssen Sie da nicht die Botschaft vereinfachen und die Kontroversen um das Projekt glätten?

Wir haben für die Reduzierung der Komplexität den Dreiklang "Geschichte erinnern, Verantwortung lernen, Versöhnung leben" gewählt. Ich erlebe in zahlreichen Gesprächen positive Rückmeldungen und ein großes Interesse am Wiederaufbauprojekt. Die Nachdenklichkeit ist durchaus ein Motiv, aus dem heraus Menschen uns unterstützen.

Es gibt eine Gedenkmünze mit der Garnisonkirche zur Unterstützung des Wiederaufbaus. Auch die Nazis haben den Bau auf Münzen gedruckt. Sehen Sie darin ein Problem?

Die Staatliche Münze Berlin hat im Jahr 2005 aus Anlass des 270. Jahrestages der Fertigstellung der Potsdamer Hof- und Garnisonkirche im Jahr 1735 eine Gedenkmünze herausgegeben. Diese Münze wurde von der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau insbesondere für denjenigen Kreis angeboten, der gern Münzen sammelt, um Spenden für den Wiederaufbau einzuwerben.

AfD-Politiker Björn Höcke hat eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" gefordert, dazu gehörten für ihn auch die Rekonstruktion von Schlössern und Kirchen, um "diesen neu entstandenen Fassaden einen neuen, würdigen Geist einzuhauchen". In seiner "Dresdner Rede" erwähnte er lobend das Potsdamer Projekt. Beunruhigt Sie das nicht?

Solche Aussagen erschüttern mich. Aber die AfD hat gerade ein Papier unter dem Titel "Unheilige Allianz – der Pakt der evangelischen Kirche mit dem Zeitgeist und den Mächtigen" herausgebracht, in dem sie darlegen, warum sie mit uns nichts zu tun haben wollen. Das macht mich geradezu dankbar.  Wir dürfen den öffentlichen Raum nicht den denjenigen Kräften überlassen, die Hass schüren und gegen unsere Verfassung arbeiten.  

Bei der Europawahl war die AfD in Brandenburg stärkste Partei, manche Umfragen sehen sie auch bei der Landtagswahl im Herbst vorn. Kann man wirklich verhindern, dass das Projekt gekapert wird – gerade weil die Garnisonkirche historisch ein rechter Identifikationsort ist?

Die Kirche ist kein rechter Identifikationsort. Die Nazis haben in Europa eine Art Topografie des Terrors hinterlassen. In Potsdam entsteht nun langsam ein Ort, an dem wir uns in ein europäisches und weltweites Netzwerk hineinknüpfen. Es geht um eine Topografie des Friedens und der Versöhnung. Dafür ein Beispiel. Wir haben von unserer Baustelle aus vor einem Jahr dazu aufgerufen, gegen Antisemitismus aufzustehen. Es kamen viele Unterstützer. Unsere Pfarrerin hat den Demonstrationszug mit dem Slogan "Potsdam trägt Kippa" gemeinsam mit Freunden aus den beiden Jüdischen Gemeinden angeführt. Und zur Europawahl: Wenn Sie die Ergebnisse anschauen, sehen sie auch, dass 80 Prozent der Wähler demokratisch gesinnte Parteien gewählt haben, aber natürlich bleibt die Beunruhigung angesichts der 20 Prozent AfD. Wir müssen uns fragen, was wir alle dazu beitragen können, dass unsere Demokratie nicht gekapert wird. Diese Aufgabe stellt sich überall – im Landtag, in den Sportvereinen - und eben auch in der evangelischen Kirche.