Interview mit Margaret Keane

"Die Lügen waren ein Albtraum"

Die US-Künstlerin Margaret Keane hat ein filmreifes Leben: Millionenerfolg mit Kulleraugen-Bildern, ein betrügerischer Ehemann, der ihr den Ruhm stiehlt. Mit Tim Burtons "Big Eyes" kommt ihre bewegte Geschichte jetzt in die Kinos

Ihre Porträts mit traurigen Kulleraugen waren in den 60er-Jahren eine Kunstsensation. Doch zunächst wusste niemand, dass die Amerikanerin Margaret Keane die Riesenaugen-Bilder malte. Ihr Mann Walter Keane, ein charmantes Vermarktungsgenie, gab ihre Werke als seine Kunst aus. Sie hielt aus Angst jahrelang still. US-Regisseur Tim Burton zeichnet mit dem Film "Big Eyes" und seinen Hauptdarstellern Amy Adams und Christoph Waltz den sensationellen Kunstskandal nach. Mit 87 Jahren greift Margaret Keane immer noch zum Pinsel. Sie lebt bei ihrer Tochter in der Nähe von San Francisco. Sie sei froh darüber, dass durch den Film viele Menschen die Wahrheit erfahren, sagt sie im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Verstrickt euch nicht in Lügen, warnt die Künstlerin.

Margaret Keane, spiegelt "Big Eyes" tatsächlich Ihr Leben wieder?
Der Film trifft mein Leben haargenau, die wesentlichen Dinge sind darin enthalten. Als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, kam mir der Film unheimlich echt vor. Das war ein richtiger Schock, der zwei Tage lang anhielt. Auch meiner Tochter ging es so. Er brachte so viele Erinnerungen zurück. Ich bin dankbar dafür und sehr froh, dass die Wahrheit so ans Licht kommt und viele Menschen davon erfahren.

Wie schwierig war die Zeit, als sich Walter Keane als Schöpfer Ihrer Bilder ausgab?
Das war ein Albtraum. Wir verstrickten uns mehr und mehr da hinein, und ich wusste keinen Ausweg. Je berühmter meine Bilder wurden, umso mehr pries er sie an und warb um Käufer. Das Lügengerüst wurde immer größer, es war fürchterlich. Der Druck und die Geheimhaltung machten mich total fertig. Ich hatte große Angst vor Walter, aber ich konnte so nicht weitermachen. Es hätte mich umgebracht. Irgendwann hatte ich dann die Kraft, ihn zu verlassen. Ich wünschte, das wäre alles nicht passiert.

Hat Christoph Waltz die Figur Walter gut getroffen?
Oh ja, das hat er ganz fantastisch gemacht. Er trifft es haargenau, wie Walter aussah, wie er sich gab und wie er sprach. Ich sehe Walter lebendig vor mir. Er hatte wirklich sehr viel Charme und auch eine wunderbare Seite. Walter hätte ein Schauspieler oder ein Entertainer werden sollen. Er zog Leute magisch an. Ich muss ihm auch zugutehalten, dass er meine Bilder bekanntmachte. Ohne ihn wäre vielleicht niemand auf meine Kunst aufmerksam geworden. Er hat sie ans Licht geholt und in der ganzen Welt verbreitet. Er war ein genialer Vermarktungskünstler.

Wie haben Sie Ihren Stil mit den riesigen Augen entwickelt?
Ich habe viele Porträts gemalt, vor allem Kinder, die ich mir einfach ausdachte. Große Augen gefielen mir, darin konnte ich meine ganzen Gefühle zum Ausdruck bringen. Diese Augen stellten Fragen, auf die ich selbst keine Antwort hatte. Warum sind wir hier? Was ist der Sinn des Lebens? Warum gibt es so viel Leid? Ich denke, ich habe das Kind in meinem Innersten gemalt und damit die Gefühle vieler Betrachter getroffen. Die Leute fühlen sich entweder stark zu meinen Bildern hingezogen oder sie lehnten diese Kunst total ab. Da gibt es kaum einen Mittelweg.

Sie malen noch mit 87 Jahren. Wie hat sich Ihr Stil geändert?
Manchmal gibt es so viele andere Dinge zu tun, dass ich nicht immer dazu komme, aber ich versuche fast jeden Tag zu malen. Vor vielen Jahren bin ich zu den Zeugen Jehovas gestoßen, das hat mein Leben und meine Arbeit total verändert. Ich habe Antworten auf meine Fragen gefunden. Seither male ich mehr Tiere und Szenen aus dem Paradies. Meine Bilder sind ruhiger und unbeschwerter geworden. Ich male aber auch noch traurige Gesichter, denn es gibt immer noch sehr viel Traurigkeit in dieser Welt.

Welche Zuschauer-Reaktion erhoffen Sie sich von dem Film?
Ich hoffe, dass die Zuschauer nachvollziehen können, was damals passierte. Der Film hat mir selbst die Augen geöffnet. Ich habe damals einen großen Fehler gemacht. Ich hätte die Lügen sofort aufdecken sollen, aber ich war zu schwach, der Druck und die Angst waren zu groß. Ich habe immer noch Schuldgefühle, aber nun kann ich mir selbst besser verzeihen. Wir sollten daraus lernen, niemals eine Lüge zu erzählen. Ein reines Gewissen ist wichtiger als Geld und Sicherheit. Hoffentlich kann ich andere Frauen darin bestärken, die Wahrheit zu sagen und auf ihr Recht zu pochen.

ZUR PERSON: Margaret Keane, Jahrgang 1927, ist Künstlerin und wohnt in Kalifornien, in der Nähe von San Francisco. Ihr Markenzeichen sind Porträts mit riesigen Augen. In den 1960er Jahren fanden die Bilder reißenden Absatz. Ihr Mann Walter Keane, der die Werke vermarktete, gab sich als Urheber aus. Erst Jahre später, nach ihrer Scheidung, flog der riesige Kunstskandal auf.