James Turrell

"Die Macht der Kunst ist begrenzt"

Nach und nach verschwinden die Medienvertreter in den 700 Quadratmeter großen Lichtraum, ehrfürchtigen Schrittes, als würde hier ein religiöses Ritual vollzogen. Manche halten kleine Digitalkameras in das wechselnde LED-Farblicht, mit dem die weiße Halle geflutet ist. Die Fotoapparate scheitern an der diffusen Helligkeit. Als würde man mit Taschenmessern gegen Ungeheuer kämpfen. Das Kunstmuseum Wolfsburg ist am Tag der Pressevorbesichtigung gut gefüllt, und es fehlt die Ruhe, die man dieser Installation wahrscheinlich schenken müsste. Ihr Erschaffer, der 66-jährige Lichtkünstler James Turrell, erträgt den Trubel um ihn und sein neues Werk "Bridget's Bardot" - seine bislang größte begehbare Lichtinstallation in einem Innenraum - mit konzentriertem Gleichmut. Auf dem Weg zum Interview kommt man an Modellen, Skizzen und Fotografien vorbei, die den Ausbau des Roden Crater, einem 150 Meter hohen erloschenen Vulkan, dokumentieren.

 

Herr Turrell, seit 1974 arbeiten Sie in der Wüste von Arizona daran, einen Krater in ein Himmelsobservatorium zu verwandeln. Wann werden Sie endlich fertig damit?
Ich weiß es nicht. Wir wollten es zu meiner Retrospektive eröffnen, die 2012 im New Yorker Guggenheim-Museum beginnt. In der Finanzkrise sind uns aber ein paar Mäzene abgesprungen. Nun soll es im November mit den Bauarbeiten weitergehen. Ich habe so viele falsche Aussagen darüber gemacht, wann der Krater fertig sein wird, ich halte mich jetzt lieber zurück (lacht).
 
Als ewig unvollendetes Werk bekommt Ihr Roden-Crater-Projekt eine metaphysische Dimension ...
Die war nicht geplant. Aber es scheint, dass die sich eingeschlichen hat.
 
Das Schöne ist, dass der Ort einerseits an sakrale Räume erinnert, andererseits aber eine enorme Ingenieursleistung dazugehört, das Observatorium nach dem Himmel auszurichten. Ist diese Spannung zwischen Entgrenzung und Berechnung beabsichtigt?
Na ja, wir sind komplexe Individuen heutzutage, die eine ganze Menge Wissen angehäuft haben. Wie man ein iPod oder ein Computer bedient etwa. Gleichzeitig haben wir uns immer mehr von unseren Gefühlen distanziert. Die Arbeit, die ich mache, richtet sich eher an Gefühle. Dafür benutze ich jede technische Unterstützung, die ich bekommen kann. Meine Kunst wendet sich jedoch nicht an die Wissenschaft, könnte aber einen Wissenschaftler ansprechen, ein Individuum.

Sie reden oft von „innerem Licht“, das die Menschen besäßen. Was meinen Sie damit?
Man hat einen deutlichen Traum, an den man sich klar erinnert, wenn man aufwacht. Woher kommt das Licht, das ich im Traum gesehen habe? Es kommt nicht aus der Erinnerung. Denn wenn Sie jetzt die Augen schließen und sich etwas vorstellen – das ist nicht so einfach. Die meisten Träume sind keine Erinnerung, sondern werden von uns kreativ zusammengesetzt. Wir haben in den Träumen diese klare Sicht mit geschlossenen Augen. Mit dieser Qualität der Träume beschäftigen sich Analytiker und Meditationskurse, bei denen dieses innere Licht und diese Visionen wirklich benutzt werden.

Als Sie in den 60er-, 70er-Jahren mit Ihrer Arbeit begannen, haben viele mit Sinneseindrücken experimentiert – und dabei eine Gesellschaftsveränderung im Blick gehabt. Ist das auch Ihr Ziel? Oder geht es tatsächlich immer allein um das Individuum?
Wir haben alle gedacht, wir würden die Welt verändern (lacht). Aber tatsächlich: Ein paar Veränderungen haben stattgefunden, für die wir auch verantwortlich sind. Doch gestern Abend bin ich hier in Wolfsburg ins Fußballstadion gegangen; es war voll. Während meiner ganzen Ausstellung werden nicht so viele Leute kommen (lacht). Kunst ist für einige Menschen interessant, aber die Macht der Kunst ist begrenzt.

Wieviel psychedelische Kunst steckt denn in Ihren Arbeiten?
Auch meine Kunst hat mit Wahrnehmung zu tun. Ich würde aber sagen, meine Arbeiten sind nicht psychedelisch, nur weil sie die Synapsen herausfordert. Sie ist nicht grell, sondern eher still. Die meisten Leute glauben daher, meine Kunst hat sich aus der Minimal Art entwickelt.
 
Gibt es einen Ort, an dem Sie Ihre eigene Kunst genießen?
Bislang hatte ich so etwas nicht, weil ich alles weggegeben habe. Aber nun hat der Weinproduzent Donald Hess, der viele meiner Arbeiten gesammelt hat, in Argentinien ein Museum eröffnet. Dort habe ich meine Arbeiten alle an einem Ort gesehen. Ich war sehr fasziniert.

In Wolfsburg arbeiten Sie vor allem mit LED-Lampen. Sehen Sie einen Unterschied zwischen künstlichem und natürlichen Licht?
Nein, denn man muss etwas verbrennen oder stimulieren, um Licht zu erzeugen. Wir stellen Licht her, aber wir können doch auch nicht sagen, die Wasserstoffbombe sei künstlich. Wir haben die Sonne beobachtet und die Prozesse dort imitiert. Hergestelltes Licht hat aber immer Konsequenzen. In Europa müssen nun Stromsparlampen benutzt werden, in denen Quecksilber verarbeitet ist, und das landet mit dem Müll in der Landschaft. Keine gute Idee. Das Beste wäre, man benutzt die alten Birnen weiter, aber anstatt 100 Watt wählt man nun lieber 40 Watt. Man könnte sich an das dunklere Licht gewöhnen. Nur: Die alten Birnen müssten länger halten. Ich besitze Glühbirnen, die noch von Thomas Edison persönlich hergestellt wurden.
 
"James Turrell. The Wolfsburg Project", 24. Oktober bis 5. April 2010 im Kunstmuseum Wolfsburg. Mehr unter www.kunstmuseum-wolfsburg.de