Raf Simons bei Dior

Eine Mikro-Ära der Modewelt

Raf Simons war nur dreieinhalb Jahre Kreativchef bei Dior - und hat das Modehaus doch nachhaltig geprägt. Ein opulenter Bildband führt nun die besten Entwürfe des Designers zusammen 

Es ist eine kleine Spitze, dass ganz hinten im Buch Raf Simons' Vita aufgelistet wird und mit dem Jahr 2015 endet. Denn auch nach seinem überraschenden Rücktritt als Chefdesigner für die Damenkollektionen Prêt-à-porter und Haute Couture des Modehauses Dior lebt der Belgier ja noch weiter.

Nur dreieinhalb Jahre verbrachte der heute 55-Jährige bei dem französischen Label, das mittlerweile nicht mehr ganz so feingeistig daherkommt, und von dieser Zeit mit Simons gefeierten Entwürfen, handelt ein neuer opulente Fotoband. Auf über 340 Seiten werden seine besten Haute-Couture-Entwürfe gezeigt

Die Ära Simons, könnte man gemeinerweise sagen, beruht ja vor allem auf dem Ausraster von Vorgänger John Galliano. Hätte der nicht 2011 ein Paar in seinem Stammcafe in Paris beleidigt und sich dabei filmen lassen, hätte der nicht seinen Job verloren und hätte nicht ersetzt werden müssen.

Sozialisiert mit Kraftwerk und Joy Division

Simons – von Jil Sander kommend – brachte die damals etwas schwächelnde Marke wieder auf Vordermann. Die Verkäufe stiegen deutlich, und das nicht nur, weil er Sängerin Rihanna oder Schauspielerin Jennifer Lawrence als Testimonials holte, sondern auch, weil er Haute Couture modernisierte. Sein erster Look 2012 ist eine Neuinterpretation von Bar Jacket, die Christian Dior designte, die er mit einer geraden Hose kombinierte. Schlank, architektonisch anmutend, minimal. Und als Bruch waren die Wände, in denen er seine erste Kollektion zeigte, komplett mit Blumen bedeckt.

Raf Simons wurde 1968 in Belgien geboren, in einem kleinen Dorf ging er zur Katholischen Schule, ließ sich von Kraftwerk und Joy Division sozialisieren und kam durch das Fernsehen mit Kunst und Mode in Berührung. Er ist Popkultur-geprägt. Daran erinnert der kanadische Modejournalist Tim Blanks, der die Texte zum Buch geschrieben hat, auf den ersten Seiten.

Simons wollte zunächst Medizin oder Jura studieren, wählte dann aber doch Industriedesign und entwarf Möbel. Doch beschreibt er eine Reise nach Paris als einschneidend. Dort sah er 1990 eine Modenschau von Martin Margiela: im Nordosten von Paris, auf einem Spielplatz in einem Viertel, wo hauptsächlich Schwarzen Menschen wohnen, der Runway und die erste Reihe erobert von den Kids. 1995 debütierte er mit seinem eigenen nach ihm benannten Label. 

Von minimal bis verspielt

Simons, der sich selbst nicht als Minimalist sieht, machte für Dior einerseits recht minimale Entwürfe, mit einem 50s-Vibe, der sexy und femininer war. Im Buch zu sehen sind aber auch seine verspielten und übertriebenen Blumenstickereien – Christian Dior selbst war großer Blumenfreund – oder seine fantastischen Feder-Kleider.

Für eine Herbst-Winter-Kollektion ließ er sich von einem seiner liebsten Künstler, Sterling Ruby, zu einem Seidenstoff inspirieren, der dann wie gespraytes Batikmuster wirkte. Daneben Mäntel und Jacken, die an die Strenge und Enge der Kriegsjahre erinnern. 

2013 entstand das berühmte Abendkleid, das so wirkt als würde der Rock einen Rock tragen. 2014 erinnerten seine Entwürfe an Marie Antoinette, und 2015 war es wieder ganz schön blumig.

Buch für Sammlerinnen und Kenner

Minikleid über der Hose, Sanduhr-Silhouetten, krasse Farb-Kombis, Texturen und Lagen, Single-Ohrringe, Color-Blocking, Schals, Sneaker in der Haute Couture – all das zählt zu Simons' Highlights bei Dior. All das wunderbar fotografiert in diesem Buch, das mit seinem Preis von 195 Euro doch eher etwas für Sammlerinnen und Modekenner ist.

2015 hörte Raf Simons überraschend bei Dior auf. Aus persönlichen Gründen, wie er sagte. Er klagte über Druck in der Modebranche, kümmerte sich um Calvin Klein und seine eigene Marke, bis er sie 2022 dicht machte. Heute ist Raf Simons neben Miuccia Prada Co-Kreativchef für Prada - laut Lyst-Index die beliebteste Mode-Marke der Welt.