Künstler Ali Banisadr im Interview

"Ein Maler ist heutzutage so etwas wie ein Dinosaurier"

Ali Banisadr bringt in seinen Bildern Malereigeschichte und Gegenwart zusammen. Zurzeit sind neue Arbeiten des New Yorker Künstlers in Berlin zu sehen. Ein Gespräch über die Klänge von Farben und die Faszination 500 Jahre alter Wimmelbilder

Ali Banisadr, wenn ich Ihre Gemälde betrachte, fühle ich mich, als würde ich in die Wolken schauen: Manchmal glaube ich, eine Figur zu erkennen - aber wenn ich das nächste Mal hinschaue, sehe ich nichts als abstrakte Formen. Ist das Absicht?
Mir geht es darum, das Unbegreifliche darzustellen. Deshalb changieren meine Arbeiten zwischen den Kategorien "abstrakt" und "figürlich". Wenn ich mit einem Gemälde beginne, sind da zuerst abstrakte Pinselstriche. Und dann fange ich an, darin Figuren zu sehen und hunderte Möglichkeiten, wie ich sie gestalten könnte. Die Herausforderung ist dann, zu entscheiden, wie detailliert ich meine Vorstellungen mit dem Pinsel ausgestalte. Manchmal ist es spannender, etwas nur anzudeuten.

2010 hat die Galerie Thaddeus Ropac in Paris erstmals Bilder von Ihnen in einer Solo-Schau gezeigt. Jetzt präsentieren Sie Ihre neuesten Arbeiten. Was ist anders an diesen Gemälden im Vergleich zu Ihrem bisherigen Werk?
Die Räumlichkeit meiner Bilder hat sich verändert. Früher war die Vogelperspektive typisch für mich. Ich habe Wimmelbilder gemalt, mit ganz kleinen Figuren darin. Jetzt gestalte ich den Raum eher wie eine Theaterbühne, mit der sich die Betrachter auf Augenhöhe befinden. Auf dem unteren Bildrand stehen die Figuren, die mittlerweile viel größer sind als in meinen alten Arbeiten. Dadurch wird der Betrachter stärker einbezogen in das Geschehen im Bild – er wird Teil des Spiels, das die Figuren spielen.

Im Gemälde "The Game of Taming" ist mir eine Figur aufgefallen, die einen vogelartigen Kopf hat und einen Pinsel in der Hand hält. Haben Ihre Bilder eine Meta-Ebene, die uns etwas über Ihr Verständnis von Malerei erzählt?
Ja, durchaus und diese Figur ist mein Alter Ego. Der Kopf sieht aus wie bei einem Flugsaurier. Ein Maler heutzutage ist so etwas wie ein Dinosaurier. Ich male in Öl auf Leinwand, das hat man schon vor Jahrhunderten so gemacht. Und trotzdem geht es mir auch immer um die Gegenwart: Ich versuche in meinen Bildern, davon zu erzählen, was gerade passiert. In "Homo Deus" geht es zum Beispiel um die Frage, wohin die immer weiter fortschreitende Technologie uns Menschen noch führen wird.

Das erinnert mich daran, dass es in mehreren Ihrer Bilder um den Ikarus-Mythos geht. Wollen Sie die Menschheit davor warnen, zu hoch zu fliegen?
Ich stelle das Fortschrittsdenken in Frage und will zum Nachdenken anregen: Wohin bewegen wir uns? Was wollen wir eigentlich erreichen? Ich habe das Gefühl, dass Menschen, vor allem Männer, zerstörerisch sind. Wie lange können wir noch so weitermachen wie bisher, ohne dass unsere Welt zusammenbricht? Sind wir gerade dabei, einen neuen Ikarus zu bauen, dieses Mal vielleicht mit künstlicher Intelligenz? Darum geht es mir zum Beispiel in dem Gemälde "The Building of Icarus".

Man sieht viel Bewegung in Ihren neuen Bildern: als würde ein Sturm, etwas Unsichtbares, alles aufwirbeln, von unten nach oben bringen. 
Ich würde es als eine Transformation beschreiben: Von der unteren Bildhälfte zum oberen Drittel verwandeln sich die Formen und Figuren - in etwas Leichteres, Helleres. Es gibt Hoffnung. Ich mag solche Übergangsmomente. Ich versuche am liebsten das einzufangen, was sich nicht einfangen lässt.

Sie sind Synästhet, Farben korrespondieren für Sie mit Klängen. Wie wirkt sich das auf Ihre Malweise aus?
Beim Malen ist es für mich das wichtigste, dem entstehenden Bild zuzuhören, um herauszufinden, was es will. Wenn ich zum Beispiel mit einem Blauton auf der weißen Leinwand beginne, höre ich die Kälte, ein Knirschen, wie wenn man auf Schnee tritt. Und das will ausbalanciert werden – mit kleinen Tupfern Pink zum Beispiel. Man kann es sich vorstellen wie bei einem Orchester: Da ist auch Harmonie das Ziel, die Balance zwischen den unterschiedlichen Rhythmen und Klängen. Wenn die erreicht ist, wird das Bild ruhig für mich, es hört auf, nach mehr Farbe und Formen zu rufen.

Ihre Gemälde werden oft mit historischen Vorbildern verglichen - zum Beispiel mit Wimmelbildern von Hieronymus Bosch oder Arbeiten von Pieter Brueghel dem Älteren. Wie wichtig ist die Kunstgeschichte für Ihre Arbeit?
Sehr wichtig. Denn ich finde, man muss die Wurzeln dessen kennen, was man tut und sich fragen, was man selbst beiträgt zur Geschichte seiner Disziplin. Malerei gibt es seit den Anfängen der Menschheit. Wie führe ich dieses Erbe weiter? Gibt es in der Malerei Dinge, die noch nicht ausprobiert wurden? Mir liegt die Idee der Avantgarde fern, alles abzulehnen, was vor mir entstanden ist und zu sagen: Alles, was ich jetzt mache, ist neu und einzigartig. Ich glaube nicht, dass es so etwas noch gibt.

Auch der Titel Ihrer neuen Werkreihe "The World Upside Down" hat historische Bezüge: "Die verkehrte Welt" ist der Beiname eines Gemäldes von Pieter Brueghel, das in Berlin in der Gemäldegalerie hängt. Kein Zufall, oder?
Dieses Bild hat mich auf den Titel zu meiner Ausstellung gebracht. Ich liebe Brueghels skurrile Idee, mehr als hundert Sprichwörter und Sinnbilder ganz wortwörtlich in diesem Wimmelbild darzustellen. Ich kann in der Berliner Gemäldegalerie Stunden davor verbringen. Brueghel und Bosch haben den Menschen wirklich verstanden – sie halten uns den Spiegel vor in ihren absurden Bildern, und ihre Botschaft ist auch Jahrhunderte später noch klar verständlich. So eine Universalität und Zeitlosigkeit will ich auch in meiner Malerei erreichen.