Fondation Hartung-Bergman in Antibes

Eine langersehnte Eröffnung

Die Malerin Anna-Eva Bergman und der Maler Hans Hartung sind in Frankreich etwas in Vergessenheit geraten. Eine Stiftung will das ändern und öffnet nun nach einer langen Sanierung die Villa des Ehepaars im südfranzösischen Antibes

Eine flachdachige, schachtelförmige weiße Villa, ein Swimmingpool und blauer Himmel. Ein bisschen fühlt es sich an, als befände man sich in einem Gemälde von David Hockney. Die Villa des Künstlerehepaars Anna-Eva Bergman und Hans Hartung in Antibes schafft es, durch ihren Minimalismus beeindruckend und intim zugleich zu wirken. Die großen Fenster des Privathauses geben den Blick auf den Garten und den kargen Patio mit Swimmingpool frei. Umgeben ist die Villa von alten Olivenbäumen. Ein Idyll, in dem die Künstler von 1973 bis zu ihrem Tod (Bergman 1987, Hartung 1989) lebten und arbeiteten.

1994 gingen die Gebäude an die Fondation Hartung-Bergman über. Sie wurde zum Erhalt des Werks beider Künstler gegründet. Die Stiftung verfügt nicht nur über den größten Bestand an Originalwerken von Hans Hartung und Anna-Eva Bergman, sondern ebenso über ein bedeutendes Archiv in Form von Werkkatalogen, Skizzen, Fotografien und Notizbüchern, sowie der beachtlichen Privatbibliothek der Künstler. Bisher war es jedoch nur Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern oder auf Anfrage auch kleinen Gruppen von Privatpersonen gewährt, diesen Schatz sowie die Original-Ateliers der Künstler in Augenschein zu nehmen.

Als Thomas Schlesser 2014 die Leitung der Fondation übernahm, war sein Ziel, sie mit so wenig Veränderung wie möglich fürs Publikum zu öffnen und sowohl Hans Hartung als auch Anna-Eva Bergman aus der Versenkung zu holen, in der sie zu diesem Zeitpunkt verschwunden waren: Hans Hartung war zwar in Deutschland durch die Galerie Fahnemann in Berlin weiter präsent, aber in Frankreich verhielt sich die Situation anders: "Zu Beginn der Jahrtausendwende haftete Hartung in Frankreich das Etikett an, er sei old school, ein Vertreter der École de Paris aus den 50er-Jahren", sagt Schlesser. "Bei französischen Museen, Kunsthistorikern oder sogar Sammlern galt er als verstaubt. Und Anna-Eva Bergman war zu diesem Zeitpunkt kaum jemandem überhaupt ein Begriff. Mir ging es darum, den Blick auf beide Künstler zu erneuern. Daher habe ich zunächst eine neue, jüngere Generation von Kunsthistorikern und Kritikern eingeladen, um ihnen die Werke von Hartung und Bergman zu zeigen. Die Reaktion war enorm, sie waren begeistert! Als sie wieder nach Hause fuhren, waren sie überzeugt, zwei grosse Künstler wieder entdeckt zu haben, die durch die moderne Kunstgeschichte ungerechter Weise in Vergessenheit geraten waren."

Die Entdeckung Bergmans kommt einer Offenbarung gleich

Dieser neue Blick war Teil einer groß angelegten Revivalstrategie, deren vorläufiges I-Tüpfelchen die Publikumsöffnung der Fondation mit der Ausstellung "Les archives de la création" Mitte Mai darstellt. Um überhaupt Besucherinnen und Besucher empfangen zu können, musste die Fondation erstmal groß angelegte Bauarbeiten durchführen. Die privaten Räum der Villa sind nicht zugänglich, aber dafür finden sich die wichtigsten Lebensstationen der Künstler als Wandtext in dem neuen Gebäude. Der schlichte turmähnliche Bau von Christiano Isnardi fügt sich nahtlos in die Ursprungsarchitektur ein und dient als erste Station auf dem Rundgang. Anschließend geht es durch den Olivenhain mit den teilweise zweihundert Jahre alten Bäumen zum Herzstück der Fondation: die ehemaligen Ateliers der Künstler, die teilweise zu Ausstellungsräumen umfunktioniert wurden.

Im ersten Gebäude befinden sich die ehemaligen Arbeitsräume von Anna-Eva Bergman. Die teils mehrere Meter oder nur handgroßen Gemälde im minimalistisch abstrakten Stil bestechen durch ihre ungeheure Leuchtkraft, die etwas Sakrales hat. Von Horizonten erzählen sie, von den Felsen und vom Licht der norwegischen Landschaften, von den Himmelskörpern und dem Universum, deren unnatürlich wirkendes Licht die Künstlerin teilweise durch Blattgold oder -silber erzielte. Die ausgestellten Gemälde legen Zeugnis von Anna-Eva Bergmans Reife und technischer Virtuosität ab.

Vervollständigt wird die Ausstellung durch Archive, Notizbücher, Fotos und Skizzen, die den Weg der jungen norwegischen Illustratorin bis zur bildenden Künstlerin nachvollziehen lassen. Die Entdeckung Bergmans kommt einer Offenbarung gleich. Denn wie so oft stand sie als Frau des erfolgreichen Hartung zu ihren Lebzeiten in seinem Schatten. Auch wenn ihr Werk im Musée d'Art Moderne oder der Galerie de France ausgestellt wurde, blieb ihr Erfolg weit hinter dem Hartungs zurück. Für Thomas Schlesser liegt das aber nicht an Hans Hartung, der seine Frau mit allen Mitteln unterstützte: "Die Themen, die Bergman in ihrem Werk angeht, finden heutzutage eine ganz andere Resonanz als in den 70er- und 80er-Jahren. Fragen der Spiritualität, Betrachtungen der Landschaft, waren damals total out. Es ging in der Kunst um Grenzüberschreitung, um politische Auseinandersetzung. Der fast klösterlich-feierliche Minimalismus von Bergman findet erst jetzt seine Liebhaber, denn heutzutage besteht ein echtes Interesse an Seinsfragen. Des Bezug zwischen Mensch und Kosmos wird in der Kunst weitläufig thematisiert."

Im Heiligtum der Fondation

Der nebenstehende Komplex ist Hartung gewidmet. Anhand selten gezeigter Werke, wie dem berühmten Selbstporträt von 1922, lässt sich der Weg des Künstlers von der Figuration zur Abstraktion nachvollziehen. Schließlich steht man im Heiligtum der Fondation: das vollkommen intakte Atelier, in dem Hartung bis zu seinem Tod arbeitete. Sein Rollstuhl steht vor einem Gemälde, daneben, fein säuberlich geordnet, für ihn angefertigte Pinsel, Bürsten, und die Sprühflasche, mit der er seine großformatigen Bilder direkt auf die Leinwand spritzte. Durch die Boxen tönt Bach, die Wände sind mit mehreren Schichten Farbspritzern bedeckt: Das Atelier wird sie Teil eines Gesamtkunstwerks. Es fühlt sich so authentisch an, als würde Hartung gleich selbst erscheinen, um dem Gemälde auf der Leinwand noch schnell den letzten Schliff zu verleihen. Nirgends kann man dem Schaffensprozess von Hartung so nahe kommen, wie in diesem Raum, in dem absolut alles von der ungebrochenen Inspiration des Künstlers zeugt.

Direkt im Anschluss an Hartungs Atelier hat die Fondation für die Ausstellung eine Art Schrein installiert. Es wirkt auf den ersten Blick wie ein etwas wirres Kuriositätenkabinett: eine Keramik von Picasso, ein Plüschbär, Bücher, kleine Inuit-Statuen, Dekorationsobjekte und … eine Beinprothese. Sie gehörte Hartung und erinnert daran, welchen schmerzhaften Verluste der Künstler durch den Krieg verkraften und für seine Kunst immer wieder überwinden musste. Hier geht es um Intimes, um die ganz persönlichen Momente, die nicht erklärt werden, sondern als Stimmungsbilder, ja fast schon als Metapher wirken sollen.

Und so verhält es letztlich auch mit der Architektur: Hartung persönlich hat die Baupläne sowohl für die Villa als auch die Ateliers entworfen. Vor allem für die Arbeitsräume hatte der Künstler hunderte Male die Pläne geändert, Fenster und Mauern versetzt, die Decken in die Höhe geschoben. Die Architektur der Gebäude ist für Hartung und Bergman eine Reminiszenz an ihre frühen Ehezeit, die zu Dauerflitterwochen verklärten zwei Jahre, die das Paar Anfang der 30er-Jahre im Fischerdorf Fornells auf Menorca verbrachte. Bereits damals hatten sich die jungen Eheleute ein Haus auf dem Felsen gebaut: schlichte weiße Würfel mit in die Breite gezogenen Fenstern. Inspiriert hatten sie damals die einfachen spanischen Fischerhäuser mit ihren quadratischen Volumen. Es war purer Minimalismus und wilde Romantik. Aber das Idyll währte nur kurz: Hartung und Bergman wurden von den spanischen Behörden der Spionage verdächtigt und mussten Fornells verlassen. Das Haus wurde im spanischen Bürgerkrieg zerstört. 1937 trennte Bergman sich von Hartung, sie war auf der Suche nach Unabhängigkeit. Und schon zwei Jahre später brach der Zweite Weltkrieg aus, während dem sich Hans Hartung in der Fremdenlegion engagierte - und sein Bein verlor.

Flitterwochen ein ganzes Leben lang

Währenddessen war Anna-Eva Bergman in ihre norwegische Heimat zurückgekehrt, hatte wieder geheiratet und begonnen, sich der Malerei zuzuwenden. Doch als der Krieg vorbei war und Europa in Schutt und Asche lag, fanden die Künstlerin und der Künstler wieder zueinander und knüpften da wieder an, wo sie aufgehört hatten. Dieses Mal sollten die Flitterwochen den Rest des Lebens dauern, und es ist ein Leben wie aus dem Roman. "Ich habe das Gefühl, sie sind als wohlwollende Geister um uns herum, man spürt förmlich ihre Präsenz", erklärt Thomas Schlesser. "Ihre Hinterlassenschaft reduziert sich nicht nur auf ihr Werk: Mit ihrem eigenen Leben haben sie beide Zeichen gesetzt. Sie hatten die Stärke, die Dramen ihres Lebens zu überwinden, und in ein kraftvolles ästhetisches Werk umzuwandeln. Ich wünsche mir, dass die Besucher dieses Gefühl mit nach Hause nehmen."

Die Revival-Strategie ist damit aber noch nicht abgeschlossen. Jetzt ist es an Anna-Eva Bergman, aus ihrem Dornröschenschlaf aufzuwachen. Das soll nun mit Hilfe der Galerie Perrotin gelingen. Im September widmet die französische Galerie der Künstlerin eine große Einzelausstellung in ihrer New Yorker Niederlassung, begleitet von der Veröffentlichung einer Biografie der Künstlerin, verfasst vom Fondations-Leiter Thomas Schlesser. Im März 2023 folgt dann eine Retrospektive im Pariser Musée d'Art Moderne. "Und dann", so hofft Schlesser, "wird Kunstgeschichte neu geschrieben."