Warum Künstler Marine Le Pen einen Brief geschrieben haben

Das vergiftete Arkadien der Rechten

Am Wochenende finden in Frankreich die Regionalwahlen statt und der rechtsextreme Front National liegt in zwei Bezirken vorn. Marine Le Pens rhetorische Aufrüstung macht auch vor der Kulturpolitik nicht halt

Kaum zwei Wochen nach den Anschlägen von Paris hat Marine Le Pen, Chefin der rechtsextremen Partei Front National (FN), einen offenen Brief geschrieben: "Aux artistes", an die Künstler. Darin steht, was sie für die Kulturpolitik plant, wenn sie die Regionalwahlen am 6. Dezember gewinnt: Unterstützung und Anerkennung für Künstler. Das klingt wie ein ungeschickter Liebesbrief, findet das Magazin "Les Inrockuptibles", ist aber vor allem Propaganda für die Regionalwahl.

Le Pen kandidiert für den Bezirk Nord-Pas-de-Calais-Picardie. Hinter den wohlwollenden Worten steckt eine konkrete Maßnahme zur Kulturförderung. Es soll sogenannte pépinières — Baumschulen — für Künstler geben. Diese "Leuchtturmprojekte" stellt sich Le Pen so vor: "Die Stätten werden als Orte angenehmen Lebens, der Arbeit und des Austauschs organisiert sein." Die Künstler sollen gratis wohnen und arbeiten dürfen, ganz ungestört von finanziellen Belangen. Die Betreuung reicht so weit, dass sie mit dem Kunstbetrieb nicht in Berührung kommen: Der Staat soll die Pressearbeit und die Organisation von Ausstellungen, beispielsweise im Grand Palais, übernehmen.

Damit wendet sich Le Pen gegen die regionale Kulturförderung, die es in Frankreich seit den frühen 80ern gibt: die Fonds régionaux d’art contemporain, kurz FRAC. Es handelte sich dabei um einen Vorstoß der Regierung Mitterand gegen die kulturelle Verödung der Provinz. Aus der Pariser Perspektive war schon damals ganz Frankreich Peripherie. Und so bekamen die Provinzhauptstädte Museen für zeitgenössische Kunst, deren Aufgabe es ist, Werke von Künstlern aus der Region für die eigene Sammlung anzukaufen.

Le Pen unterstellt den regionalen Kulturfonds nun, zu kommerziell ausgerichtet zu sein, und will mit ihren pépinières den Kunstmarkt ganz umgehen. In diesem Arkadien sollen also Künstler jenseits des bösen Kapitals heranwachsen und gezüchtet werden, um später in die großen Paläste in der Hauptstadt verpflanzt werden zu können. Die FN-Vorsitzende benutzt  antikapitalistische Rhetorik und etabliert im gleichen Atemzug ein rechtsextremes Kulturprogramm - eine Strategie so alt wie gefährlich.

Der Protest der Künstler ließ nicht lange auf sich warten. Ein collectif des artistes verfasste auf Facebook eine Antwort und schickte diese an alle großen Tageszeitungen des Landes. Die Künstler wehren sich gegen die Vereinnahmung durch den Front National: "Nur die Intriganten, Verräter und die Naiven glauben auch nur einen Moment, dass die Freiheit der Kunst Ihrer Partei etwas bedeutet." Die Liste der Unterzeichnenden ist lang und wird immer länger. Da stehen zum Beispiel die Namen von Daniel Buren, Christian Boltanski, oder Valérie Jouve. 

Natürlich hat Le Pens Kulturpolitik mit den bevorstehenden Regionalwahlen zu tun. Die Vorgeschichte ist aber länger. Le Pens Nichte, die Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen kandidiert für die Region Provence Alpes/Côte d’Azure, im Süden Frankreichs. Und sie kündigte Anfang September in Marseille an, dass sie die Förderung für zeitgenössische Kunst ganz streichen möchte, wenn sie die Wahl gewinnt. "Zehn Hipster", sagte sie in Marseille, "die so tun, als wären sie von zwei roten Punkten auf einer Leinwand begeistert, weil der Markt dem Künstler irgendeinen Wert zuschreibt: Das passt nicht in mein Konzept einer Kulturpolitik, die diesen Namen verdient." Und: "Ihnen ist gar nicht klar, dass sie mit ihren Steuern den Wahn von durch und durch gestörten Geistern finanzieren." Das sei das Ergebnis einer sozialistischen Politik, weit weg von Volkskultur und nationaler Identität.

Diese Verachtung für zeitgenössische Kunst versteckt ihre enge Verwandschaft mit der faschistischen Vorstellung einer "entarteten Kunst" nicht. Auch auf diese Art der Propaganda reagierten die Künstler schnell, mit der Initiative #vavoterpourlaculture.

 

Der offene Brief von Marions Tante - Marine Le Pen - geht in eine ähnliche Richtung: Sie möchte die Regionalfonds abschaffen und nur künstlerische Produktion zulassen, die zur Ideologie der Rechten passt. Dass Le Pen ein Zehntel der Sammlungen des Regionalfonds verkaufen möchte, steht zwar nicht in dem Brief, aber in ihrem Wahlprogramm. Das passt zur anti-intellektuellen Ausrichtung des FN.  Denn Sébastien Chenu, Kultursekretär des FN für den Norden Frankreichs, beklagt, dass ohnehin 70 Prozent der Museumsbesucher Akademiker wären. Diese Zahl ist zwar erfunden, wie Richard Leydier, Direktor FRAC in Dunkerque feststellt. Solche Feinheiten sind für die französischen Rechten aber nicht wichtig. In ihrer Kulturpolitik geben vor allem ein dumpf empfundenes Misstrauen gegenüber Kunst und allem Fremden den Ton an.

Der Vorwurf der Kulturschaffenden ist, dass Le Pen die Orientierungslosigkeit nach den Terroranschlägen in Paris zu ihren Gunsten nutzt. Nicht ohne Erfolg, wie es scheint. Denn der FN liegt in den Wahlprognosen erstmals in zwei Regionen an der Spitze. Das sollte ein Weckruf sein. Denn erst wird unter den Rechten die Freiheit der Kunst abgeschafft, dann alle anderen Freiheiten.