Elliot Page auf dem "Time"-Cover

"Ich bin voll und ganz, was ich bin"

Elliott Page auf dem Cover des "Times"-Magazin

Elliott Page auf dem Cover des "Times"-Magazin

Der Schauspieler Elliot Page wurde für die aktuellen Ausgabe als erster Transmann für das Cover des "Time"-Magazin fotografiert. Das Bild stellt eine Zäsur dar, aber keinen Triumph. Eine Analyse

Dass Geschlechterrollenbilder hinterfragt werden, ist nichts Neues. Aber nun, da immer mehr Trans-Personen durch ihr öffentliches Coming-out buchstäblich sichtbarer werden, ergeben sich völlig neue Möglichkeiten des Spiels mit Bildern von Geschlecht. Das zeigt auch das "Times"-Cover mit Schauspieler Elliot Page, der sich vor wenigen Monaten als Trans-Mann outete.

Der Schauspieler, der – damals noch im weiblichen Körper – in der Rolle der schwangeren Teenagerin Juno in dem gleichnamigen Film die Herzen des Filmpublikums eroberte, zeigt uns ein Bild von Männlichkeit, das mehrdeutiger nicht sein könnte. Weil es Bilder von Männlichkeit zugleich unterstreicht und konterkariert.

Das Cover zeigt Page bemerkenswert ungestylt, auch wenn wir annehmen dürfen, dass der Look das Ergebnis von intensiven Styling-Überlegungen ist. Er wirkt, als sei er soeben aufgestanden und in eine Alltagsklamotte geschlüpft. Page trägt einen schlichten grauen Pullover und blaue Jeans. Der Pullover erinnert an einfache Jogging-Klamotten, er ist ein Statement, eben weil er so mausgrau ist (Page betont stets, wie sehr er das Styling für Rote Teppiche hasste). Tragisch eigentlich, dass der Verzicht auf Styling und klassisches "Aufbrezeln" Page erst als Trans-Mann möglich wird.

Haben wir es hier mit einem "Männerlook" zu tun? Eigentlich erinnert das Outfit doch eher an einen Teenager oder Jungen. Als Ellen steckte Elliot Page in dem Körper einer zierlichen, kleinen Frau, klar, dass er kein muskelstrotzender Kerl ist. Der Look scheint sich auch darin einem Bild der Männlichkeit anzupassen: Der schmale Körper wirkt jungenhaft und wird dementsprechend gestylt.

Trotzdem springt die Schlichtheit des Looks ins Auge, der von einer Allerwelts-Männlichkeit kündet, ein normaler Mann/Junge von nebenan, vielleicht etwas zurückhaltend. Nun gibt es nicht nur eine Form von Männlichkeit, und Männlichkeit ist immer schon ambivalent besetzt. Es gibt harte, supermaskuline Männlichkeit ebenso wie zarte, nachdenkliche, androgyne Männlichkeit. Bisher sind es vor allem männliche Künstler und Musiker, die das Bild einer nachdenklichen Männlichkeit pflegen. Bis auf Weiteres aber scheint es homosexuellen Männern (und einigen dandyhaften Künstlern) vorbehalten, flamboyante Looks zu adaptieren. "Norm"-Männlichkeit ist noch immer uniformiert. Männermode, so beschreibt es auch Modetheoretikerin Barbara Vinken, dient vor allem dazu, den Träger in seiner individuellen Körperlichkeit verschwinden zu lassen. Genau das tut auch das Bild von Elliott Page.

Dieses Bild könnte sich nicht extremer von dem einer anderen Trans-Person abheben. Gemeint ist Caitlyn Jenner, die auf dem Cover der "Vanity Fair" ihr Coming-out 2015 nach der Transition hatte. Auf dem Cover trägt Jenner eine aufwendige Föhnfrisur und einen Body mit Corsagenoberteil, ihre Arme sind auf dem Rücken verschränkt, ihr Kopf neigt sich zur Seite. Es ist eine flirtende Pose, die Passivität signalisiert. Jenner ist erstaunlich unbekleidet. Das Bild ist offen sexuell aufgeladen. In der Zeitschrift sehen wir Jenner in unterschiedlichen Roben, immer ist die Botschaft klar: Hier zeigt sich eine Trans-Frau als extrem weiblich (gar nicht so unähnlich den Töchtern und Stieftöchtern Jenners, die einen hyperfemininen Look pflegen). Vielen Cis-Frauen, die einen weniger femininen Look pflegen, mag so ein Look eher Unbehagen bereiten. Denn da ist sie wieder, die perfekt gestylte Frau, deren Makeup und Haar tadellos ist. Es ist jedenfalls kein Cover, das Vorstellungen von Weiblichkeit aufweicht.

Caitlyn Jenner 2015 auf dem Cover der "Vanity Fair"

Caitlyn Jenner 2015 auf dem Cover der "Vanity Fair"

Im direkten Cover-Vergleich zeigen sich aber noch weit subtilere Muster der Darstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit, insbesondere in der Art, wie auf die fotografierte Person geblickt wird. Wir sehen Page in einer Ganzkörperaufnahme. Caitlyn Jenner dagegen ist fragmentiert, mit Fokus auf die sekundären Geschlechtsmerkmale; die Kamera wirkt beinahe zudringlich, und die körperliche Geste gleichermaßen schüchtern wie permissiv. Die Kamera adaptiert einen male gaze, Jenner wird durch den Blick durch das Kameraauge zum zweiten Mal zur Frau, diesmal symbolisch.

Die respektvolle Distanz zu Page spricht eine andere Sprache. Tatsächlich nimmt das Kameraauge die übliche Distanz zum Männerkörper ein. Dieser Männerkörper aber adaptiert seinerseits noch nicht "typisch" männliche Muster – er wirkt nicht raumgreifend, weder, was seine Masse, noch seine Positur anbelangt. Keine Spur von "manspreading". Pages Körper ist eingedreht, nimmt dadurch noch weniger Raum ein, zugleich wird die schmale Statur betont, auch das Fehlen der Brust (Page hat eine Mastektomie vornehmen lassen).

Der Bildvergleich zeigt: Die Verstrickungen in Geschlechterrollen werden durch eine Transition nicht einfach aufgehoben; das Individuum muss für sich ausloten, wie stark es den Habitus des jeweiligen Geschlechts adaptiert. Dass aber die Person hinter der Kamera den als weiblich oder männlich gelesenen Körper sogleich anders in den Blick nimmt, ist die viel überraschendere Botschaft der Bilder.

"I’m fully who I am", erklärt Page in der "Times"-Ausgabe. Man kann das übersetzen mit: "Ich bin endlich, wer ich immer schon war." Sprachlich ist die Aussage aber auch offener zu verstehen: "Ich bin voll und ganz, was ich bin." Ein Mann, der nicht alle traditionellen Klischees von Männlichkeit unterstreicht. Eine zurückhaltende Persönlichkeit, unnahbar, und das völlig unabhängig vom Geschlecht.

Das Cover-Bild mag für sich genommen eine Zäsur darstellen, weil es einen Trans-Mann zeigt. Aber das Bild selbst zeigt die Transition nicht als Triumph, als den man das Cover von Caitlyn Jenner lesen konnte. Etwas müde und abgekämpft wirkt Page. Was vielleicht auch nur zeigt: Die Transition ist ein schwieriger Prozess, physisch wie psychisch. Es ist ein realistisches Bild.