Klimaaktivismus in Tiroler Museum

"Etwas abzusperren, ist mir innerlich zuwider"

Während andere Museen derzeit aus Angst vor Angriffen Klimaschutzgruppen fernhalten wollen, holt sie sich das Tiroler Ferdinandeum freiwillig in die eigenen Räume

Immer wieder kleben sich Klimaaktivistinnen und -aktivisten an Bilderrahmen oder bewerfen Bilder mit allerlei Lebensmitteln (ihr Wissen hierzu können Sie in unserem Quiz testen). Die meisten Museen reagierten aus Angst vor Beschädigung ihrer Kunstwerke mit verschärften Sicherheitsmaßnahmen. Nicht so in Innsbruck: Hier lädt man die lokalen Gruppen selbst ein und stellt ihnen gleich einen ganzen Ausstellungsraum zur Verfügung, um ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Wir haben mit dem Interimsgeschäftsführer der Tiroler Landesmuseen, Karl C. Berger, über das Projekt gesprochen.


Herr Berger, Essen darf und soll man in die Ausstellung mitbringen. Heißt das, man kann in der Ausstellung mit Tomatensuppe werfen?

Es sind vier Gruppen, die an der Ausstellung teilnehmen. Und nur eine der Gruppen steht mit dieser Art Aktion in Zusammenhang: "Die Letzte Generation". Die anderen drei lehnen das ab. Entsprechend taucht das Thema nur in einem Bild auf. Die Idee war von Anfang an: Man stellt einen Raum zur Verfügung und begleitet die Gruppen, aber überlässt ihnen die inhaltliche Gestaltung. Die Lebensmittel, die Besucher mitbringen, sind für die Caritas: Im Zentrum des Raumes ist eine Box, wo man sie abgeben kann.

Wie haben die Klimagruppen auf Ihre Anfrage reagiert?

Es war auch für sie selbst wichtig zu erkennen, dass es eben nicht nur um das Transportieren ihrer Ideen im Museum geht, sondern auch um mediale Präsenz. Es war eine sehr ehrliche Kommunikation. Michael Zechmann-Khreis, der letztendlich die Idee zur Ausstellung entwickelt hat, hat dann gesagt, er würde gerne auch einen sozialen Aspekt reinbringen. Deswegen auch das Einbeziehen der Caritas mit dem Spenden von Lebensmittel.

Wie kamen sie beide auf die Idee zur Ausstellung?

Es gab nicht den einen Ausgangspunkt, der uns zu dieser Idee geführt hat, sondern mehrere. Das erste war, dass auf die Aktionen von Klimaaktivisten in Museen immer mit Verboten reagiert worden ist. Das ist eine Sache, die mir und auch meinem Kollegen Michael Zechmann-Khreis prinzipiell zuwider ist.

Das heißt, Sie finden die Kilmaaktionen gut?

Auch wir haben erst mit Ablehnung reagiert, wie alle anderen Museen auch. Es gab eine Mitteilung an die Mitarbeiter bei Kasse und Aufsicht: verstärkte Kontrolle, verstärkte Rundgänge, kontrolliert die Taschen. Ganz befriedigend war das für mich persönlich nicht. Dazu kam ein Schockerlebnis, könnte man fast sagen, als wir eine Ausstellungseröffnung im Museum Ferdinandeum hatten. Während der Eröffnung am Abend sind Jugendliche hereingekommen. Das waren alles kunstinteressierte Leute. Aber die Reaktion – und da nehme ich mich selbst gar nicht aus – war, dass man diese jungen kunst- und kulturinteressierten Personen im Museum mit Argusaugen betrachtet hat. Das ist eine ganz schlimme Reaktion, die wir an uns bemerkten. Wir wollen Jugendliche ins Museum bringen und jetzt sind sie da und werden schief angeguckt.

Wie sind Sie an die Gruppen, die in der Ausstellung vertreten sind, herangetreten?

Das Landesmuseum ist in einem Gebäude aus dem 19. Jahrhundert untergebracht, ein Neo-Renaissance-Bau mit Säulen in Anlehnung an einen griechischen Tempel. Es geht eine Treppe hinauf, und im Sommer ist die Treppe bevölkert von Jugendlichen. Aber keiner von ihnen geht über die Schwelle hinein ins Museum, weil diese Fassade und vielleicht auch die Inhalte, die wir anbieten, unattraktiv sind für diese Jugendlichen. Nun befinden wir uns sehr kurz vor einem großen architektonischen und inhaltlichen Umbau des Museums. Wir sehen hier auch die Möglichkeit, das Museum als gesellschaftspolitisch relevanten Ort in Tirol zu etablieren, sodass wir nicht nur als Tempel wahrgenommen werden – für Kunst, Kultur und Natur – sondern eben als offener Ort.

Sollten Museen Stellung beziehen in der Klimafrage?

Energie und Klima sind keine Themenfelder, die uninteressant sind fürs Museum. Im Gegenteil: Museen denken apriori nachhaltig – sie bewahren. Das sind also museumsimmanente Themen. Aber es besteht auch eine politische Dimension, jedes Museum ist ein politisches Ereignis. Wir haben nun die Kompetenzen abgegeben: In diesem Fall war es so, dass wir die vier Gruppen angesprochen haben – jene vier klimaaktivistische Ortsgruppen, die in Tirol aktiv sind. Der lokale Bezug war uns wichtig als Landesmuseum. Sie haben verstanden, dass wir sie nicht ausnutzen wollen, sondern dass es ein Versuch ist, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und ihnen einen Raum zu geben. Wichtig ist auch die spezielle Situation in Tirol. Der Tourismus und vor allem der Skitourismus spielt hier eine Rolle.

Das Projekt #noclimartchange scheint sich vor allem theoretisch mit Fragen des Klimaschutzes auseinanderzusetzen. Dabei wurden die Angriffe auf Kunstwerke wurden von Ihnen als Ausgangsfrage genannt. Gibt es eine dezidierte Positionierung innerhalb der Ausstellung zu diesen Aktionen?

Viele Museen fühlen sich eigentlich mit den Klimagruppen verbunden. Es gibt die "Museums for Future", wo beispielsweise in Wien sehr viele Museen aktiv sind, auch in Graz. Dort wird die Verbindung zu diesen Themen schon gemacht. Die großen Aktionen in den Museen werden durchaus auch innerhalb der "Letzten Generation" diskutiert. Das ist ja keine homogene Gruppe: der Diskurs, die Diskussion ist sehr aktiv. Ein Ziel in der Ausstellung im Ferdinandeum ist es, durch die mediale Präsenz auf die Themenfelder aufmerksam zu machen – deswegen dann auch die Verbindung mit diesem Bild, das eingangs erwähnt wurde. Das sind vier Gruppen, die Klima als Überthema haben, aber die Positionierungen und die Aktivitäten sind ganz unterschiedlich. Da ist auch notwendig, dass wir mit den lokalen Gruppen arbeiten, weil die trotz aller Vernetzung sehr autonom agieren.

Detailaufnahme einer Wand im Ausstellungsraum zur Aktion #noclimartchange.
Foro: © Maria Kirchner

Detailaufnahme einer Wand im Ausstellungsraum zur Aktion #noclimartchange
 

Wo genau im Museum findet die Ausstellung denn statt? Ist es ein prominenter Ort, oder ist es eine Randausstellung?

Wir nennen diesen Raum den "Curating Room". Früher haben wir dort vor allem auf kleinere aktuelle Sachen reagiert. Er liegt, und das meine ich nicht despektierlich, auf dem Weg zur Garderobe – einem Weg, den viele gehen. Und viel wichtiger: Es ist der einzige Ausstellungsraum im Museum, den man besuchen kann, ohne Eintritt zu bezahlen. Der einzige Open Space, wenn man so will – ein konsumfreier Ort. Mittlerweile besuchen etwa gleich viele Leute diesen Raum, den wir für die Klimaaktivisten bereitgestellt haben, wie ins Museum gehen. Das sind ganz unterschiedlich Leute: solche, die sich informieren möchten, Leute, die neugierig sind, oder welche, die Essen abgeben.

Man könnte die Ausstellung als Abstellgleis verstehen: Als Tobewiese, um die Häuser vor Aktionen zu schützen.

Das ist ein Vorwurf, der uns immer wieder gemacht worden ist. Der Anlass für die Ausstellung war selbstverständlich, dass auch anderswo in Österreich schon solche Aktionen stattgefunden haben. Das aber ändert nichts daran, dass diese Themen auch für uns absolut wichtig sind. Gerade ein Museum, das sich als Landesmuseum bezeichnet, muss Raum geben für solche gesellschaftspolitischen Fragestellungen. Wir wollen die vier Gruppen weder ausnutzen noch als Schutzschild verwenden. Die Grundintention ist wirklich, Themen, die abseits der klassischen Museumsthemen sind, Raum zu geben.

Wie waren die Reaktionen in der Bevölkerung?

Wir haben zum allergrößten Teil positive Reaktionen erfahren – quer durch die Parteien hinweg. Es haben sich aber auch einzelne kritische Stimmen artikuliert. Gestern hat mich ein Herr sehr höflich angesprochen. Der hat gesagt: "Mit solchen Leuten darf man nicht diskutieren. Die sollten auf der Straße kleben bleiben."

Sind das ältere Personen, die das sagen?

Der Herr gestern war tatsächlich älter, aber sehr höflich und kulturinteressiert. Wir haben aber auch ein Schreiben gekriegt, wo wir fast beschimpft worden sind: Was uns einfällt, so eine Ausstellung zu machen. Das war eine relativ junge Person, die allerdings politisch in Innsbruck in einer rechten Splittergruppe tätig ist. Sowas nehme ich zur Kenntnis, würde es aber nicht unbedingt am Alter festmachen. Was allerdings bemerkenswert war, bei dem älteren Herren ging es sehr stark um die Sorge: Dass wir nicht nur das Thema reinnehmen – das wäre noch in Ordnung – aber wir erlauben den Gruppen, Essen hereinzubringen. Und damit haben wir sozusagen das Tabu gebrochen, auch weil man im Museum nicht isst. Diskussion erfordert das Kennenlernen und Kennenlernen bringt vielleicht auch Reibung, aber es kanalisiert auch mögliche Konflikte.

Sie sagen, sie brächten Essen ins Museum. Aber der Raum der Ausstellung liegt auf dem Weg zu den Garderoben. Das heißt, er ist noch vor Sicherheitsschranken und vor der Kasse.

Wir haben kein Drehkreuz oder sonstiges. Etwas abzusperren ist mir innerlich zuwider. Ich weiß, das ist notwendig. Aber wenn wir Kultur vermitteln wollen, dann muss das möglichst unmittelbar sein.

Sonst sind die Kontrollen nicht strenger geworden? Ich musste bei meinen letzten Museumsbesuchen sogar die Bauchtasche abgeben.

Also, wir haben noch keine Bauchtaschenverbote. Und ich sähe es ungern, wenn wir nun mit Verboten agieren würden. Museen sind wunderbare Orte, an denen man sich wohlfühlen soll, wo man vieles erfahren und eine gute Zeit verbringen soll. Das geht nicht, wenn man hier hinkommt und dann mit einem Drehkreuz begrüßt wird oder alles mit Kordeln abgesperrt ist. Das schreckt ab. Aber es sind Sachen, die notwendig sind, auch aus Versicherungsgründen. Ich habe als junger Student selber so ein Erlebnis gehabt: Ich kam mit Lederjacke und langen Haaren ins Museum und wurde seltsam angeschaut –  dabei war ich da, weil ich an der Kultur interessiert war. Sowas ist nicht unser Ziel.

Kommen denn seit der Eröffnung der Ausstellung auch mehr junge Personen ins Museum?

Kurze Antwort: Ja. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Kasse beobachten, dass mittlerweile etwa gleich viele Leute in diesen Raum zu #noclimartchange gehen wie ins Museum selbst. Was ich etwas schade finde ist, dass die Schnittmenge leider noch nicht so groß zu sein scheint. Das heißt, es gibt Leute, die gehen ins Museum und schauen beim Hinausgehen vielleicht den Curating Room hinein. Und es gibt Leute, die hereinkommen, schauen sich die Aktionen von den Klimaaktivisten an, aber gehen doch nicht ins Museum. Es ist, was ich vorhin skizziert habe: diese Schwelle. Wir haben die Schwelle verlagert, aber wir haben sie noch nicht abgebaut.