EU-Logo

Sieg der Sterne

Vor der Europawahl kann man der blau-gelben EU-Flagge nicht entkommen. Aber wer hat den Sternenkreis eigentlich entworfen? Und: Ist das gutes Design? 

Wenn es schlecht gelaufen wäre, würde heute überall in Europa ein recht unförmiges vierblättriges Kleeblatt an Fahnenstangen wehen. Politiker müssten es auf Kapuzenpullovern tragen und Graffiti-Künstler an Wände sprühen.

Vor der Europawahl ist das EU-Logo mit dem Sternenkreis auf blau so omnipräsent, dass man gar nicht mehr daran denkt, dass es auch anders aussehen könnte. Das Design ist mindestens so verlässlich wie der "Tatort" am Sonntagabend und Angela Merkel im Kanzleramt. Aber nachdem 1949 der Europarat gegründet wurde, wurde auch ein Komitee berufen, das ein verbindendes Flaggenmotiv für die neu gegründete Staatengemeinschaft herbeischaffen sollte. In Straßburg gingen die unterschiedlichsten Vorschläge ein - unter anderem 15 grüne Quadrate auf cremefarbenem Grund, ein Tiger umringt von Nationalflaggen und eben auch das schlampig gezeichnete Kleeblatt.

Vorschläge aus der Poststelle 

Ein Mann, der alle Entwürfe sichtete, war der Belgier Paul M. G. Lévy, damals Direktor des Informations- und Pressedienstes im Europarat. Ihm fiel bei vielen Einsendungen eine Vorliebe für Sterne in verschiedenen Konstellationen auf. Unter den Entwürfen war auch der von Arsène Heitz, einem Mitarbeiter in der Poststelle des Europarats. Er schlug einen "Ring aus Sternen, deren Spitzen sich nicht berühren" vor. Paul Lévy finalisierte den Entwurf mit zwölf gelben Sternen auf azurblauem Grund, und dieser wurde 1955 vom europäischen Ministerrat gebilligt. Die Sterne waren dank der US-Flagge schon als identitätsstiftendes Motiv eingeübt, die USA ein Vorbild in Sachen Demokratie. Außerdem erinnert die Anordnung an die Sternenkrone, mit der die Jungfrau Maria oft in der Kunst dargestellt wurde.

Die Zahl zwölf ist ein Kompromiss und hat sich seit über 60 Jahren nie geändert. Für Paul Lévy stand sie für Vollkommenheit (zwölf Sternzeichen, zwölf Apostel, zwölf Hauptgötter auf dem Olymp). Im "Styleguide" des Europarats steht, dass die fünfzackigen Sterne - die einzelne Spitze zeigt nach oben - wie die Ziffern einer Uhr angeordnet sein sollen. Die Farbvorgaben für Reproduktionen sind "Pantone Reflex Blue" und "Pantone Yellow".

Das Logo kam so gut an, dass es seit den späten 80er-Jahren für alle EU-Institutionen benutzt wird. Aber ist das Sternenbanner jetzt eigentlich gutes Design? Der Designer und ehemalige Professor für visuelle Kommunikation, Gunter Rambow, muss zuerst kurz überlegen. Im Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe hängt derzeit ein Plakat von ihm zur bevorstehenden Europawahl. Darauf ist eine EU-Flagge zu sehen, unter der sich die Umrisse eines Hakenkreuzes abzeichnen. "Wählt die Schatten weg", steht auf dem Poster.

Spricht es nicht für das Design, dass Rambow es ganz selbstverständlich benutzt hat, um den Zusammenhalt der EU gegen rechte Strömungen zu symbolisieren? "Das stimmt", sagt dieser schließlich. "Das Logo hat Kraft. Vielleicht nicht ganz so viel wie die amerikanischen 'Stars and Stripes', aber es ist klar und vermittelt Einigkeit." Für den Designer und Fotografen ist eine wiedererkennbare visuelle Identität essenziell für eine starke Staatengemeinschaft. "Genauso wichtig wie ein gemeinsamer Finanzminister", sagt Gunter Rambow. Wenn es nach ihm ginge, bräuchte Europa noch viel mehr Europa. 

Die Sterne überstrahlen alles 

In den vergangenen Jahren haben sich Künstler und Designer immer mal wieder an einem neuen Europa-Design versucht. So hat beispielsweise der niederländische Architekt Rem Kohlhaas Anfang 2001 ein Barcode-artiges Logo mit Streifen in den Flaggenfarben aller Mitgliedsstaaten vorgeschlagen. Das Ergebnis ist recht verwirrend und recht hübsch - durchgesetzt hat es sich bis jetzt allerdings nicht. Die Sterne überstrahlen alles.

Die jüngste Verfremdung der EU-Flagge lässt sich überraschenderweise im neuen Rammstein-Video zur Single "Radio" entdecken. Am Ende des Schwarz-Weiß-Clips verlassen die Musiker die monumentale Eingangshalle der Messe Berlin. Plötzlich werden die Bilder farbig, und die EU-Flaggen an den Fahnenstangen sind rot. Ein unvermitteltes politisches Bekenntnis zum links schlagenden Herz? Oder vielleicht einfach ein bisschen Abwechslung in Zeiten des Pantone Reflex Blue und Pantone Yellow.