Künstler Fabian Knecht

"Ich kämpfe gegen die Kriegsmüdigkeit"

Fabian Knecht kennt die Ukraine seit über 20 Jahren und engagiert sich seit dem russischen Überfall auf das Land dort auch humanitär. Jetzt holt er mit seiner Kunst den Krieg nach Wolfsburg


Fabian Knecht, es ist immer riskant, wenn Künstler sich mit Krieg oder Katastrophen beschäftigen. Hatten Sie Zweifel, sich künstlerisch mit dem Ukraine-Krieg auseinanderzusetzen?

Natürlich hatte ich am Anfang Zweifel und Bedenken, mich künstlerisch mit dem Ukraine-Krieg auseinanderzusetzen. Auch hatte ich ursprünglich gar nicht vor, Kunst im Zusammenhang mit dem Krieg zu machen. Die Erfahrungen aber, die ich während meiner humanitären Einsätze in der Ukraine gesammelt habe, sind so existenziell und einschneidend, dass es mir unmöglich erschien, einfach so weiterzuarbeiten, als ob ich diese Erfahrungen nicht gemacht hätte. Dazu helfen alle meine Werke, die im Kontext des Ukraine-Kriegs entstanden sind und entstehen werden, Projekte in der Ukraine zu finanzieren.

Welche?

Von dem Erlös meiner Arbeiten und Spendengeldern, welche ich über meine Netzwerke sammle, organisiere und kaufe ich Ausrüstungsgegenstände: von kugelsicheren Westen, Drohnen und Pickups über medizinisches Material bis hin zu Generatoren. Meistens liefere ich dieses Material persönlich aus. Außerdem wird ein Teil des Geldes dafür verwendet, um Dächer von zerstörten Privathäusern in der Region um Kiew und Charkiw wieder aufzubauen.

Seit wann beschäftigen Sie sich mit der Ukraine?

Insgesamt war ich an die 30 Mal dort, davon 13 Mal seit dem vollständigen Kriegsbeginn 2022. Auf der anderen Seite kenne ich aber auch Russland sehr gut. Ich habe zwei Monate in Wladiwostok gelebt, habe das Land drei Mal mit der transsibirischen Eisenbahn durchquert und hatte Ausstellungen in Sankt Petersburg und Moskau. Das erste Mal bin ich 2005 in die Ukraine gereist, um die Städte Pribyat und Enerhodar zu fotografieren, die ursprünglich für die Arbeiter:innen von nahegelegenen Atomkraftwerken gebaut wurden. Beide Städte wurden am Reißbrett geplant und ab 1970 direkt in die Natur gesetzt, ohne dass es dort davor eine Infrastruktur oder Ansiedlungen gegeben hätte. Die beiden Städte ähneln sich stark in ihrem Aufbau, doch während Pribyat aufgrund der Nähe zu Tschernobyl und der atomaren Strahlung unbewohnbar wurde, war Enerhodar normal bewohnt. Enerhodar liegt nahe des Kernkraftwerks Saporischschja, das seit der russischen Besetzung 2022 immer wieder in den Schlagzeilen war.

Was hat Sie dort besonders interessiert?

Vor Kriegsbeginn war ich etwa ein bis zwei Mal im Jahr in der Ukraine bei den befreundeten Landwirten Leveke und Markus Schütte. Dank ihrer Unterstützung und der von Mitarbeiter:innen, sowie die Möglichkeit der Nutzung der Landmaschinen konnte ich dort die Anfänge meiner Werkserie "Isolation" erproben. Dabei setze ich Museumsräume in die Natur und rahme diese aus sich selbst herausgewachsenen Landschaften mit weißen Wänden und künstlichem Licht. Zudem habe ich bereits in den ukrainischen Städten Donezk und Kiew ausgestellt. Zuletzt habe ich im Dezember 2022 ein Werk zu einer Ausstellung im Territory of Terror, Memorial Museum in Lwiw beigetragen.

Wie sah das aus?

Die Sammlung des Museums, die normalerweise die Verbrechen an der Ukraine während der Stalin-Zeit thematisiert, wurde wegen einer möglichen Zerstörung evakuiert. Die Architekten Alik Kadoum und Fedir Boitsov aus Odessa haben die Räume des Museums mit einer Art forensischer Architekturausstellung bespielt. Sie sind Gründer der Organisation Pixelated Realities, die Kriegszerstörungen in 3D scannt, um Schäden zu dokumentieren. Nicht nur Schäden werden von ihnen in diesem Verfahren gescannt, auch intakte Monumente, Museen und historische Gebäude, um diese im Falle einer Zerstörung später originalgetreu restaurieren zu können. In der besagten Ausstellung habe ich die Abformung eines Bombenkraters als 3D-Druck gezeigt.

Russlands Angriffskrieg begann am 24. Februar 2022. Wie haben Sie den Tag erlebt?

Schon ungefähr einen Monat vor Kriegsbeginn entwickelte sich in mir ein immer schlechter werdendes Gefühl, aber eine russische Invasion konnte und wollte ich mir nicht vorstellen. Nachdem ich am 24. Februar vom russischen Einmarsch erfahren habe, hat sich jede Zelle in meinem Körper dagegen gewehrt. Gleichzeitig war ich paralysiert und habe mich ein paar Tage im Bett verkrochen und schockiert Nachrichten über Nachrichten gelesen. Anfang März hatte ich dann eine Residency auf Mallorca, von der ich nach einer Woche abgereist bin, um nach Warschau zu fliegen, von wo aus ich mit Freunden in die Westukraine gefahren bin. Parallel dazu habe ich alle meine ukrainischen Freund:innen angeschrieben und ihnen Hilfe jeglicher Art angeboten. Ein guter Freund, Viktor Kovalenko, der maßgeblich an der Umsetzung meiner ersten "Isolation"-Werke in der Ukraine beteiligt war, ist direkt zu Kriegsbeginn zur Armee gegangen und informierte mich darüber, dass sie kugelsichere Westen, Helme, Medipacks und Tourniquets, also Bandagen zum Abbinden von Wunden, benötigen. Alles Material, welches zu Beginn des Krieges als humanitäre Hilfe klassifiziert wurde.

Und dann?

Daraufhin habe ich meine Netzwerke in Berlin kontaktiert und hatte in drei Tagen über 40.000 Euro gesammelt. Davon habe ich das Material gekauft. Damit auch alle sicher sein konnten, dass Geld und Material auch dort ankommen, wo es gebraucht wurde, habe ich versprochen, alles selbst auszuliefern. So habe ich im April 2022 erste Hilfslieferungen unter anderem nach Kiew gebracht und dabei auch die Hilfsorganisation Livjy Bereh kennengelernt, mit der ich bis zum heutigen Tage sehr eng zusammenarbeite und zu deren Mitgliedern sich eine tiefe Freundschaft entwickelt hat. Von ihnen wurden mir auch die Kriegsspuren und die Zerstörungen rund um Kiew und Tschernihiw gezeigt.

Ihre Ausstellung in Wolfsburg trägt den Titel "Der Weg des größten Widerstandes". Sehen Sie sich selbst als Teil des ukrainischen Widerstands?

Ja, ich sehe mich als Teil des ukrainischen Widerstandes. Der Titel der Ausstellung bezieht sich aber nicht auf mich, sondern auf die gesamte Ukraine und den überwältigenden Teil der ukrainischen Bevölkerung. Ich begleite und nehme einige Schritte an diesem Weg teil.

Die Ausstellung beginnt schon im Außenraum: In den Park vor dem Wolfsburger Schloss haben Sie die 1:1-Nachbildung eines Bombenkraters gegraben. Was ist das für ein Krater?

Bei einer Hilfslieferung nach Isjum Anfang April 2023 habe ich dort berühmte Steinskulpturen aus vorslawischer Zeit besichtigt. Sie sind mutmaßlich zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert entstanden. Diese Skulpturen stehen auf einem Hügel über der Stadt. Circa 20 Meter neben den Figuren befindet sich ein nicht zu übersehender Krater, der vom Einschlag einer Artilleriebombe zeugt. Auf Nachfrage wurde mir berichtet, dass der Hügel während der russischen Besatzung der einzige Ort in Isjum war, an dem Mobilfunk funktionierte und auf dem sich die Zivilist:innen sammelten, um "raus" zu telefonieren. Das war leider auch der Grund, warum genau dieser Platz im Mai 2022 von der russischen Armee beschossen wurde. Mindestens fünf Menschen starben bei dem Angriff. Natürlich sind auch die Skulpturen beschädigt worden. Der Krater ist somit ein Zeugnis, dass die russische Aggression sich gegen Kultur, Geschichte, menschliches Leben, vor allem aber auch gegen Zivilist:innen und ein zivilisatorisches Zusammensein richtet.

Wie kam der Krater dann nach Wolfsburg?

Ich habe genau diesen Krater mit hunderten Fotografien aus alles möglichen Perspektiven aufgenommen und davon ein 3D-Modell von Pixelated Realities errechnen lassen. Das Modell habe ich dann als 3D-Objekt drucken lassen und als Vorlage zum Aushub im Wolfsburger Park genommen. Der Krater hat einen Durchmesser von 5,1 Metern und ist 1,45 Meter tief. Er interveniert in dem Park, der mit Skulpturen gefüllt ist. Er ist ein Loch, ein Fehlen, ein Monument der Leere.

Andere Arbeiten umfassen Tarnnetze oder Leinwände, die Sie in der Asche ausgebrannter Panzer gebadet haben. Die Stoffe hängen teils von der Decke, teils sind sie auf Keilrahmen aufgezogen, was sie wie abstrakte Malerei aus der Nachkriegszeit aussehen lässt. In welcher Relation stehen "authentisches" Material und Werk?

Die handgeknüpften Tarnnetze sind ein im ganzen Land sichtbares Element des Widerstandes und des Krieges. Alles, was versteckt werden soll, wird in der Ukraine mit diesen Tarnstoffen behangen: Brücken, Autos, wichtige Infrastruktur und Checkpoints, die in der Ukraine "Blockpost" genannt werden. Die aus Stoffen und Kleidern geknüpften Netze haben mich sehr fasziniert, weil in ihnen immer auch die Hoffnung und der Glaube mit eingewebt sind, die ukrainische Bevölkerung zu beschützen und einen Beitrag zum Widerstand zu leisten. Dadurch bekommen die Stoffe eine ganz eigene, tief emotionale Schönheit. Geruch und Staub sind noch immer in den Fasern gefangen und werden im Ausstellungsraum erfahrbar.

Wie genau sind diese Werke entstanden?

Die Leinwände sind zumeist in einem Dorf namens Kam´yanka südlich von Isjum und Umgebung entstanden. Das Dorf wurde komplett zerstört und ist übersäht mit (ausgebranntem) Kriegsmaterial. Für die malerischen Fragmente habe ich literweise Leinöl in ausgebrannte Panzer gegossen. Das Leinöl bindet die Aschepigmente. Durch diese flüssige Masse in den Panzern ziehe ich dann die nicht grundierten Leinwände. Dafür habe ich nur meine Intuition und Muskelkraft. Es ist eine Art Eintauchen der Leinwand in den Tod. Die finale Farbe ist stumpf, matt, schwarz und färbt ab, da ich die Leinwände bewusst nicht firnisse. Die Farbe scheint die Leinwand zu beschmutzen, schneidet und frisst sich förmlich ein. Die Farbe und Verfärbungen erinnern an Traumata, die niemals wieder entfernt werden könnten. Auch finde ich den Begriff Batik sehr passend. Batik wird ja eher als naives, friedliches Muster angesehen. Jetzt benutze ich die Technik im Krieg, gegen den Krieg und für den Widerstandskampf der Ukraine. Der Kontrast und Widerspruch gefallen mir. Es ist eine bewusste Änderung des Wahrnehmungsmusters, das sich gegen die traumwandlerische Naivität wehrt, man könne russischen Aggression mit gutem Willen und Gesprächen in friedliche Bahnen lenken.

Ein weiteres Werk ist ein 38-minütiges Video, das auf Ihren Reisen durch die Ukraine entstand. Welche Bilder kann die Kunst liefern, die über Nachrichtenbilder hinausgehen?

Der Film setzt sich aus vielen kurzen Sequenzen zusammen, die ich auf meinen Reisen durch die Ukraine mit meinem Handy gefilmt habe, ursprünglich nur für mich selbst. Zu sehen ist daher alles, was ich persönlich interessant fand. Das Video beinhaltet Aufnahmen von Zerstörungen und Krieg, aber auch von Tieren, Hotelzimmern, Landschaften, Autofahrten und menschlichen Begegnungen. Meine privaten Eindrücke des Landes im Krieg sind nicht direkter, drastischer oder exklusiver als Nachrichtenbilder und Berichte von Twitter und Co. Sie sind aber sicher persönlicher und intuitiver, manchmal auch langweiliger und meist alltäglicher als Nachrichtenbilder. Meine Videoaufnahmen zeigen das Zusammenspiel von Alltag und Ausnahmezustand, vom Alltag im Ausnahmezustand.

Welche Intention verfolgen Sie mit der Ausstellung?

Wir alle merken, dass es eine immer größer werdende Kriegsmüdigkeit gibt. Ich kämpfe aber persönlich und auch mit meiner Kunst dagegen an, obwohl es auch mir zunehmend schwerer fällt. Dazu ist die große private Hilfsbereitschaft merklich zurückgegangen, und viele Menschen haben sich an die Situation, so schlimm sie auch ist, gewöhnt. Deswegen versuche ich in Kooperation mit meiner Galerie Alexander Levy mit Ausstellungen und Werken weiterhin notwendige Unterstützung zu leisten. Es geht uns darum, die Aufmerksamkeit für die Ukraine hoch zu halten, Charakter und Ernsthaftigkeit zu zeigen und einen Beitrag, so klein er auch ist, zurückzugeben.

Sind Sie zuversichtlich, dass der Krieg bald enden könnte?

Ja, mein Eindruck ist, dass es einen schier unglaublichen und unumstößlichen Willen in der ukrainischen Bevölkerung gibt, dass die Ukraine als freier und eigenständiger Nationalstaat bestehen bleibt und Teil der EU wird. Dabei helfe ich sehr gerne. Wir müssen die Ukraine als ein europäisches Land begreifen und verstehen, wie die baltischen Staaten auch europäische Länder sind und nicht russisch beanspruchte Gebiete. Die Bevölkerung jedes Landes hat ein Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf eine eigene Entwicklung.