Buch über Neo Rauchs "Anbräuner"

Ein Monster von einem Bild

Auktions-Veranstalter Steffen Göpel (links) und Unternehmer Christoph Gröner (2.von links) neben dem Gemälde "Der Anbräuner". Das Bild wurde auf einer Charity Auktion in Leipzig versteigert
Foto: Lutz Zimmermann/GRK Golf Masters GmbH/dpa

Vorläufig letztes Kapitel einer Farce: Neo Rauchs "Anbräuner" wird auf bei den "GRK Golf Charity Masters" in Leipzig versteigert. Veranstalter Steffen Göpel (l), Unternehmer Christoph Gröner und – sehr zeitgemäß – namenlose Hostessen, die das Meisterwerk halten dürfen

Die Schmähung sollte ihn sprachlos machen. Stattdessen hat Wolfgang Ullrich ein Buch darüber geschrieben, wie Neo Rauch ihn als "Anbräuner" gemalt hat. Für den Kritiker steht das Bild für einen "neuen Ost-West-Konflikt". Ist das nicht übertrieben?

Dieses Bild, so erscheint es dem Beobachter, ist nicht dafür gemacht worden, um den Diskurs durch interessante neue Perspektiven zu bereichern. "Der Anbräuner" wurde gemalt, um zu verletzen, zu diffamieren, um jegliche Diskussion zu beenden. Dieses Werk will offenbar empfunden und nicht analysiert werden, es ist eine nicht-sprachliche Reaktion auf sprachlich vorgetragene Argumente, es wirkt wie eine reine Geste, beleidigend und hässlich bis zur Schmerzgrenze. Und dennoch veröffentlicht der Kunstkritiker Wolfgang Ullrich, Gegenstand dieser Karikatur, ein Jahr später ein ganzes Buch zu diesem Fall. Kann eigentlich nicht gut gehen. Oder doch?

Wie war es nochmal zu diesem ungeheuerlichen Bild gekommen? Ullrich hatte im Frühjahr 2019 in einem "Zeit"-Essay darauf aufmerksam gemacht, dass früher linke, heute aber eher konservative und rechte Künstler auf die Freiheit und Autonomie der Kunst pochen. Weil er darin auch Neo Rauch erwähnte, antwortete der Leipziger Maler mit dieser Karikatur, die den bei Ernst Jünger entliehenen Titel "Anbräuner" trägt. Das Bild, das dann ebenfalls in der "Zeit" abgedruckt wurde, zeigt offenbar den Kritiker als einen mit den eigenen Exkrementen malenden Möchtegern-Künstler in einer Dachkammer. Er schaut auf sein Gemälde, das mit "W.U." signiert ist, während er den Pinsel an den Hintern hält und weiteren Scheiß hervorgepresst. Und durch ein Fenster schaut ein Gesicht mit Hitlerbärtchen.

Was soll ein dergestalt verunglimpfter Kritiker darauf nun wiederum antworten? In dem kleinen Band "Feindbild werden" klingt Wolfgang Ullrich nicht wie jemand, der das letzte Wort behalten will, sondern so, als würde er sich schreibend vergewissern, was er da gerade Unglaubliches erlebt hat. Manchmal wirkt er in seiner Selbstbeschreibung geradezu naiv und schutzlos, etwa wenn er zugibt, dass er sich in der Karikatur zunächst gar nicht erkannt hat, sondern darin ein Selbstporträt Rauchs vermutete. 

West-Kritiker gegen Ost-Künstler?

In einem bescheidenen, fast demütigen Ton verknüpft Ullrich seine persönliche Bilanz mit einer unaufgeregten Analyse. So gelingt es ihm, aus dieser Farce Erkenntnisse zur Kunst und zur Gegenwart zu gewinnen. Dazu bettet er, wie es sich für einen Kritiker gehört, das Werk in einen größeren Kontext: einen angeblich "neuen Ost-West-Konflikt". Er, der westdeutsche Kritiker, der nach Leipzig gezogen ist und auch über Künstler aus dem Osten schreibt, wird von einem ostdeutschen Künstler, der Erfahrungen mit einem autoritären Regime gemacht hat, diffamiert als Anschwärzer/Anbräuner.

Ullrich belegt die Relevanz dieses Hintergrundkonflikts mit zahlreichen Zitaten Rauchs, der immer wieder vom oppositionellen Geist seiner selbst und von Künstlerkollegen zu DDR-Zeiten spricht und aus der einstigen Position einen Überlegenheitsanspruch ableitet, den er bis in die heutige Zeit übertragen und weiter beliebig anwenden kann. Das Absurde daran ist, dass Neo Rauch längst kein Außenseiter mehr ist, sondern vom Staat und Markt gefeiert wird. 

Sieht man den "Anbräuner" in dem Kontext solcher Interview-Aussagen, suggeriert das Bild eine Unterscheidung zwischen Dissident und Denunziant: "Kritiker erscheinen als charakterlose und zugleich fanatische Funktionäre einer großen Machtmaschine, die mit wenigen Worten ganze Existenzen vernichten können", schreibt Ullrich, "und umgekehrt darf sich, wer Kritik erfährt, als Opfer gnadenloser Gewalt fühlen und Märtyrerstolz entwickeln". 

Alles nur ein Missverständnis? 

Neo Rauch mag sich in einer maßlosen Überschätzung der Macht von Kunstkritik tatsächlich bedrängt fühlen durch einen "Zeit"-Artikel, obwohl er ein Künstlerbild vertritt, das Überlegenheit per se verspricht. Ullrich hält es deshalb in "Feindbild werden" für nötig zu betonen, dass er es in seinem "Zeit"-Essay nicht auf Rauch und seine Karriere abgesehen hatte. Alles also nur ein Missverständnis? 

Nicht unbedingt. Wolfgang Ullrich zeigt anhand der Rezeptionsgeschichte des "Anbräuners", wie verbreitet der Topos "DDR 2.0" ist, wie der "Anbräuner" in Social-Media-Kommentaren und in rechten Medien gefeiert wurde und in bestimmten Twitter-Blasen schon fast Meme-Status erlangt hat. 

Das ist allerdings nur bedingt auf einen tatsächlichen Ost-West-Konflikt zurückzuführen, und man könnte Wolfgang Ullrich vorhalten, dass er sich allzu leichtfertig auf die Rollenzuschreibung einlässt. Die Selbststilisierung als Regime-Opfer à la DDR-Dissident ist schließlich mittlerweile so erfolgreich, dass sie sich sogar Westdeutsche anmaßen: Auch Stuttgarter Gegner der Corona-Maßnahmen sprechen von einer "Hygiene-DDR", am Wochenende lief sogar auf einer dieser Schwaben-Demos ein Clip, in dem Montagsdemonstrationen von 1989 gegengeschnitten waren mit heutigen "Querdenken"-Protesten. 

Ein Bild als Monster 

Schon 1994 schrieb der Systemtheoretiker Peter Fuchs, der damals als westdeutscher Soziologie-Professor in Neubrandenburg in einer ähnlichen Situation war wie Ullrich heute in Leipzig, dass die Unterscheidung West/Ost eine "fatale Wirksamkeit" entwickelt: "Sie erzeugt monströse Effekte, und sie muss irgendwann verworfen werden. Als monströse Differenz presst sie die Beobachtung in Wahrnehmungen, Kognitionen, Kommunikationen hinein, die übersehen lassen, dass andernorts auf dieser Welt, selbst in diesem Staat die gleichen Phänomene, aber in gewissem Sinne unbeobachtet, auftreten."

Es ist unendlich deprimierend, dass die "monströsen Effekte" dieser Superdifferenz Ost/West 26 Jahre später immer noch wirksam sind. "Der Anbräuner", das ein Bild von einem Monster sein sollte, ist tatsächlich ein Monster von einem Bild, das aus überzeichneten Unterscheidungen geschaffen wurde: Ost/West, rechts/links, Dissident/Denunziant. 

Dass der Ost/West-Konflikt nur eine Folie ist für eine wichtigere Differenz, weiß auch Wolfgang Ullrich: den zwei "Kulturalisierungsregimen", wie es der Soziologe Andreas Reckwitz nennt. Auf der einen Seite steht dabei die dominante "Hyperkultur", die "Vielfalt und Kosmopolitismus" feiert, auf der anderen Seite der "Kulturessentialismus" aus Heimat und Herkunft. "Der Konflikt zwischen Neo Rauch und mir ließe sich nach den Kategorien von Reckwitz wohl schon als Teil eines solchen Kulturkampfs einschätzen", schreibt Ullrich unnötig vorsichtig. 

"Der Anbräuner" ist ein visuell starkes Symbol dafür, was alles schiefgehen kann in diesem Kulturkampf, was wir alle verlieren. Wie wir da jetzt wieder rauskommen, darauf hat Ullrich auch keine Antwort. Aber er gibt mit seinem Buch ein gutes Beispiel ab: Er hat einen Lang-Essay geschrieben, auf den Neo Rauch nicht so leicht wiederum eine Entgegnung malen kann. Wolfgang Ullrich ist es gelungen, auf Diffamierung, die zunächst nicht anschlussfähig für weiteren Diskurs schien, mehr Diskurs, mehr Anschlüsse zu machen. 

Und dann noch Pointe ohne Witz

Der ganze Fall wird damit zur Warnung: Lasst uns mal eben abrüsten, aufhören, einander zu diffamieren. Und das gilt genauso für die kosmopolitische Kunstwelt, die sich auch nicht zu schade ist, Donald Trump zum Beispiel auf jede entmenschlichende Weise anhand von vermeintlichen körperlichen Makeln zu karikieren. 

So weit, so gut kommt Wolfgang Ullrich aus der unappetitlichen Geschichte heraus. Dann aber war da ja noch das Nachspiel. Auf einer Benefiz-Auktion für ein Kinderhospiz in Leipzig wurde wenige Wochen nach dem Abdruck in der Zeitung "Der Anbräuner" für eine Dreiviertel Million Euro versteigert. Gekauft hat das Bild der Berliner Immobilienunternehmer Christoph Gröner, der damals ankündigte, das Werk im Foyer seines noch zu grünenden "Vereins für den gesunden Menschenverstand" aufzuhängen. 

Diese Aktion dreht noch einmal alles um: Der durch markige Sprüche bekannte Unternehmer hat in Leipzig, wie Ullrich anhand von Beispielen darlegt, das Image eines brutalen westdeutschen "Kolonialisten", "der die gewachsenen Strukturen zerstört, aber nicht nur für Ausbeutung, sondern zugleich für Überwachungs-Kapitalismus steht. Vor diesem Image können ihn auch Rauch und sein Gemälde nicht schützen. Im Gegenteil: Aufgrund der Summen, die bei Rauch im Spiel sind, gilt er selbst als Repräsentant einer zynisch-neoliberalen Welt. Von der Figur in seinem Gemälde wird daher auch nur noch die Aggressivität wahrgenommen; sie erscheint nun als Spiegelbild der Aggressivität des Sammlers und Investors."