Neue Bilder vom Zentralgestirn

Hier kommt die Sonne

Sonnenkunst: Ein Sonnenfleck in höchster Auflösung, beobachtet mit dem Gregor Teleskop bei einer Wellenlänge von 430 nm
Foto: Leibniz-Institut für Sonnenphysik/dpa

Sonnenkunst: Ein Sonnenfleck in höchster Auflösung, beobachtet mit dem Gregor Teleskop bei einer Wellenlänge von 430 nm

Forschern sind erstmals gestochen scharfe Fotografien der Sonnenoberfläche gelungen, die erstaunlich abstrakt aussehen. Das erinnert an die Bemühungen der Kunst, eine Form für das Unvorstellbare zu finden

Wie sehr die menschliche Darstellung von kosmischen Phänomenen daneben liegen kann, hat sich im vergangenen Jahr gezeigt, als zum ersten Mal ein Foto eines schwarzen Lochs gelungen ist. Sahen die Grafiken dieses mysteriösen Phänomens des absoluten Nichts meist dramatisch verwirbelt aus, mit lila Blitzen, türkisen Lichtfeldern und Sternenschauern, glich die NASA-Fotografie eher einem funzeligen orangen Donut.

Nun hat das größte europäische Sonnenteleskop Gregor gestochen scharfe Bilder der Feinstruktur der Sonne aufgenommen - und auch die dürften die Kreis-mit-Strahlen-sozialisierten Erdenbürger überraschen. Ähnelt die Abbildung des Areals rund um einen Sonnenfleck einer Ansammlung goldener Körnchen. Als hätte ein Werk des Blattgold-affinen Künstlers James Le Byars einige Sprünge bekommen. Die augenähnliche schwarze Fläche in der Mitte ist von einer Struktur umgeben, die an Fäden erinnert. Ein vernähter Sonnenfleck oder kosmische Wimpern? Nichts Gleißendes, Brennendes, eher eine trockene, spröde Anmutung des lebensspendenden Gestirns.

Mit dem Teleskop könnten die Forscher Details von nur 50 Kilometern auf der Sonne auflösen, teilte das Leibniz-Institut für Sonnenphysik (KIS) in Freiburg mit. Das entspreche einem winzigen Bruchteil des Sonnen-Durchmessers von 1,4 Millionen Kilometern. "Dies ist, als würde man eine Nadel auf einem Fußballfeld aus einer Entfernung von einem Kilometer perfekt scharf sehen."

"Erstaunliche Details und komplizierte Strukturen"

Das Sonnenteleskop wird von einem deutschen Konsortium unter der Federführung des KIS betrieben und befindet sich am Teide-Observatorium auf der spanischen Insel Teneriffa. Um die hochauflösenden Bilder machen zu können, wurden an dem Gerät Optik, Mechanik und Elektronik in nur einem Jahr komplett neu gestaltet. "Das Projekt war ziemlich riskant, da solche Teleskop-Umbauten in der Regel Jahre dauern", sagte die KIS-Direktorin Svetlana Berdyugina.

Mit der neuen Optik des Teleskops könnten die Wissenschaftler nun beispielsweise Magnetfelder, Turbulenzen, Sonneneruptionen und Sonnenflecken detailliert untersuchen, hieß es bei dem Institut weiter. "Erste Bilder, die im Juli 2020 aufgenommen wurden, zeigen erstaunliche Details der Sonnenfleckenentwicklung und komplizierter Strukturen im Solarplasma."

Wenn sich Künstlerinnen und Künstler der Sonne widmen, geht es ihnen meist um eine Darstellung von enormer Energie jenseits des Menschlichen, die Leben auf der Erde erst ermöglicht. So montierte Katharina Sieverding Fotografien der Nasa für ihre Videoarbeit "Die Sonne um Mitternacht schauen". Heraus kommt ein animierter Feuerball, der kosmische Kraft und die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung visualisiert. Denkt man an die Geschichte von der Visualisierung unserer Himmelskörper, so haben sich Menschen vom bloßen Augen über das Fernrohr, die Fotografie und die Raumfahrt bis zu den Hochleistungsteleskopen von heute immer weiter an die Erscheinungen des Weltalls angenähert. Fassen kann man die weit entfernten Phänomene trotzdem nicht, und so kann man auch die Geschichte der Kunst als Geschichte einer Annäherung an Unvorstellbares und Unendliches lesen.

Den neuen, erstaunlich abstrakten, Fotos am nächsten kommt vielleicht Edvard Munchs Werkzyklus "Die Sonne" von 1911. Der Maler zerteilte den aufgehenden Riesenstern in einzelne Pinselstriche und ließ eine rasterartige Struktur entstehen, die Sonnenanbeter seiner Zeit irritierte. Gut 100 Jahre später wird angesichts der neuen Bilder deutlich, dass Munch gar nicht so falsch lag.