Galka Scheyer

Die Prophetin der Blauen Vier

Galka Scheyer (1889-1945) hat sich um die Kunst der Moderne verdient gemacht. Der Promoterin der Blauen Vier in den USA – Feininger, Jawlensky, Kandinsky und Klee – ist jetzt eine Ausstellung in ihrer Geburtsstadt Braunschweig gewidmet. Außerdem führt ein 350 Seiten starkes Buch in das filmreife Leben der Kunstagentin und Malerin ein, die zuletzt in Hollywood lebte

Selbstbewusst, mit leichtem Silberblick schaut die junge Frau uns an, dunkle Locken rahmen ihr ausdrucksvolles Gesicht. Grüne und fliederfarbene Töne dominieren im Selbstbildnis, das Emilie Esther Scheyer im Jahr 1915 malte. Signiert ist das impressionistische Gemälde mit dem Schriftzug Renée, dem damaligen Pseudonym einer faszinierenden Persönlichkeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich später Galka Scheyer nannte.

Wer ihn noch nicht gehört hat, sollte sich den Namen merken. Ihre Künstlerinnenkarriere verfolgte sie nicht so intensiv, dass sie dort Herausragendes leistete. Aber als Unterstützerin großer Persönlichkeiten der klassischen Moderne hat sie Kunstgeschichte geschrieben. Man könnte Galka Scheyer einen "stillen Star" der Moderne nennen – wenn ihr Rufname "Galka" (russisch: Dohle) nicht auf ihre Stimme, die durchdringend gewesen sein soll,  gemünzt wäre.

Auf ihr Konto ging der Gruppenname Die Blaue Vier. Dahinter verbergen sich vier legendäre Künstler: Lyonel Feininger, Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky und Paul Klee. Als "The Blue Four" machte Scheyer das Quartett in den 1920ern der US-amerikanischen Öffentlichkeit bekannt. Ihre selbsternannte "Prophetin" stammte aus Deutschland, siedelte 1924 in die Vereinigten Staaten über und starb 1945 nur 56-jährig in Los Angeles. Anlässlich der Ausstellung "Galka Scheyer und die Blaue Vier" (bis 19. Mai) im Städtischen Museum in Scheyers Geburtsstadt Braunschweig ist ein 350 Seiten starkes Buch über die Kunsthändlerin und Sammlerin, die Netzwerkerin und Malerin erschienen. Auch ihrem lebenslangen Engagement in der Kunstförderung von Kindern und Jugendlichen widmet sich der Autor Gilbert Holzgang eingehend.

Den Namen Galka hat sie Jawlensky 

Der Autor des prächtig bebilderten Bandes "Galka Scheyer. Ein Leben für Kunst und Kreativität" arbeitet seit 25 Jahren vor allem als Dramaturg und Regisseur des von ihm gegründeten, auf neuere deutsche Geschichte spezialisierten Theaters Zeitraum in Braunschweig. Zu Holzgangs dokumentarischen Stücken zählen auch drei Produktionen über Galka Scheyer seit 2012. Und bereits 2006 erinnerte Holzgang mit dem "Ralfs-Projekt" daran, dass Braunschweig bis zur Nazi-Katastrophe ein geschätztes Zentrum moderner Kunst war – und der Sammler und Gründer der "Gesellschaft der Freunde junger Kunst" (GFJK) Otto Ralfs eine zentrale Figur des dortigen Kulturlebens bis in die frühen 1930er.

Galka Scheyer selbst, 1889 in der norddeutschen Handelsstadt als einzige Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren, hielt es nicht lange in Braunschweig aus. Nach ihrer Schulzeit arbeitete sie in England und Frankreich als Kindermädchen. Als junge Erwachsene lebte sie ihre künstlerischen Neigungen aus, riskierte einen Dauerkonflikt mit ihrer Mutter und ihren Brüdern (obwohl ihr Bruder Erich Kunst sammelte und mit Otto Ralfs befreundet war). In Italien und Belgien ließ sie sich zur Malerin ausbilden und nahm Unterricht bei einem Bildhauer.

Als sie 1916 in der Schweiz Alexej von Jawlensky kennenlernt und seine Bilder betrachtet, gibt sie die eigene Kunst vorerst auf. Sie wird die Agentin des Künstlers in Deutschland – steht Jawlensky Modell und wird seine Geliebte. Den Namen Galka hat sie von ihm – und lässt ihn 1931 in ihren US-amerikanischen Pass eintragen.

Vier "Könige"

1922 lernt Scheyer Klee, Kandinsky und Feininger am Bauhaus in Weimar kennen und kommt auf die Idee, mit ihnen und Jawlensky die Blauen Vier zu gründen, um sie unter diesem Label in den USA zu vertreten. 1924 lebt Scheyer schon hauptsächlich in den Vereinigten Staaten. In diesem Jahr werden The Blue Four offiziell gegründet. Scheyer ist laut Vertrag mit der "Ausbreitung ihrer künstlerischen Ideen im Ausland" beauftragt. Die Werke der vier Künstler werden von ihrer Agentin in Kommission genommen, vom Verkauf stehen den Künstlern 50 Prozent zu, Scheyer erhält 30, die restlichen 20 Prozent sind an die gemeinsame Kasse der Blauen Vier abzuführen. Nach 1933 stagniert das Geschäft. Der US-Kunstmarkt wird mit als "entartet" gebrandmarkter Kunst zu Dumpingpreisen überschwemmt. Außerdem lockert sich der Viererbund, Feininger und Kandinsky machen zunehmend Schwierigkeiten. Scheyer veranstaltet nun zunehmend Einzelschauen ihrer vier "Könige", wie sie die Künstler gerne nennt.

Galka Scheyers Situation verschlechtert sich im Lauf der 1930er, denn bisher haben ihre Brüder die in Los Angeles lebende Emigrantin noch finanziell unterstützt. 1938 müssen die jüdischen Konservenfabrikanten ihre Firma in Braunschweig weit unter Preis verkaufen. Ihre Brüder können Deutschland noch rechtzeitig verlassen, Galkas Mutter Henriette stirbt 1941 in einem Altenheim in Hannover, als Todesursache wird "Lungenentzündung – Grippe. Herzschlag" eingetragen. "Vielleicht setzte Henriette Scheyer ihrem Leben ein Ende, indem sie eine schwere Erkältung herbeiführte", schreibt Holzgang, und weiter: "Fast ihre ganze Familie lebte schon im Ausland", und die Mutter habe befürchten müssen "früher oder später zur ’Auswanderung’ in ein Ghetto gezwungen zu werden". Der Autor dokumentiert auch Vorwürfe aus der Familie, Galka Scheyer, seit 1931 US-Bürgerin, habe sich zuwenig für ihre Mutter eingesetzt.

Obwohl sie knapp bei Kasse war, hatte Galka im August 1933 ein Grundstück in den Hollywood Hills ein Grundstück für den Bau eines Galerie-Hauses erworben. Kein Geringerer als der Architekt Richard Neutra entwarf das Haus, zu dem später eine Zufahrtsstraße führte, die auf Scheyers Initiative den Namen Blue Heights Drive erhielt. 1934 war das Haus bezugsfertig, ab Mai desselben Jahres konnte sie dort Veranstaltungen organisieren. Zu den Besuchern zählten Stars wie Marlene Dietrich, Greta Garbo oder Edward G. Robinson und Größen aus dem Regiefach, Dorothy Arzner, Fritz Lang, Josef von Sternberg, der Schriftsteller Erich Maria Remarque, der Dirigent Leopold Stokowski.

"Sie war selbst eine echte Künstlerin"

John Cage, der die Kunst Jawlenskys verehrte, verhalf Scheyer im Kriegsjahr 1939 zu mehreren Soloschauen ihrer Schützlinge im Bundesstaat Washington. 1941 veranstaltete Scheyer ihre letzte Blue-Four-Schau auf Hawaii. In den zwei Jahren darauf gelangen nur noch zwei weitere Soloschauen. Paul Klee starb 1940 im Tessin, Alexej Jawlensky 1941 in Wiesbaden und Kandinsky 1944 in Paris. Lyonel Feininger (1871-1956) überlebte auch Galka Scheyer, die am 13. Dezember 1945 in ihrem Haus am Blue Heights Drive an Krebs starb. Gilbert Holzgang zitiert aus dem Manuskript des Buchfragments "Galka und die Blaue Vier", ein Projekt, das ihre Freundin Lette Valeska (1885-1985) nicht vollenden konnte: "Sie war selbst eine echte Künstlerin", schreibt die wie Scheyer in Braunschweig geborene und wie sie in Los Angeles verstorbene Künstlerin. "Die wenigen Bilder, die sie malte, zeigen überdurchschnittliche Begabung. Sie hätte sich zweifelsohne durchgesetzt und schöpferisch an der Bewegung beteiligt."

Und Valeska fügt hinzu: "Was sie in einem Vierteljahrhundert intensiven Wirkens den Mitmenschen gegeben hat, ist genug, um ihr einen Platz in der Kunstgeschichte zu sichern."