Teil eines Gesamtkunstwerks

Gilbert von Gilbert & George wird 75

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Gilbert Prousch (links) und George Passmore 2017 in der Berliner St.-Matthäus-Kirche

Seit über einem halben Jahrhundert leben und arbeiten die beiden Exzentriker Gilbert & George als preisgekröntes Gesamtkunstwerk. Nun wird Gilbert Prousch 75

"Wir waren in der Lage, etwas völlig Neues zu machen" - so erklärte Gilbert Prousch der Zeitung "Argus" den Erfolg seiner Partnerschaft mit George Passmore. "Diese Art von Kunst gab es vor uns nicht. Wir konnten eine Sprache schaffen, die uns gehört, und wir können damit sprechen." Am Montag feiert der geborene Südtiroler Gilbert seinen 75. Geburtstag.

Sie auseinander zu halten ist nicht leicht. Gilbert ist der Kleinere und spricht Englisch mit italienischem Akzent, George trägt Brille. Krawatten und Tweed-Anzüge sind stets aufeinander abgestimmt, die Nachnamen ließen sie schon während des Studiums in den Ateliers der Londoner Kunsthochschule St Martin’s zurück.

Gilbert Prousch wuchs in einem abgeschiedenen Dorf in den Dolomiten auf. Ein Onkel ermutigte ihn, sein künstlerisches Talent an Universitäten in ganz Europa zu schulen, bis Gilbert durch Zufall 1967 im gleichen Bildhauerkurs wie sein späterer Lebens- und Kunstpartner George landete. Außenseiter waren sie schon damals: "Im Gegensatz zu den meisten Kunststudenten gehörten wir nicht zur Mittelklasse", erklärte George der Kunstzeitschrift "Elephant", "also hatten wir nicht das Sicherheitsnetz, das sie haben: Sie können immer zurückkehren und auf dem Bauernhof von Papa arbeiten. Das hatten wir nicht. Wir mussten gewinnen."

Und das taten sie: Als "Singing Sculptures" – metallgesichtige Androiden auf einem Tisch – irritierten sie schon während ihrer Studienzeit, aber gewannen einen einflussreichen Galeristen. 1969 folgte das provokative Selbstporträt "George the Cunt and Gilbert the Shit". Dann großformatige Fotomontagen – erst schwarz-weiß, später in schreienden Farben nachkoloriert. Schließlich 1986 der Turner-Preis und 2007 ein große Retrospektive in der Tate Modern. Ihre Serie "To Her Majesty" wurde 2008 für über zwei Millionen Euro versteigert.

Trotzdem pflegen sie ihr Image als exzentrische Außenseiter im Kulturbetrieb, konservativ – sie verehren Prinz Harry und David Cameron – und gleichzeitig konfrontativ: Sex, Geld, Religion und Identität ziehen sich durch ihr Werk. "Die anderen haben eine formalistische Einstellung, schöne Farben und schöne Formen", erklärte Gilbert im "Telegraph". "Wir haben eine moralische Dimension: Was ist gut und was schlecht an den Menschen."

"Unmoralisch und unsterblich" wollen sie sein; dabei helfen Provokationen wie ihre Performance "Fuckosophy" mit über 4000 Varianten ihres Lieblingsschimpfwortes. Gilbert hat vor allem mit Religion ein Hühnchen zu rupfen, daher haben sie nun eine entsprechende "Godology" um den Begriff "Gott" zusammengestellt und eine Version im Juli bei ihrer derzeitigen Retrospektive in Arles vorgetragen.

Seit fast einem halben Jahrhundert wohnen und arbeiten sie in einem alten Haus im Londoner East End. Dort verarbeiten sie die Zehntausende von Fotos weiter, die sie in der Nachbarschaft aufnehmen. "Wir öffnen einfach unsere Tür in der Fournier Street", beschrieb Gilbert der "Irish News". "Alles was gerade los ist an religiösen Spannungen, es ist alles da. Wir haben die Moschee an einem Ende unserer Straße und die anglikanische Kirche am anderen."

Gilbert & George gehören zum East End wie die Hipster, Modestudenten und Einwanderer aus Bangladesch – und werden überall wiedererkannt. George erinnerte sich im "Telegraph" an einen Lkw, der neben ihnen langsamer wurde. "Der große, kahlrasierte Fahrer mittleren Alters lehnte sich hinaus und rief: 'Gilbert & George! Mein Leben ist ein verdammter Moment, während eures eine Ewigkeit ist!'" "Es bedeutet, dass das, was wir tun, funktioniert", erklärte Gilbert. "Wenn wir in Dalston zum Abendessen gehen, bleiben die Leute stehen, um sich mit uns fotografieren zu lassen."

Als Gesamtkunstwerk haben sie sich ihre eigene Welt geschaffen, mit einer Routine, die sich seit Jahrzehnten nicht verändert hat: "Jede Nacht läuft George eineinhalb Stunden und ich laufe 45 Minuten und wir treffen uns um genau acht Uhr im Restaurant", erklärte Gilbert in der Zeitschrift "Another Mag". Und George ergänzte: "Wenn ich eine Minute früher ankomme, sagen sie: 'Wo ist Mr. Gilbert?'"